Der See kann kommen

Posted on

Nun ist es Sonntag und ich bin schon wieder zu Hause. Ich habe aber noch gar nicht den letzten Tag beschrieben, was ich hiermit nachholen möchte. Die letzte Etappe unserer Transalp sollte uns von Silvaplana, wo wir im Hotel Chasa Sur Lej geschlafen haben, nach Colico am Comer See führen. Die Etappe versprach nichts richtig Aufregendes mehr.

Die richtigen Alpeneindrücke ließen wir spätestens am hinter uns. Bis zum Maloja Pass genossen wir jedoch das gemütliche Radeln entlang der Oberengadiner Seen. Wir rollten ganz locker von Silvaplana an Sils Maria entlang, um dann auch irgendwann in Maloja anzukommen.

Da wir wie so häufig in der Woche gegen 09:00 Uhr los radelten, und in Richtung Süden fuhren, war es ganz natürlich, dass die Sonne aus dem Osten naturgemäß die Westseite des Oberengadins beschien. Wir radelten jedoch östlich des Silvaplanasees und nachfolgend des Silsersees entlang. September ist nicht Juli und so fröstelte es mich schon nach einigen Metern, als wir in den Radweg zum Silvaplansee einbogen. Kunststück- hatte ich doch sämtliche warme Sachen aus meinem Rucksack entfernt. Wir fuhren ja in die Sonne. Ca. 1600 Höhenmeter bergab. Das bedeutet über den Daumen 16 Grad mehr als hier oben in den Bergen. So fuhr ich mit kurzer Hose, kurzen Trikot bei gefühlten 9 Grad Celsius (oder 10 Grad) im Schatten. Wer zu dumm ist, den bestraft einfach das Leben.

Die Fahrt war entspannt, wir schauten noch kurz das Haus ins Sils an, in dem Nietzsche einige Sommermonate verbrachte (Danke Andreas, dass Du uns darauf hingewiesen hast). Nebenbei konnten wir beobachten, dass auch Pferdekutschen rückwärts einparken können. Und zwar ohne Rückfahrkamera und Rückspiegel im 90 Grad Winkel.

Die Luft wurde wärmer, einige Sonnenstrahlen erwischten uns auch und wir genossen noch den Blick auf die Quelle des Inn über Maloja. Robert sprach einen Schweizer Milchbauen an. Aber so richtig gesprächig war er nicht (oder die Antwort kam erst heute -was wir naturgemäß nicht mehr mitbekommen haben-, da die Schweizer ja sehr behäbige fast langsame Menschen sein sollen). Eine ältere Dame in einem geschätzten Alter von 70 Jahren goss ihre Blumen. Hierzu stieg sie auf eine Bierzeltgarnitur-Bank um nachfolgend auf einem 15-20 Zentimeter breitem Wandvorsprung am Haus zu stehen, damit die Blumen im Blumenkasten vor dem Fenster auch Wasser bekamen. Das sah schon sehr gewagt aus, jede Arbeitsschutzfachkraft hätte einen Herzinfarkt bekommen. So half ich dann der Dame, weil ich einfach Angst hatte, sie könnte herunterstürzen und sie würde sich verletzen. Der Dank war mir sicher mit der Bemerkung, dass das normalerweise die Nachbarin macht. Das verringert ja die Gefahr des Blumengießens nicht im geringsten, ist nur dann das Problem der Nachbarin.

Nun ging es aber in Maloja bergab. Wir mussten Straße fahren und konnten knapp 400 Höhenmeter bis zur nächsten Ortschaft Casaccia rollen lassen. Wir waren im Bergell und gefühlt waren nun die Alpen hinter uns. Robert fand noch den ein oder anderen schönen Weg abseits der Straße aber die Berggefühle der letzten Tage waren bei mir nicht mehr vorhanden. Wir waren quasi über die Alpen gekommen ohne Panne und große Verletzung. Das sollte sich auf der Etappe, die wir eigentlich nur locker radeln wollten, ändern. Erst hat sich unser Mitstreiter Martin an seiner Scheibenbremse verbrannt. In Kalifornien würden Menschen für so ein Branding viel Geld bezahlen, doch ärgerlich -wenn man das so lapidar sagen darf- ist es allemal. Ggf. ist auf der letzten Etappe die Konzentration bei dem ein oder anderen auch nicht mehr da gewesen. Bei mir hatte ich manchmal das Gefühl. Ich denke, dass die Narbe bleiben wird, aber nach eigener Aussage waren die Schmerzen wohl nicht ganz so groß – also Glück im Unglück.

Auch technische Probleme gab es noch zu beheben. Auf dem letzten Singletrail dachte ich mir noch “Bisher keine technischen Probleme, kein platter Reifen. Und an dieser Stelle hier hatten wir letztes Jahr zwei platte Reifen auf ein Mal”. Man soll es nicht beschreien, denn 5 Kilometer später entleerte sich mein Hinterrad innerhalb von 2-3 Sekunden. Somit hieß es für mich, Schlauchwechsel. Steffi und Andreas haben mir geholfen und so war die Sache nach 5 Minuten erledigt und wir konnten die Weiterfahrt nach Chiavenna fortführen. Wir waren schon ein gutes Team!

In Chiavenna Hier hieß es: Mittagspause in einer tollen Straßenwirtschaft neben dem Fluss. Die letzten schmackhaften Pizzoccheri fanden den Weg in meinen Magen. Zusammen mit einer Coke, die ich bestellte. Natürlich nicht PICCOLO, sondern GRANDE, es war ja sehr warm. Dass mir die Bedienung dann jedoch eine 1 Liter Cola-Flasche aus Glas auf den Tisch stellen wollte, irritierte mich doch sehr. Ich wollte ja nur nicht 300 Milliliter sondern einen halben Liter. Aber Andreas und Martin haben sich den Liter geteilt, weil es für mich dann doch zu viel war und ich habe mich dann mit einer Dose (was ich in Italien häufig in Restaurants gesehen hatte) zufrieden gegeben.

Nun hieß es Endspurt. Es ging über einen Radweg zum Lago di Mezzola. Hier wollten wir die finale Bergetappe angehen. Wir wagten den Aufstieg zu einer angeblich spektakulären Trasse über dem Lago di Mezzola. In etwa 900 Meter Höhe befindet sich der Tracciolino Trail – eine Trasse einer ehemaligen Schmalspurbahn durch 20 Tunnels. Diese Trasse wurde beim Bau eines Wasserkraftwerkes angelegt. Nach letzten Berechnungen haben wir auf 6,5 Kilometern 771 Höhenmeter überwunden. Und das in der sengen Nachmittagssonne Norditaliens. Ich war der Vorletzte oben. Da merkt man das Alter und auch den zu Ende gegangenen Wasservorrat. Ehrlich gesagt, hatte ich auch Schwierigkeiten, mich noch zu motivieren. Ich kannte den Trail, war ihn letztes Jahr schon gefahren und so war es für mich nichts neues. Trotzdem habe ich dann den Blick aus der Höhe auf den Lago di Mezzola und die Nordecke des Lago di Como genossen, bevor es zum Leidwesen meiner neuen Shimano Scheibenbremsen (die sich im Übrigen bestens bewährt haben) dann auch schnell wieder bergab ging.

Die letzten Kilometer in Richtung Colico am Comer See fuhren wir Straße. Es war mittlerweile kurz vor 18:00 Uhr und unsere Tour war am Strand von Colico zu Ende. Als Belohnung sprangen wir noch in das Nass des Comer Sees. Eine erfrischende Belohnung für die Strapazen der letzten Tage! Wobei Strapazen für mich eigentlich der falsche Begriff ist. Doch dazu in der Zusammenfassung morgen mehr.

Es war ein anderes Glücksgefühl, als bei meiner Ankunft in Colico nach meiner ersten Transalp. Ganz klar, das erste Mal ist immer etwas Besonderes. Aber ich war überglücklich und vor allen Dingen sehr zufrieden.

Abendessen und ein gemeinsames Eis mit den Radkollegen auf die heutige Geburt unserer Enkeltochter Luise rundeten dann den letzten gemeinsamen Tag unserer 8er Truppe ab.

Nun zum Abschluss dieses Tages noch einige obligatorische Fotos. Bis später zum Resumee der Reise…

Ullrich

Abfahrt i Richtung Maloja. Es war noch rehct kalt auf 1800 M ü.N.N.
Neben dem Radeln habe ich auch noch beim Blumengießen geholfen
Der Malojapass brachte uns ins Bergell. knapp 70 km liegen noch vor uns bis zum Ziel
Blick auf den Lago di Mezzola vom Tracciolino Trail
Es ist geschafft und wahr wunderbar! Ankunft am Comer See