Gegensätze

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Die letzte Woche war sicher die außergewöhnlichste Woche seit mehreren Jahren. Sie war anstrengend, bewegend, sorgenvoll, belastend aber auch schön, erfolgreich und auch voller positiver Momente. Das scheinen Widersprüche zu sein. Aber genau das ist es, was meine Gedanken bewegt.

Fangen wir also am 7. Februar 2021 an. Das ist der Tag, der mit Schnee begann, mit Schnee endete und die nächste Woche (und sicher noch weitere) bestimmen sollte. Es schneite unentwegt. Eine Natürlichkeit, die wir in den letzten Jahren sehr selten erleben konnten. Und schon gar nicht in der Menge, die die weiße Pracht nun in unseren Gärten, auf den Dächern und in den Straßen lag. Es fing ja schon am Sonnabend an. Nicht viel, eher das, was wir gewöhnt waren.

Ich habe mich auch an den „Alarmismus“ der Wetterwarnungen, die in den vergangenen Jahren verstärkt über verschiedene Kanäle kamen, gewöhnt. Häufig waren sie schwer gerechtfertigt. Und so dachte ich: „Es kommt doch sicher nicht so schlimm“. Richtig! Es kam schlimmer!

Hier schneite es, wie ich es so bewusst noch nicht erlebt habe. Und da geht es nicht um die Menge, sondern um die Menge pro Zeiteinheit. 70cm, 80 cm lagen an der ein oder anderen Stelle. Sicher auch noch unterstützt durch starken Wind.

Paar-Schippen, wenn man kein Single mehr ist

So schön der Schnee auch aussieht, so viel Ruhe, wie er versprüht. So belastend wurde er für mich seit Sonntag 07:00 Uhr. Zu dieser Zeit fing ich das erste Mal an, den ca. 50 Meter langen Gehweg um unser Haus herum auf einer Breite von 2 Metern zu räumen. Es lagen ca. 15 cm Schnee. Das Ganze dauerte knapp 45 Minuten. Frühstücken und nach zwei Stunden war der Weg schon wieder mit Schnee bedeckt. Also wieder raus. Wieder 100 Quadratmeter ca. 10 cm vom Schnee befreien. Rein in das warme Haus, etwas lesen und nach 2 Stundenging es wieder hinaus. So habe ich an jenem Sonntag sechs Mal den Gehweg um das Haus von Schnee befreit. Die Feuerwehr ging mittlerweile in eine Bereitschaft und ich ging recht müde und ohne die Arbeiten, die ich sonst am Sonntag erledigen wollte ins Bett. Nach 6 Schaufeleinheiten mit meiner Frau. Das ist modernes Paar-Schippen. Ich ging ins Bett mit der Gewissheit, dass ich am nächsten Tag einen Einsatzleitdienst bei der Feuerwehr übernehmen sollte und so sicher einiges zu tun haben werde.

Der erste Tag der Woche brachte um Fünf Uhr wieder das mittlerweile bekannte Schneeschaufeln. Die Nacht hatte wieder eine Menge Schnee gebracht. Mit dem Auto zur Feuerwache zu fahren, wo ich in Bereitschaft gehen sollte, war nicht möglich. So gingen Oskar und ich um 06:20 Uhr zu Fuß auf der einigermaßen geräumten Bundesstraße zur Feuerwache. Zu dem Haus, in dem ich in dieser Woche 56 Stunden gearbeitet habe. Erst für kurze Zeit als Brandmeister vom Dienst und nachfolgend als Mitarbeiter des Einsatzstabs. Aber damit verdiene ich ja nicht mein Geld. Die Arbeit für meinen Brötchengeber möchte ich auch nicht vernachlässigen. Und so komme ich bis zum Schreiben dieses Artikels hierfür auch noch einmal auf 30 Stunden. 86 Stunden Arbeit. Von Montag bis Sonnabend. Das ist das Los eines freiwilligen Feuerwehrmanns in dieser besonderen Situation. Und klar ist, dass es auch weitere Nachwirkungen hat. Denn alle beruflichen Themen der letzten Woche habe ich noch nicht abgearbeitet. Und so werde ich nächste Woche noch die ein oder andere Schaufel drauf legen, damit auch das erfolgt. Denn es geht ja nicht primär um die Anwesenheit, sondern um die Erledigung von Aufgaben in meinem Beruf.

An meinem Schreibtisch als Sachgebietsleiter S2 – Die Maske war nach 3 mehr oder minder unangenehmen Corona-Schnelltests in dieser Woche mein ständiger Begleiter auf Nase und Mund.

Ich beschreibe einmal kurz, wie die Woche ausgesehen hat: Die erste Schicht bei der Feuerwehr dauerte 26 Stunden. Trotz Corona-Schnelltest häufig mit FFP-2 Maske auf dem Gesicht. In den Nachtstunden nutzte ich einige ruhige Minuten, um Arbeit für meinen Arbeitgeber zu erledigen. Nach 26 Stunden konnte ich 3,5 Stunden schlafen. Denn dann hieß es wieder eine Telefonkonferenz durchzuführen. Meine liebe Sekretärin hatte die Vormittagstermine verschoben. Auf freie Nachmittagsstunden oder auch auf die nächsten Tage / Woche. Nun hieß es also 5 Stunden für den Arbeitgeber ins Zeug legen. Danach ging es wieder für 17 Stunden auf die Feuerwache.  Ich war überrascht, dass mir das Schlafdefizit keine Probleme verursachte und ich die Nacht von Dienstag auf Mittwoch nicht müde war, sondern im Stab durchgehend meine Aufgaben erledigte und Unterlagen / Dokumentationen zur Entscheidungsvorbereitung erarbeitete.

Ich war am Mittwochmorgen wieder zu Hause. 3,5 Stunden Schlaf mussten ausreichen. Denn auch am Mittwoch standen wichtige berufliche Termine an. Gleiches Spiel wie am Dienstag. Nur, dass ich nach den 5 Stunden meiner Regelarbeit im Home-Office dann auch entspannen konnte. Meine Frau wollte mich sehen, natürlich erfahren, wie die Lage ist und was ich getan hatte. Der Schlaf die Nacht war tief, wenn auch viel zu kurz. Nun holte mich mein Schlafdefizit ein.

Aber am nächsten Tag hieß es wach zu sein, denn ich musste 9 Stunden im Regelberuf arbeiten. Für die Nacht von Donnerstag auf Freitag war ich wieder als Sachgebietsleiter „Lage“ eingeteilt. So ging ich ab 20 Uhr wieder meiner Tätigkeit bei der Feuerwehr nach. Nun für 12 Stunden in der Schicht und eine Stunde für diverse Lagebesprechungen. Schon auf dem Heimweg um 08:30 Uhr machte ich über Mobiltelefon meine erste Telefonkonferenz. Und da viele wichtige Termine anstanden, ging es ohne Pause weiter in mehrere Telefonkonferenzen bis ich am Freitag nach 7 Stunden meine Arbeit für den Arbeitgeber beendete.  Ich war hundemüde.

Doch meine Mutter sorgte sich über Eiszapfen an ihrem Haus. Also dort noch schnell hin, Eiszapfen lösen und nachfolgend -es war mittlerweile 15:30 Uhr am Freitag- folgten 2 Stunden Schlaf. Die Nacht später ab 21:00 Uhr habe ich geschlafen wie ein Murmeltier.

Ich weiß, dass alle Einsatzkräfte von uns in der Technischen Einsatzleitung über den Brandmeister vom Dienst bis hin zu den Fahrzeugbesatzungen der Bereitschaft alle ihr Bestes in dieser außergewöhnlichen Woche gegeben haben. Auch die Helfer des THWs, die aus weit entfernten Standorten kamen, taten ihr Bestes. Ehefrauen haben Kuchen zur Aufmunterung und Verpflegung gebacken, der Oberbürgermeister brachte zur Motivation ein Frühstück vorbei und auch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung, mit denen ich zusammenarbeiten konnte, taten ihr Bestes. So ist das nun einmal in Krisensituationen!

Mir kamen während dieser Woche einige Gedanken. Gedanken, die ich schon in den einleitenden Worten angerissen habe. Gedanken der Gegensätze.

Wie häufig haben wir die letzten Jahre auf Schnee gewartet? Wie häufig haben wir keine weiße Weihnacht gehabt und wie sehnsüchtig warteten die Kinder auf die Möglichkeit, im Harz zu Rodeln. Dieses Jahr haben wir nun extrem viel Schnee. Und eigentlich ist Schnee auch wunderbar. Die Natur zeigt unter dem weißen Kleid ein anderes Gesicht. Der uns alltäglich umgebende Schall wird so herrlich durch den Schnee geschluckt. Und es entsteht eine Ruhe, die bei mir automatisch zur Entspannung führt. Entspannung, die ich auch in der Natur im Winter Wunderland oder auf meiner Mountainbiketour zum Brocken vorletzte Woche so genossen habe. Sie war auch eine Ablenkung von der zunehmend angespannten C-19 Situation.

Auf der anderen Seite habe ich nun die Kehrseite der Medaille erlebt. Wir haben Schnee, den wir in Maßen so schön genießen könnten. Aber in den Mengen führt er doch zu Problemen. Zu Stress. Bei Bürgerinnen und Bürgern und natürlich auch bei meinen Kameraden, die als Einsatzkräfte ihr Bestes gaben. Ich möchte davon berichten, wie unsicher, ängstlich eine Bewohnerin von Goslar war, weil ihre Tür weitestgehend mit Schnee verschlossen war. Sie hatte richtig Angst. Wie sollte sie aus dem Haus herauskommen, wenn dieses in einem Notfall nötig war. Das war sicher purer Stress. Und genauso ging es sicher der netten Dame vom Bäcker, die nun nicht mehr mit dem Auto den langen Weg zur Arbeit fahren konnte, sondern eine Richtung zusätzliche 45 Minuten investieren musste, um richtig früh zur Arbeit zu kommen und nachfolgend wieder nach Hause zu fahren. Aber da war doch auch noch der Arzt, der dringend ins Krankenhaus musste und sich mit dem Auto festgefahren hat. In diesem Zusammenhang gilt es auch an die Patienten zu denken, die in Rettungswagen lagen, die sich im Schnee festgefahren hatten und von der Feuerwehr befreit werden mussten. Auch sie und ihre Angehörigen haben sicher eine Belastungssituation erlebt, die ganz und gar nichts mit der Entspannung und Schönheit, die ich oben beschrieben habe, gemein gehabt hat.

Aber auch die Belastung Arbeit als Einsatzkraft und im Zivilleben, wenig Schlaf, Druck der Organisation der Hilfe haben mich in den letzten 5 Tagen auch nicht an Entspannung, friedliche Natur und Ruhe denken lassen. Auch die Sorge, welche Prioritäten wir wohl bei der Räumung von Straßen setzen sollten, ist ganz und gar nicht einfach. Treffen wir zusammen die richtigen Entscheidungen? Was, wenn sich die von uns priorisierten Straßen als die falschen herausstellten? Wenn eine Schnelle Anfahrt von Einsatzkräften in anderen Bereichen notwendig sein sollten? Haben wir alles richtig gemacht? Auch das sind Gedanken und Situationen, die mit Entspannung so gar nichts zu tun haben. Denn eines ist klar: Die so außergewöhnliche Situation war nicht ohne Priorisierung und somit auch zeitlichen Verschiebungen (die lange dauern konnten) in den Griff zu bekommen. Und einige Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt mussten dann länger auf freie Straßen warten.

Der zweite Gegensatz, der mich seit zwei Tagen gedanklich umtreibt betrifft die unterschiedlichen „Strategien“ mit der Sondersituation umzugehen. Ich habe auf der einen Seite Einsatz und Verantwortung gesehen. Auf der anderen Seite jedoch auch Konsum und Besserwisserei. Den Unterschied kann ich leicht beschreiben: Während die einen Kälte beim Arbeiten und Hilfe geben in der Stadt verspürten, konnten sich andere bei Wärme der der Besserwisserei und dem Konsum auf dem warmen heimischen Sofa hingeben.

Ich mache dieses wieder an zwei Beispielen fest. Am Montag wollte ich mir als derjenige, der für die Lage zuständig ist, ein eigenes Bild davon machen. Bisher war ich auf Aussagen und Bilder von unseren Erkundern angewiesen. So fuhr ich mit einem Allrad-Feuerwehrfahrzeug, welches mit Schneeketten versehen war, in die Innenstadt. Ich wollte einige Hauptstraßen in Augenschein nehmen, damit ich meinem Kameraden und Freund Frank, der das Sachgebiet „Einsatz“ leitete, die richtigen Informationen zur Entscheidungsfindung geben konnte. Denn es ging darum, in welcher Reihenfolge Straßen vom Schnee zu befreien waren. Wir fuhren also in die Oberstadt. Und dort passierte es. Wir haben uns trotz Allrad und Schneeketten festgefahren. Das Fahrgestell lag auf dem Schnee auf. Nix ging mehr. Auch die Unterstützung unseres Teleskopladers, der sich als Wunderwaffe in diesen Tagen entpuppte, half nicht. Das Fahrzeug steckte fest.

Als wir uns festgefahren hatten, schneite es wieder stärker. Die Temperatur war weit weit unter 0 Grad Celsius. Und nach Abbruch der Bergung mittels Teleskoplader halfen Bewohner beim Freischaufeln.

Wir haben uns für die Unterstützung eines Radladers entschieden, der uns befreien sollte. Das dauerte noch. Also haben wir angefangen, das Fahrzeug weiter mit Schneeschaufeln auszubuddeln. Nicht wir alleine. Nein! Viele Nachbarn haben meinem Fahrer Christian geholfen, während ich die anderen Straßen nun zu Fuß erkundete. Das ist nicht selbstverständlich. Und es ist auch nicht mehr die Regel. Ich bin denen, die sicher auch Sorgen und Nöte hatten, sehr dankbar! Das ist Einsatz und Hilfe und auch Verantwortung übernehmen.

Ein weiteres Beispiel ereilte mich bei meiner Mutter. Der Weg vor ihrem Haus war so hoch mit Schnee bedeckt, dass sie das Haus nicht verlassen konnte. Als ich zwischen meinen unterschiedlichen Arbeiten kurz zum Schnee schaufeln dort vorbeifuhr, sah ich eine Dame. Sie schaufelte Schnee vor dem Haus meiner Mutter. Meine Mutter wusste davon nichts. Ich kannte die Nachbarin nicht. Meine Mutter auch nicht. Das ist es auch, was ich in diesen Tagen häufig beobachten konnte: Eigeninitiative und Nachbarschaftshilfe. Also hier wieder Verantwortung übernehmen und Einsatz zeigen.

Aber es gibt auch die andere Seite. Leider. Nach der obigen Situation des festgefahrenen Feuerwehrfahrzeuges kamen zwei Männer des Weges. „Ihr seid doch zu blöd“, das musste ich mir anhören. Ich war angewidert, habe aber freundlich erwidert, dass wir uns gar nicht festgefahren hätten, wenn sie zur Schaufel gegriffen hätten, und die Straße mit geräumt hätten. „Nehmen Sie sich eine Schaufel und helfen Sie den Leuten hier“. Das sagte ich. Doch das war es nicht, was sie hören wollten. Es ging weiter „Ihr könnt ja nichts,…Der Bürgermeister kann nichts“. Ich bat sie, die Einsatzstelle zu verlassen und anderen zu Helfen, da ich keine Lust mehr hatte, mir die dummen Kommentare anzuhören. Aber so ist das, nicht jeder ist ein Freund von Hilfe, Einsatz und Verantwortung.

Genauso wenig hilfreiches Engagement und Verantwortung habe ich in einer Aktion einer Fraktion des Stadtrats gesehen. Da wurde in der Lokalzeitung kritisiert, dass Ortsteile nicht geräumt sind und so einiges schief läuft. Und das liegt natürlich nur an der Verwaltung und seinem Verwaltungschef (OK, ich verkürze hier ggf. unzulässig).  „Liebe Politikerinnen und Politiker..“ mag man sagen. Das ist nicht der Zeitpunkt für Wahlkampf und Besserwisserei. Das ist der Zeitpunkt um anzupacken, Eigeninitiative zu entwickeln und dann auch, wenn schon viele Beschwerden eingehen, den Bürgerinnen und Bürgern auch mal Eigenhilfe als Rat zu geben. Auch ich als Feuerwehrmann, der hart gearbeitet hat und weiß, wie schwer Entscheidungen in diesen Tagen gefällt worden sind, fühle mich getroffen von der Kritik zur Unzeit. Im Übrigen weiß ich, dass sich auch viele meiner Miteinsatzkräfte über den Zeitungsartikel, in dem die Kritik der einen Fraktion geäußert wurde, sehr geärgert haben. So sieht keine Unterstützung für die aus, die für die Stadt kämpfen. So sieht keine Verantwortung aus.  Einsatz schon gar nicht. Ich hätte mir dann schon eher gewünscht, dass nachgefragt wird. „ Wie ist die Lage? Wie ist der Gesamtüberblick?“ Wie kann ich helfen, wie können wir helfen? Auch ein Kuchen wäre eine gute Motivation gewesen. Und dann nicht reden, sondern machen!. Auch würden Kenntnisse über die Abläufe in solchen Krisensituationen helfen. Denn wie heißt es so schön: „Wissen macht Ah!“

Ich sage nicht, dass es keine kritische Aufbereitung nach jedem außergewöhnlichen Einsatz nach jeder besonderen Situation geben muss. So auch hier. Denn nach der Lage ist vor der Lage. Aber das muss zu passender Zeit geschehen. Und noch während einer Lage und der Situation erscheint mir mehr als ungünstig. Nach dem Einsatz ist nach meiner Erfahrung die Zeit, in Ruhe zu analysieren. Da kann dann auch Wissen aufgebaut werden und unnötige Zeitungsartikel vermieden werden. Aber das lässt sich gegebenfalls nicht so gut

Nun heißt es aber, die negativen Eindrücke und die Betroffenheit beiseite zu legen und wieder die positiven Seiten des Schnees zu sehen. Also gehe ich in die Natur, wandere im Harz und labe mich an den schönen Seiten des Schnees, der Sonne und der schön klaren Luft. Bis zum nächsten Mal hier…

Für das Beitragsbild bedanke ich mich bei Markus Ritter, der mir dieses Bild dankenswerterweise überlassen hat