Ein schöner Tag, doch mein Freund ist wieder da

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Heute war die Nacht kürzer als sonst. Wir wollten um 08:00 Uhr los fahren. Denn der Tag sollte lang werden. So frühstückten wir auf Holzbänken und Fellen im Garten unserer Übernachtungsdomizils. Die Luft war klar, die Sonne schien wunderbar und es schickte sich an, ein toller Tag zu werden. Franziska und die Tochter von Achim, die uns gestern und heute begleiten sollte, zogen es vor, die ersten 500 Höhenmeter mit dem Postbus zu fahren. Das war eventuell keine schlechte Idee. Denn die Straße nach S-Charl, dem Bergarbeiterdorf, welches wir auf dem Weg zum Costainapass erreichen mussten, war alles andere als interessant.

Ich kurbelte in meinem Tempo den Berg hoch, nachdem wir den Inn in Scuol auf einer beeindruckenden Brücke überquert hatten. Ich war nicht der Letzte und das tat gut. Und in S-Charl angekommen hatte ich noch eine Menge Kraftreserven. Trotzdem nahm ich Müsliriegel und etwas Kohlehydrate zu mir, denn der Anstieg sollte weiter gehen….

Das Nächste Ziel hieß Alpe Astras auf knapp 2100 Meter Meereshöhe. Der Weg ist recht moderat. Eine etwas steilere Steigung. Sonst geht es ganz genüsslich an einem plätschernden Bach entlang. Die Kühe bimmeln mit ihren Glocken (ob die nicht eine Klatsche bekommen, den ganzen Tag das Bimmeln zu hören?) und linksseitig tut sich der höchste Arvenwald Europas auf. Auf über 2000 Meter wachsen hier noch Bäume. Arven = Zirben, und das soll sehr gesundes Holz sein – vorausgesetzt man baut sein Schlafzimmer damit aus. Denn es soll für einen ruhigen Schlaf garantieren. Ich kann es nicht nachvollziehen, aber will es mal glauben. Toll ist es schon, so hoch noch Bäume zu sehen. Denn die Natur ist hier sonst schon recht karg. Nur noch grüne Wiesen und kleine Sträucher – und eben diese Arvenbäume.

Nach einer Coke ging es weiter zur Überquerung des Alpenhauptkamms. Der Pass da Costainas auf 2251 Meter Höhe ist hierfür das Ziel. Nun haben wir die Nordseite der Alpen hinter uns gebracht. Die Südseite soll ja sonniger sein. Stellt sich die Frage, was noch sonniger sein soll. Denn an diesem Tag hat uns die Sonne bis hierhin den ganzen Weg auf die Haut gestrahlt. Nun ging es wieder bergab, um nachfolgend wieder bergauf zu gehen und oberhalb vom Val Müstair in Richtung Ofenpass zu fahren. Der Weg wurde ein Singletrail, den es bergauf zu radeln galt. Und die Aussicht war grandios. In der Ferne sahen wir linkseeitig den Ortler. Den höchsten Berg der Ostalpen. Es war einfach schön, hier zu radeln, wo wir sonst keine Menschenseele sonst mehr sahen.

Mittag wurde am Ofenpass gemacht. Ich habe Salsiz gegessen, eine typische Salami aus dem Engadin. Und nach dem Mittag ging es über die Alp Buggalora und Jufplaun eine sehr schöne Hochebene, in Richtung Lago di Livigno. Ein strahlend blauer Stausee war zu sehen, als wir durch den Nadelwald bergab rollten. Ein schöner Singeltrail, der roch wie Omas Fichtennadelbad in meiner Kindheit. Optische und olfaktorische Hochgenüsse. Und dazu noch das Radeln und schöner Sonnenschein. Was will ich mehr?

Ggf. direkt nach Livigno fahren. Denn obwohl wir den See schon sahen, hieß es noch einen Bergrücken zu überqueren. So mussten wir vom Lago di San Giacomo noch über die Alpe Trela hin zum Trela Pass auf 2295 Meter fahren. Die ersten 400 Höhenmeter waren eine Qual für mich, so dass ich schob. Nach der Alpe ging das Fahren besser und ich erreichte mir wenigen Schiebepassagen den Pass. Der Tag war vollbracht.

Denn von nun an sollte es bergab gehen. Alle Anstrengungen waren vergessen, dann der Singeltrail, der sich über mehrere Kilometer ins Tal schlängelte, war jede Anstrengung wert. Es war einfach ein saugutes Gefühl. Denn dieser Trail brachte uns auch der Latteria di Livigno näher. Dort, wo es das Eis des Tages geben sollte. Und das Eis war gut. Auch wenn der liebe Gott noch einen Anstieg von ca 70 Höhenmeter voraus gesetzt hat, so gingen die letzten Meter Trail in Richtung Lago di Livigno und Eisdiele richtig schnell.

Um 16:58 Uhr hatte ich meine 3 Kugeln Eis im Becher zwischen meinen verdreckten Beinen und aß esgenüsslich. Der Abend endete jedoch mit einer Enttäuschung. Meine Schuhe waren kaputt und ich musste neue Schuhe kaufen. Schuhgröße 47 mit hohem Spann und breiten Füßen. Hierfür in Italien Schuhe zu erhalten ist fast unmöglich. So musste ich Größe 48 kaufen. Das war nicht optimal, aber meine einzige Chance. Die Cleats noch befestigt und so hatte ich Schuhe für morgen.

Der zweite Wehmutstropfen hieß Herpes labialis. Lippenherpes! Dieser Virus, der seit meinem 27. Lebensjahr immer mal wieder ausbricht tat es nach der anstrengenden Etappe. Auch wenn ich Creme und Pflaster dabei hatte, so wird das keine Freude, mit Herpes, welcher meine Ober- und Unterlippe befallen hatte, die nächsten beiden Tage zu Radeln. Ich war schon sehr traurig.

Aber wichtiger war der Stolz über die erbrachte Leistung. Vor dieser Etappe hatte ich Respekt und habe sie ohne Probleme hinter mich gebracht. Und dazu noch Freude gehabt. Was will ich mehr?

Kurz vor der Alp Astras der höchste Arvenwald Europas
Der alpenhauptkamm ist erreicht: Pass da Costainas
Hoch über dem Val Müstair ein schöner Blick auf den Ortler
Feinster Singletrail – und so einsam
Nicht ganz so einsam unsere Gruppe bei der Abfahrt zum Ofenpass
Jufplaun in Richtung Livigno
Von der Alp Trela zurückblickend
Tolle Landschaft vor dem Passo Trela
Das Eis in der Latteria di Livigno. immer ein Stop wert.
Bye Bye. Das war es mit dem Schuh