Der Sommer 2021 neigt sich dem Ende und so für mich auch die Hauptsaison des Radelns auf meinem Mounteainbike. Hatte ich mir zum Ziel gesetzt, 2021 vier Mal über die Alpen zu radeln, so ist daraus leider nichts geworden. Nach der dritten Tour war ich angesichts wunderbarer Eindrücke von drei schönen Reisen schon freudig auf die letzte und vierte Radreise zum Gardasee gespannt. Doch ein blöder Virus verhinderte letztlich, dass mich mein altes Mountainbike über Stock und Stein zum Gardasee bringen sollte.
Nun gut, dreimal ist auch eine Nummer. Doch drei Mal über die Alpen? Ist das nicht langweilig? Das müsste jeder für sich selber beantworten. Auch wenn ich teilweise Wege gefahren bin, die ich schon einmal unter den Reifenstollen hatte, so war es mir nie langweilig. Im Gegenteil: Jede Fahrt war anders. Kunststück, denn es waren jedes Mal komplett andere Rahmenbedingungen.
Während ich Anfang Juli erstmalig als Mountainbikeguide eine tolle Gruppe von Garmisch zum Comer See führen durfte, war es nachfolgend Ende Juli eine Tour, die ich zur Silberhochzeit nur mit meiner Ehefrau fahren durfte. Es spricht für sich selber, dass dieses grundlegend andere Eindrücke nach sich zieht. Im August war es mein ungleich jüngerer Sohn, der mich mit seiner Kondition und seinem Fahrvermögen dann doch das ein oder andere Mal an die Grenzen brachte. Und auch das war natürlich mit keiner der anderen Reisen vergleichbar.
Aber es sind nicht nur die Menschen, die so unterschiedliche Eindrücke, Gedanken und Gefühle produzieren. Bei jeder Fahrt kommen neue Eindrücke dazu. Das Wetter ist anders, die eigene Verfassung ist auch nicht täglich gleich. Und natürlich trifft man auch auf der Tour unterschiedliche Menschen. Was hatte ich nicht für eine geile Truppe, die ich zum Comer See begleiten durfte? Einfach dufte!. All das führt zu vielfältigen Aktivitäten im Gerhin. Aber die Hauptsache für mich sind immer wieder die wunderschönen Eindrücke, die mir Mutter Natur (ist das jetzt politisch korrekt, oder müsste es Eltern (m/w/d) Natur heissen?) in der -für mich- schönsten Region Europas ermöglicht.
Kommen wir mal zu den Eindrücken. Wie war das doch gleich, als ich mit Felix über den Fimberpass zwischen dem Winter-Touristen-Mekka Ischgl und dem ruhigen Val Sinestra fuhr? Es war neblig, verhältnismäßig kühl und wir waren komplett alleine.
Das ist gar kein Vergleich mit meiner Überquerung des Fimerpasses vor zwei Jahren. Dort hatte ich zwar noch Schneefelder, von denen ich in diesem Jahr verschont geblieben bin. Aber immerhin hatten wir seinerzeit strahlenden Sonnenschein. Dass diese zu komplett anderen Stimmungen führen kann, mag man mit den Bildern, die ich meinem damaligen Bericht aus dem Jahr 2019 geteilt habe, nachvollziehen.
Zum Sonnenschein kann ich auch grundsätzlich sagen: Bis zu diesem Jahr hatte ich ja auf meinen Radtouren über die Berge überwiegend gutes Wetter. Doch es scheint, dass ich den Regen der letzten Jahre in diesem Jahr nachgeholt habe. So richtigen Sommer und dauerhaft strahlenden Sonnenschein, wie dieses in den letzten Jahren die Regel war, hatte ich in diesem etwas anderen Sommer selten.
Ich erinnere mich noch gut an die regnerische Fahrt Von Ischgl nach Scuol, als ich erstmalig eine Gruppe zum Comersee führen durfte. So durchnässte Schuhe, wie an diesem Tag hatte ich selten. Der komplette Bericht ist hier zu lesen. Auch der im gleichen Bericht beschriebene Gewittereinbruch am Costainas-Pass war für mich eine neue Erfahrung. Auch wenn es meine zweite Gewitterbegegnung auf einer ungeschützten Hochebene beim Radeln war (die erste ereignete sich im Jahr 2018 in den Dolomiten) , so hatte ich dieses Mal eine Gruppe dabei, für die ich verantwortlich war. Und das ist schon eine andere Herausforderung, als wenn ich alleine unterwegs bin.
Aber auch auf meiner Silverhochzeits Radtour hat mich in diesem Jahr mehrfach starker Regen erwischt. Trotzdem waren die entsprechenden Etappen (wer diese Etappen nachlesen möchte, findet einen Bericht über die Fahrt von Grainau nach Tarrenz, über Regen im Unterengadin und zu einem Regenguß vor dem letzten Pass nach Livigno auf dieser Seite) von eigener Schönheit.
Die Erinnerungen an Regentage, die nassen Schuhe, und die (trotz guter Regenausstattung) durch Schweiss durchnässten Trikots dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass ich auch in diesem Jahr sonnige Etappen und Eindrücke hatte. Die folgenden Bilder geben nur einen kleinen Überblick über das, was mich in schönstem Sonnenschein während meiner Bergfahrten immer wieder beeindruckt hat und so unendlich klein erscheinen lässt.
Auch der Blick für Kleinigkeiten war vorhanden Hoch über dem Val Müstair Wunderschöne Bergwiese im Hochsommer Sonne hoch über dem Berninamassiv Hoch über Livgno auf einsamen Trails
Ich sprach oben schon von unterschiedlichen Verfassungen, die die gleiche Etappe an verschiedenen Tagen komplett unterschiedlich erscheinen lässt. Ich möchte das am Beispiel meiner diesjährigen Fahrt oder besser dem Spaziergang durch die Uina Schlucht darstellen. Drei Mal bin ich bisher durch die Uina-Schlucht gegangen. Einmal bergab, einmal bergauf und in diesem Jahr wieder bergab.
Für diejenigen, die sich einen Eindruck der vorherigen Etappen durch die Schlucht machen wollen, sei mein Bericht “Klappt das auch mit Höhenangst?” aus dem Jahr 2017 und der Bericht aus dem Jahr 2018 empfohlen. Wie dem auch sei, dass ich Höhenangst habe ist bekannt. Woher sie kommt, weiss der Teufel oder auch die Teufelin. Aber bisher hatte ich die Schiebepassagen durch die Schlucht immer gut gemeistert. In diesem Jahr – ich weiss nicht, woran es lag- war dem nicht so. Ich habe mich so unwohl beim herab gehen gefühlt, wie noch nie auf einer Radtour. Und vor allen Dingen auch wie ich das 2017 und 2018 nicht vermutet hätte. Mein Blutdruck war wahrscheinlich jenseits einer gesunden Grenze und mein Puls war dauerhaft trotz leichter Bergabwanderung stets bei ca 120 Schlägen pro Minute. Ich dachte, ich hätte die Höhenangst einigermaßen unter Kontrolle. Aber dieses Jahr war es nicht so. Gerade an den offenen Stellen, an denen ich weit über 100 Meter steil bergab schauen kann, kam ich doch an meine Grenzen. Der Kopf sagt “es kann ja nichts passieren, Du schiebst doch Dein Fahrrad nur”. Doch irgendwelche neuronalen Verbindungen sagen im Hintergrund das Gegenteil.
Ja, man kann abstürzen dort – wenn man radelt. Aber beim Schieben des Fahrrads kann eigentlich nichts passieren. Und so ist es ja auch die Regel, dass die Uina-Schlucht nicht befahren werden darf. Felix und ich hielten uns an die Regeln. Dass es aber immer wieder Idioten gibt, für die Regeln zu brechen sind, haben wir am Ende unserer Tour gesehen. Da radelten doch zwei Deppen den in den Fels gehauenen Weg herunter. Ich finde das rücksichtslos für Rettungskräfte. Denn wenn sie einen abgestürzten Radler retten oder bergen müssen, bringen sich diese Kräfte ebenfalls in Gefahr. Da muss nicht sein! Hätten die Radler wenigstens einen fähigen Eindruck hinterlassen.. Aber was sie dort produzierten sah unsicher aus. Ganz Harakiri. Und der mit Blut verklebte rechte Unterarm beim zweiten Radler sprach auch so Bände. Ein weiterer Eindruck, dass Dämlichkeit nirgendwo halt macht.
Hier sind die depperten Radler zu sehen Die Schlucht mit dem Felsenweg ist beeindruckend und für mich erdrückend Als Mensch ist man so mächtig klein Am Eingang der Schlucht ist es noch übersichtlich Vor der Uina-Schlucht hinter der Sesvenna Hochebene
Ich habe bisher viel über Abwechselung gesprochen. Was aber trotz aller Unterschiede jedes einzelnen Tages auf dem Rad bleibt, ist immer die Freude, die Natur zu genießen. Der Stolz, eine gewisse Leistung zu bringen. Und auch die positive Entwicklung meiner Fahrfähigkeiten über die Jahre ist es, was mich freudig strahlen lässt. Ich erinnere mich noch gerne an meine erste Fahrt in das Val-Sinestra im Jahr 2015. Der Weg vom Fimberpass ließ sich für mich gut an. Doch verglichen mit der Fahrt in diesem Jahr war ich doch verhältnismäßig unsicher. Ganz anders als dieses Jahr.
Felix, der alleine durch sein Alter und seine Beruf eine andere Athletik hat, zog natürlich auch ein wenig. Wir radelten in das Tal hinein. Und der Trail machte unheimlich viel Spaß. Ein Unterschied zur Fahrt 2015 wie Tag und Nacht. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Felix und ich nicht nur ob der schönen Landschaft, sondern auch angesichts der radlerischen “action” mit einem Grinsen vom linken Ohrläppchen bis zum rechten Ohrläppchen zur Mittagspause radelten. Diese legten wir beim von mir angesichts einer gewisen Ähnlichkeit mit dem Opa aus der Geschichte Heidi mit “Alm-Öhi” betitelten Chaspar Pramaran Michal in seiner Alpengaststätte (alpenbeizli) Tanna di Muntanella in Griosch ein.
Wie ich schon mehrfach beschrieben habe: Der wahre Alm-Öhi Ab ging es ins Val Sinestra Der Fimberpass liegt hinter uns Entspannung im Alpbeizli Tanna di Muntanella
Zurückkommend auf den Titel dieses Artikels “Same procedure as last year?”, so kann ich eigentlich nur antworten: Nein! Auch in diesem Jahr konnte ich unterschiedliche Wahrnehmungen genießen und Eindrücke verarbeiten. So dass trotz bekannter Strecken jeder Tag von neuer Spannung und neuen Gefühlen geprägt war.
Und so geht es nächstes Jahr -wenn es meine Gesundheit zulässt- natürlich wieder in die Alpen. Geplant ist schon eine Tour zum Gardasee und ich hoffe auch noch einmal durch den Schweizer Nationalpark radeln zu können. Schauen wir mal.
Ich bin glücklich und demütig, dass ich mit guter Gesundheit auch im zweiten Corona-Sommer die Natur genießen durfte. Ich bin mir dieser Privilegien bewusst. Es ist ein Privileg, so gesund zu sein. Ein weiteres Privileg ist es, auch die Mittel erübrigen zu können, drei Wochen auf einem Mountainbike radeln zu können. Aber zum Privileg gehört es auch, dass ich diesen Sommer wieder einmal die Freiheit genießen konnt. Die Freiheit ohne Grenzen und auch die Freiheit, mich in unberührter Natur aufhalten zu dürfen. Das ist nicht selbstverständlich. Und dafür bin ich ein weiteres Mal dankbar!
Zum Abschluss meiner Alpentouren möchte ich noch einige Bilder teilen, die ggf. zeigen, wie unterschiedlich die Eindrücke und die sich daraus entwickelnden Gedanken so sein können.
Ein kleiner Lichtblick nach regnerischem Wetter Schöne Wolkenschichtung in Tirol Satte grüne Wiesen hoch über dem Fimbertal Ein einsamer Weg bei Livigno (ja, gibt es so etwas?) Vermooster Weg im Vinschgau Wahnsinnige Wasserkräfte über über Partschins Auch beim Radeln kann man Grashülfer entdecken Doch sehr klein vor der zunehmend schmelzenden Gletscherzunge am Morteratsch Auch dieser Gletscher schmilzt zunehmend – erschreckend Eine Kuh mit Dickkopf. Sie ließ mich nicht vorbei radeln Auf dem Berninatrail harte Arbeit für die Federung Nicht nur Räder haben auch mal eine Pause verdient. Bei schönem Sonnenschein in Graubünden Der Mond scheint noch über dem Furcola di Lvigno Jufplaun im Schweizer Nationalpark, der Regen zieht auf Wer mag bei dem Anblick noch Wiener Schnitzel essen? Über dem Val Müstair Nach dem Regen… Im Hochsommer bei der Alp Campatsch Schweizer Nationalpark Salaaser Kopf – Grenze Tirol/Graubünden: Es war im Juli arg kalt. Auf der Grenze am Flimsattel in Ischgl Grenzkamm Ischgl – toll zu fahren Lärchenwald in Tirol Herrliche Farben des Eibsees Abgekämpft aufgrund meiner Höhenangst hinter der Uina-Schlucht Sonnenaufgang bei Pontresina Das hatten wir immer: Spaß