Wenn wir auch die Grenzen innerhalb Europas gar nicht mehr wahrnehmen, so gibt es sie doch noch. Und so haben sich Claudia und ich mal auf den Weg gemacht, ein lang gewünschtes „Abenteuer“ in die Tat umzusetzen. Wir wollten am Brenner-Grenzkamm entlang der Österreichisch/Italienischen Grenze entlang fahren. Der folgende Bericht und die beigefügten Bilder berichten davon, wie es uns ergangen ist.
Von unserer Urlaubsunterkunft fuhren wir erst einmal mit dem Zug zum Brenner. Das erschien uns am sinnvollsten, da zum Einen das Zugfahren dank unseres Urlaubstickets kostenlos ist, wir zum Anderen auch flexibler im Hinblick auf den Rückweg sein werden (was uns heute dann auch geholfen hat) und drittens einfach entspannter ist, als mit dem Auto am Brenner unnütz in die Parkgarage am Outlet zu fahren (die aber auch kostenlos ist)
So ging es nach gutem Frühstück um 07 Uhr mit dem Auto zum Bahnhof nach Brixen. Schnell noch einmal auf meinem Rad den Luftdruck geprüft, pünktlich am Bahnhof angekommen und trotz Bahnstreik in Italien kam unser Regionalzug pünktlich auf die Minute. Ein sehr sauberer Zug mit sehr vielen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder. Nur waren die schon alle belegt. Entweder mit Passagieren ohne Räder oder aber mit Fahrrädern. Sprich der Zug war richtig voll. So ging es in etwas stickiger Luft stehend vor der Zugtür mit unseren Fahrrädern in Richtung Brenner.
Dort angekommen war es recht frisch, Claudia machte ein Startfoto und es ging gleich auf einem Radweg bergab in Richtung Brennerbad. Ein „Willkommen in Südtirol“-Schild begrüßte uns dort, wo wir herkamen und in Brennerbad verließen wir den Radweg auf einen Waldweg. Hier begann die erste (und eigentlich einzige) Steigung. Es war ein Schotterweg, der durch die Regengüsse des letzten Tages noch sehr feucht war. Aber es hatte auch etwas Gutes: Da wir im Wald fuhren, war es im Hinblick auf die Temperatur gut auszuhalten. Es ging stetig auf teils recht rutschigem Untergrund bergauf. Die Fahrzeuge der Brennerautobahn sorgten für ein dauerhaftes Begleitgeräusch. Braucht man nicht.
Nun kamen wir an den ersten von mehreren Tunneln. Keine langen Tunnel, sondern eher recht kurze. Licht haben wir nicht benötigt und so sind wir schnell durch die 3/4/5/6 (ich weiss es nicht mehr) Tunnel gefahren. Und als wir den letzten Tunnel hinter uns gelassen hatten, war der Lärm der Pkw und Lkw von der Brennerautobahn nicht mehr zu hören. So kann es weiter gehen. Weiter ging es auch auf Schotter und wir machten noch ein Bild von der Brennerautobahn, die nun schon etwas weiter unter uns lag.
Uns überholten drei Mountainbiker. Alle mit Strom. Wie im Übrigen auch alle Radler die wir heute gesehen haben mit Stromunterstützung fuhren. Nur ich, Ullrich nicht. Ich war der einzige Radler, den wir heute gesehen haben, der noch ein klassisches Mountainbike ohne Motor und Akku fuhr. Ein Auslaufmodell? Na ja, mit 58 Jahren will ich das so nicht sagen.
Ich wünschte mir nach ca. einer halben bis dreiviertel Stunde allerdings ein Akku herbei. Denn beim Blick gegen den blauen Himmel und die grünen Wiesen sah ich die ersten Bunkeranlagen aus dem ersten Weltkrieg, die hier an der heutigen Grenze zwischen Italien und Österreich aufgebaut worden waren. Hierzu später noch etwas mehr.
Es lagen also noch einige Höhenmeter vor uns, bis wir diese Anlagen erreichten. Und es waren noch viele Meter. Die Wege, die von der Armee in den Berg gebaut worden sind, sahen alle gleich aus. Zick-Zack in Serpentinen ging es den Berg hoch. Scheinbar endlos! Sowohl in der Länge, als auch in der Höhe. Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, schnell voran zu kommen. Der Untergrund war teils sehr schotterig, teils aber auch schon fast sandig, so dass das Treten schwer viel. Die Sonne brannte mittlerweile unbarmherzig von oben auf uns herab, wenngleich die Temperaturen noch nicht ganz so hoch waren.Das lag wohl auch an der Höhe. Ich trat und trat und trat, und Claudia t(r)at das Gleiche.
Irgenwie hatte ich zwischenzeitlich gar nicht genug Luft. Claudia meinte, ich sei kurzatmig gewesen. Woher das auch immer kommen mag…. . Und ich fühlte auch, dass meine Performance zwischenzeitlich so für 15-20 Minuten nicht ganz so gut war. Aber so konnte Claudia teils vorfahren und auchFotos von mir machen.
Nach einer weiteren blöden, schottrigen Steigung kamen wir irgendwann an eine Kreuzung. Hier sahen wir auch das erste Bauwerk, das wohl von Menschenhand wahrscheinlich für den Krieg erbaut worden war. Was es war, hat mich nicht interessiert. Denn ich wusste nicht, wo es lang ging. Wir waren nämlich gar nicht mehr auf meiner geplanten Route – das zeigte der Blick aufs Navi. Egal, wir fahren links weiter, um den Bunkeranlagen oder besser Gefechtsanlagen näher zu kommen. Wir sahen eine größere Anlage noch etwas weiter oben über uns und wir sahen auch, dass der nachfolgende Weg sich wie die bisherigen Wege weiterhin gefühlt endlos nach oben schlängelte.
Über einem vermutlichen Schäferhaus, das recht hübsch in einer Kurve lag, kamen kleinere Armeebauten zum Vorschein. Claudia schaute nach links und sah eine Menge Ohren/Geweihe. Nun, das waren wohl die Ziegen, die vom Schäfer, der wohl das schöne kleine Blockhaus bewohnte, betreut wurden. Es sollten heute die einzigen Tiere sein, die wir sahen. Keine Kuh, kein Ochse, kein Murmeltier. Doch wir hörten Murmeltiere mit ihrem unvergleichlichen Warnrufen…
Nun ging das Fahren leichter. Ich hatte meinen Rhytmus, Claudia war gut drauf, wir waren schon recht weit oben und hatten einen wunderbaren Überblick in Richtung der Ötztaler Alpen und auch auf die bisher von uns befahrene alte Militärstraße. Doch wir waren noch nicht oben. Der Weg ging weiter aufwärts – fast geradeaus. So nutzten wir die Chance und machten noch das ein oder andere Foto von uns und auch den Bergen um uns herum. Ich nutzte die Chance, meinen Flüssigkeitshaushalt auszugleichen. Claudia meinte, ich hätte viel zu wenig getrunken – und wahrscheinlich hat sie damit auch recht. Im Gegensatz zu Radlern, die uns später bei der Abfahrt entgegen kommen sollten und gar keine Getränke, keinen Rucksack dabei hatten und fragten, ob eine Alm da oben offen hätte, habe ich aber genug Ernährung und Getränke dabei gehabt – wenn ich es denn gebraucht hätte 😉
Nach einer kleinen Rechtskurve kamen wir dann nach gefühlt endlosem Bergauffahren (es war nicht entlos und eigentlich war es auch gar nicht lang) zum ersten Militärbau. Irgendwie war es unwirklich hier mitten in der Natur, wo es doch egal ist, wem dieses Land gehört (wem gehört überhaupt Land?), Anlagen für kriegerische Auseinanderseztung zu finden.
Das Gebäude war natürlich leer. Nur einige Holzschwellen waren noch vorhanden. Claudia inspizierte das Gebäude schnell und wir kamen doch ins Grübeln, was das Ganze überhaupt soll. Udo Lindenberg sang mal „Wozu sind Kriege da?“. Und diese Frage stellte sich uns hier ganz plastisch. Aber das ist Gegenstand eines anderen Berichts.
Einige Erinnerungsfotos und schon ging es weiter, denn es wartete ja noch Steigung auf uns. Der E-Biker, der uns hier einholte fuhr mit „gehört“ maximaler Stromunterstützung nach einem Foto gleich weiter, als ob er entweder einen Preis gewinnen wollte, oder aber noch zum Einkaufen musste und Angst hatte, dass die Supermärkte in 30 Minuten schließen.
Nachdem auch wir noch einige Meter gefahren sind, schauten wir noch kurz zurück. Wir sahen auf dem Weg hier hoch im Übrigen auch noch das Schild, das zur Sattelbergalm führen sollte. Nun, die haben wir nicht gesehen. Ich berichtete ja schon davon, dass wir uns leicht verfahren hatten. und so fuhren wir die geplante Runde in entgegen gesetzter Richtung. Und das führte letztlich dazu, dass wir die Sattelbergalm gar nicht mehr zu Gesicht bekamen. Sei es drum…
Aber wir bekamen einen Grenzstein(?) mit der Aufschrift 1920 zu Gesicht. Die Jahreszahl erinnerte an den Abschluss des Vertrages von Saint-Germain, das die Abtrennung von Südtirol von Österreich-Ungern hin zu Italien besiegelte. Sicher nicht in Jedermanns Sinn. Auch heute noch nicht. Denn letztlich wurde hier Südtirol dem Land Italien zugeteilt mit allen nachfolgend wohl bekannten Auswirkungen inkl. einer autonomen Provinz, die Südtirol heute in Italien noch ist. Ggf. wäre das ja auch eine Lösung für die Ost-Ukraine bzw. das Donez Becken gewesen. Das kam uns wieder in den Sinn, als wir uns darüber unterhielten. Aber zum Thema Kriege wollen wir uns in einem anderen Blogeintrag kümmern… Doch war das Thema naturgemäß durch die Militäranlagen präsent.
Nachdem wir am Flachjoch kurz in Richtung Wipptal einen Blick geworfen hatten, ging es wiederum bergauf. Es hatte den Eindruck, dass wir den Wolken nah waren. Zumindest auf gleicher Höhe. Aber um uns herum und über uns war nix. Wir hatten strahlenden Sonnenschein und blauen Himmel. Auch im höchsten Punkt unserer heutigen Tour, den wir nach Passieren eines kleinen Sees erreichten. Hier kamen uns nun die ersten Mountainbiker entgegen. Bisher wurden wir ja immer überholt. Mit Strom und Freundlichkeit „Ciao, Come stai?“.. Wir passierten die 8 fröhlichen italienischen Biker und nun ging es bergab. Eine schöne Abfahrt wartete auf uns.
Nach der ersten Abahrt fuhren noch kurz auf das Sandjöchel hoch. Hier herrschte ein starker Wind, der uns angesichts durchgeschwitzter Trikots kurz frösteln ließ. Denn wir mussten natürlich einige Fotos hinunter auf die Steiner Alm, Burgeralm und Seealm im Obernbergtal machen. Und wir machten ein Foto, was wohl etwas komisch anmutet. Die folgenden Bilder mögen das unterstreichen. Denn wir standen mit einem Fuß in Österreich und mit dem anderen in Italien. Mit einem Rad in Italien, mit dem anderen in Österreich. Eine Grenze also, die man gar nicht merkt. Warum mussten dann seinerzeit Menschen sterben?
Wir machten noch ein letztes Foto, damit wir nicht zu sehr auskühlten und nun ging es bergab in Richtung Startpunkt. Claudia fuhr vor und entdeckte die nächste Bunkeranlage als erstes. Sie war schon recht zerfallen. Interessiert heute wahrscheinlich nicht mehr viele Menschen, ausser uns seltsam anmutenden Mountainbiker. Ich sah verrostete Fässer (ob da wohl noch etwas drin war?) und Claudia erkundete diese Anlage eher von innen. Das Beste war dort noch gar nicht ab…. 😉
Nun ging es aber endgültig bergab. Die Brennerautobahn, die wir hier oben natürlich gar nicht mehr hörten, im Auge, entschieden wir uns, nicht zurück zum Startpunkt zu fahren, sondern über Gossensass nach Sterzing zu radeln. Wir kamen noch an einem eingestürzten Haus vorbei, hätten gerne auf einer altertümlichen Bank Pause gemacht. Doch wir haben uns vorgenommen, erst in Sterzing eine Mahlzeit zu uns zu nehmen.
Im Tal angekommen ging es dann auf einem Radweg in Richtung Sterzing. Auf der Radroute 1 fuhren wir noch unter der Brennerautobahndurch, die wir auf der gesamten Tour häufig von weit oben gesehen hatten. Kurz vor Sterzing machte ich noch ein Foto von mir und meinem heute genutzten Drahtesel, das quasi Pflicht war.
Sterzing ershien uns pittoresk und wir gingen durch die Hauptstraße im Zentrum, in der wir uns dann auch noch ein kühles Getränk gönnten und ein super schmeckendes Eis -direkt aus dem Obstsaft gewonnen- kauften.
Claudias Lächeln zeigte am Ende unserer Tour entlang des Brenner Grenzkamms, das es eine gelungene Tour war. Wir hatten viel Freude, viel zum Erzählen über die Sinnlosigkeit des Krieges, der hier zu den historischen Militärgebäuden entlang des Grenzkamms führte, einige Herausforderungen sportlicher Art bei mir durch temporäre Kurzatmigkeit und ganz viele schöne Eindrücke von der Natur, die wir weitestgehend alleine genießen konnten. Und das ohne die Lautstärke das Fahrzeugverkehrs auf der Brennerautobahn, die auf der einen Seite ein Segen für die Logistik sein mag, aber ein Fluch für die Menschen, die in ihrer Nähe wohnen. Denn auch das haben wir gerade am Anfang unserer Tour gemerkt: Die Lautstärke entlang der Autobahn ist schon unerträglich. Und wer möchte da schon wohnen und seine Gesundheit dauerhaft lärmschädigen lassen?
Uns war das aber heute egal, denn wir freuten uns über eine gelungene Tour und einem weiteren Kreuz auf meiner bucketlist.