Prag ist nur Kulisse
Es war eine dieser Zugfahrten, bei denen man viel Zeit für sich hat – oder für seine Gedanken, je nachdem, was einem zuerst ausgeht. Im Dezember, irgendwo zwischen Dresden und Prag, saß ich alleine in der Dunkelheit in meinem Abteil. Dienstliche E-Mails? Abgehakt. Der Kalender? Auch überarbeitet. Es war sozusagen ein wenig Freiraum da. Das, was ich in der Regel so wenig kenne. Und ich freute mich auf Prag, die „Goldene Stadt“. Eine private Reise dorthin mit Claudia? Hatte ich bisher nicht hin bekommen. Das stand zwar schon ewig auf der Bucketlist, aber es sollte bisher nicht sein. Nun erwarteten mich zwei spannende berufliche Tage in der schönen Stadt an der Moldau.
Doch es soll hier nicht primär um Prag gehen, wenngleich es die im Folgenden geteilten Eindrücke, schon rechtfertigen würden, sich an dieser Stelle mehr mit Prag zu beschäftigen.
Prag war im 20. Jahrhundert ein wichtiger Schauplatz der politischen und kulturellen Veränderungen. Wie ein Theaterstück mit verschiedenen Akten und dramatischen Wendungen ist die Stadt immer wieder ein Ort, an dem sich große gesellschaftliche und politische Umbrüche vollzogen haben. So beschreibe ich im Folgenden auch über eine kulturelle Veränderung einen Umbruch mit dem Titel ‚Jenseits des Bildschirms‘ in verschiedenen Akten. Seid gespannt.
Der Vorhang geht auf
Die Moldau plätschert vor sich hin, und Smetanahs hierdurch inspirierte Musik klingt in unseren Ohren. Wir erwarten beim Öffnen des Vorhangs Bilder von der schönen Karlsbrücke, die krummen Gassen im jüdischen Viertel, die Burg, die St.Nikolai Kirche, der Altstädter Ring, das Gemeindehaus. Wir halten die Luft an – doch das Bühnenbild zeigt all diese Schönheiten nicht. Wir hören auch keine Musik von Smetana und werden nicht mit böhmische Köstlichkeiten versorgt.
Wir sehen lediglich eine große Uhr. Jene Uhr, die der entscheidende Anstoß zum nun folgenden epischen Bühnenstück war. Nein, der Gedanke zu den folgenden Zeilen kam mir nicht etwa in den Tiefen der sozialen Medien (mehr als logisch bei einem Blick Jenseits des Bildschirms), sondern von der echten Ikone am schon genannten Altstädter Ring, an die ich während der Fahrt in meinem dunklen Abteil dachte: Der astronomischen Uhr Orloj in Prag. Über 600 Jahre alt, ein wahres Meisterwerk der Uhrmacherkunst, das nicht nur die Stunde schlägt, sondern auch Sonne, Mond und Sterne tanzen lässt. Ja, natürlich sind da auch die zwölf Apostel und – wie könnte es anders sein – ein Skelett (auf dem folgenden Bild oben rechts), das uns allen fröhlich die Vergänglichkeit unseres Lebens ins Gesicht grinst. Subtil wie ein Vorschlaghammer, diese Uhr.
Irgendwo zwischen Dresden und Prag, während ich in nun den späten Tagesstunden über mein hoffentlich noch üppiges Zeitguthaben auf Erden nachdachte, schlich sich eine Erkenntnis in mein Bewusstsein: Es ist höchste Eisenbahn – die Zugmetapher hier hier erlaubt – bewusster mit dem „Hier und Jetzt“ umzugehen. Das „Hier und Jetzt“ heißt auch für den Wirtschaftsinformatiker Ullrich „Jenseits des Bildschirms„. Es ist das physische Leben, um das es geht. Du weißt schon, das mit den echten Menschen und Gesprächen, bei denen man nicht erst eine Antwort nach fünf Minuten durch den Filter jagt bzw. zwecks Auswertung durch den Filter gejagt bekommt.
Dabei hatte ich schon länger die Absicht, diesen Punkt auf meiner mentalen To-Do-Liste anzugehen. Genau gesagt, seit ich Jaron Laniers „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“ gelesen habe. Seit diesem Zeitpunkt bin ich hin- und hergerissen. Was mache ich mit mit dem nicht so realen Leben im „Hier“, den sozialen Medien? Und vor allem, was machen sie mit mir? Spoileralarm: Sie machen ziemlich viel und das meiste davon ist keine Wellnesskur für die Seele.
Also habe ich irgendwann den Mut aufgebracht, die unbequeme Wahrheit anzusehen – in Form meiner Bildschirmzeitstatistik. Ja, es gab diesen Moment, in dem mein Mobiltelefon mir mit ungerührter Neutralität sagte, dass ich in einer Woche 3 Stunden und 43 Minuten auf Instagram verbracht habe. Und 3 Stunden und 3 Minuten fielen in der gleichen Woche auf Facebook. Und da reden wir noch nicht einmal von XING, LinkedIn oder sonstigen Plattformen, die ich lieber auf dem Computer nutze, damit mein Handy nicht zu sehr ins Schwitzen kommt und meine Augen etwas geschont werden.
Die knapp 8h fehlen mir natürlich jenseits des Bildschirms. Es ist erschreckend, oder? Wenn man sich das vor Augen führt, stellt sich die Frage: Will ich das wirklich so weiterführen? Was ist der wirkliche Nutzen dieses „ganzen Arbeitstages“, den ich mit mehr oder minder (un)wichtigen(?) Bits und Bytes verbringe? Ist meine begrenzte Lebenszeit nicht zu wertvoll für digitale Hamsterräder, die mich mehr nutzen, als ich sie je nutzen könnte? Vielleicht ist es an der Zeit, die Algorithmen in den wohlverdienten Ruhestand zu schicken – zumindest was meine Freizeit betrifft.
Ein Drama in 10 Akten
Doch solche Fragen beantwortet man ja nicht einfach aus der Hüfte. Sondern strukturiert und strategisch. Und da startete ich mit der Frage, welche Risiken und Gefahren eigentlich in den glitzernden Fassaden dieser technologischen und gesellschaftlichen „Errungenschaften“, die uns das Silicon Valley so selbstbewusst als Fortschritt verkauft, lauern? Wir sprechen von den digitalen Ködern, die uns täglich dazu verführen, mehr und mehr Zeit auf Plattformen zu verbringen, die uns algorithmisch durchleuchten wie ein Flughafen-Scanner in Endlosschleife. Man könnte das auch programmatisch quasi als Art Algorithmus darstellen:
while (true) { Durchleuchtung };
Hier komme ich zurück zu Jaron Lanier, diesem scharfsinnigen Musiker, Autor sowie Informatiker, der die Virtuelle Realität schon weit nach vorne gebracht hat. Und trotz seiner Informatiknähe ist er doch auch Kritiker der „New Economy“ und stürzt sich in seinem Buch mit bemerkenswerter Konsequenz auf die dunklen Seiten des Social-Media-Geschäftsmodells. Und wenn ich „dunkel“ sage, meine ich keine schummrig beleuchteten Tech-Konferenzräume irgendwo im Silicon Valley, jenem südliche Teil der San Francisco Bay Area, der einer der bedeutendsten Standorte der IT- und Hightech-Industrie weltweit ist. Ich meine damit eher die Schatten, die diese Social Media Plattformen (im Folgenden häufig nur Social Media genannt) auf Individuen und Gesellschaft werfen können. Können wohlgemerkt – nicht müssen. Aber mal ehrlich: Wer von uns hat das Social-Media-Erlebnis schon als puren Zen-Zustand der inneren Ruhe erlebt?
Wie oben erwähnt habe ich versucht, Systematik ins Chaos meiner Gedanken zu bringen, und mir die zehn zentralen Kritikpunkte aus dem Buch geschnappt. Einige davon sind so plakativ dargestellt, dass sie förmlich auf ein T-Shirt gedruckt werden könnten. Doch bei drei Punkten, die mir besonders wichtig erscheinen, möchte ich doch im Folgenden etwas tiefer graben – keine Angst, nicht bis zum Algorithmus-Quellcode. Ziel ist es, die kurze, für mich persönlich relevante Zusammenfassung der Kritikpunkte darzustellen. Und es geht häufig darum, dass etwas passieren kann. Also Konjunktiv!
Und natürlich wäre ich nicht ich, wenn ich das Ganze nicht mit ein paar handfesten Maßnahmen abrunden würde – schließlich soll dieses hier vorliegende epische Stück Jenseits des Bildschirms ja nicht nur Selbstreflexion, sondern auch Lösungsansätze darstellen. Genug der Vorrede, steigen wir ein!
1. Social Media: Der Weg zum narzisstischen Zenit – oder ins soziale Nirwana?
Es gibt Dinge, die einen zum Schmunzeln bringen, und es gibt es Social Media –Plattformen für das egozentrische Bühnenstück des Alltags. Laut des klugen Kopfes von Jaron Lanier fördern diese Plattformen impulsives, aggressives und narzisstisches Verhalten. Passend für ein Drama in 10 Akten, oder? Nur warum tun sie das? Weil negative Emotionen, Streit und Drama zwar nicht nur die Würze des Bühnenstücks ‚Leben‘ sind, sondern hauptsächlich Klicks (das ist der moderne, monetarisierbare Applaus) bringen. Die entwickelten Algorithmen lieben das Drama mehr als Shakespeare, Schiller und Goethe zusammen.
Und seien wir ehrlich: Hast du jemals einen Post gesehen, der sagt: „Ich mag deine Meinung nicht, aber ich respektiere sie zutiefst“? Wohl eher selten. Stattdessen lautet das Motto oft: „Du bist bei mir, oder du bist böse“. Dass derlei Haltung nicht unbedingt zum sozialen Fortschritt beiträgt, dürfte klar sein. Aber hey, wer braucht Empathie, wenn man stattdessen Likes und Shares sammeln kann?
Das heißt zusammenfassend für mich: Social Media kann Dich zu einem schlechteren Menschen machen.
2. Dein freier Wille: Im Ausverkauf für ein paar Sekunden Aufmerksamkeit
Man stelle sich vor, man schlendert gemütlich durch einen Markt und plötzlich hängt einem ein Algorithmus am Ärmel, der flüstert: „Du willst das kaufen. Und das hier auch. Schau es Dir doch nochmal an. Und übrigens, Zahnpasta A ist gerade dein Ding.“ Klingt absurd? Willkommen in der Welt der Sozialen Medien. Hier wird dein Verhalten analysiert, dein Geschmack katalogisiert und deine Aufmerksamkeit monetarisiert. Je mehr Zeit du dort verbringst, desto mehr klingelt die Kasse – aber nicht Deine.
Diese digitale Dauerhypnose hat ein Ziel: Dich so lange wie möglich zu fesseln, wie auch ein gutes Bühnenstück. Nur ist das hier Stück Social Media gut? Es ist auf jeden Fall viel viel länger (siehe die Zeit oben). Doch wie macht man das? Wie fesselt man Nutzer? Ja nicht mit irgendwelchen Seilen. Nein, mit Emotionen! Vorzugsweise Angst und Wut. Die sind wunderbar klebrig, wie der Finger in einem Honigglas. Dass dabei dein freier Wille ein bisschen wie ein teures, aber nutzloses Accessoire wirkt, ist wohl unvermeidlich. Denn: Du entscheidest nicht, was du siehst – der Algorithmus tut es.
Und der Clou dabei ist: Es geht hier nicht nur um Zahnpasta oder Waschmittel. Es geht auch um Politik, Weltanschauungen und letztlich darum, wie du die Realität wahrnimmst. Dein Informationsraum wird kuratiert wie eine exklusive Ausstellung – nur ohne deine Mitbestimmung. Klingt schecklich düster? Willkommen im digitalen Käfig, wo der Ausgang immer ein bisschen weiter weg ist, als du denkst.
Ich habe das für mich einfach zusammengefasst: Social Media können Deinen freien Willen zerstören.
3. Social Media: Die Happiness-Diät – wie man sich digital unglücklich scrollt
Ach, Social Media, Du unendlicher Jahrmarkt der Vergleiche. Hier ein Strandfoto, da ein perfekt drapiertes Frühstück und irgendwo noch jemand, der mit einem Yoga-Handstand vor Sonnenuntergang prahlt. Eine tolle Mountainbiketour bis auf den Gipfel auf 3500 Metern Höhe, der Urlaub ins Südseeparadies, …. Kein Wunder, dass viele dabei ein Gefühl von Unzufriedenheit oder gar Minderwertigkeit entwickeln. Studien (ja, seriöse, mit echten Daten wie hier oder hier !) zeigen, dass intensiver Social-Media-Konsum mit einem erhöhten Risiko für Depressionen einhergehen kann. Nun, ich persönlich bin ja längst aus dem Alter raus, in dem ich mein Leben an Instagram-Filter oder Facebook, Tiktok,…-Trends messe – oder mich überhaupt vergleiche. Aber beim Blick auf die Zahlen frage ich mich doch: Ist diese digitale Selbstdarstellung am Ende ein riesiges Schwarz-Weiß-Fotoalbum voller „Mein Leben ist besser als deins“-Momente? Für manche offenbar schon.
Zusammenfassung für mich: Social Media kann Dich unglücklich machen.
4. Empathie im digitalen Winterschlaf
Ein kurzer Blick in die Kommentarspalten genügt, und man wünscht sich, die Menschheit würde kollektiv einen Crashkurs in Empathie belegen. Social Media hat die Gabe, Menschen nicht nur physisch, sondern auch emotional auf Abstand zu halten. Anonymität plus Distanz – die perfekte Rezeptur für Respektlosigkeit und Aggression. Und sind wir mal ehrlich, wer hat nicht mindestens einmal am Tag respektlose, dumme, aggressive und substanzlose Kommentare dort gesehen?
Natürlich findet man hämische Kommentare und Beschimpfungen auch in den sogenannten „seriösen“ Kommentarspalten von Qualitätsmedien. Kein Wunder, denn auch dort ist man quasi anonym und auf Distanz. Aber Social Media gibt dem Ganzen noch einen algorithmischen Boost. Schließlich landen diese verbalen Entgleisungen in der Profilbildung jedes einzelnen Nutzers. Und die wiederum – Überraschung! – die negativen Emotionen zurück in deine Timeline spült. Ein Teufelskreis aus Wut und Ignoranz.
Auch hier die persönliche Zusammenfassung: Social Media könnten Dich dich empathielos werden lassen.
5. Fake News: Das Fast Food der digitalen Informationsgesellschaft
Wenn sich Social-Media-Algorithmen für eins begeistern, dann für Sensationslust. Angst, Wut und Empörung sind die digitalen Clickbaits, die Algorithmen am liebsten ankurbeln. Gute, sachliche Inhalte? Nett, aber wer hat schon Zeit für Fakten, wenn es eine reißerische Schlagzeile gibt, die uns in drei Sekunden emotionalisiert?
Auch wenn der folgende Post, den ich letzte Woche angezeigt bekam, ja vielleicht ein wenig Schmunzeln hervorrufen könnte, so sind es genau diese (fehlenden) Inhalte die uns emotionalisieren.
Das Ergebnis? Eine schöne, digitale Filterblase, in der jeder seine eigene kleine Realität erschafft. Die Wahrheit? Ein bisschen zu komplex und langweilig, um viral zu gehen. Fake News hingegen sind perfekt verpackt für den schnellen Konsum. Und Studien zeigen, dass Falschinformationen schneller geteilt werden als echte Nachrichten (vgl. hier und hier).
Die Auswirkungen? Ein verzerrtes Weltbild, das geeignet ist, Misstrauen in Institutionen, Wissenschaft und die Gesellschaft anzuheizen. Und gerade in hitzigen politischen Zeiten – ob in Nord, Süd, Ost oder West egal– könnten gezielte Desinformationskampagnen gefährlich werden. Und ich würde keinen Finger ins Feuer legen, dass das nur durch uns nicht genehme Regierungen gemacht wird.
Hier fiel mit ein weiteres Bild ein, das ich ebenfalls generieren lassen habe und welches diese digitale Beeinflussung durch die Filterblase irgendwie gut darstellt.
Irgendwie riecht das ja danach, nicht heraus zu kommen und auch eine gewisse Abschirmung zu erfahren.
Zusammenfassung mal nicht im Konjunktiv: Social Media fördert Fake News und Desinformation.
6. Social Media: Deine Daten sind das neue Gold
Ach, die gute alte Privatsphäre. Ein Konzept, das im digitalen Zeitalter fast schon nostalgisch wirkt. Deine Daten? Sie sind die Eintrittskarte zur Social-Media-Party – und werden fleißig gesammelt, analysiert und weiterverkauft, während du noch über das perfekte Filter-Set für dein neuestes Foto nachdenkst.
Als jemand, der den 25. Mai 2018 (den Tag des Inkrafttretens der DSGVO) wie einen Mini-Reformationstag gefeiert hat, muss ich anerkennen: Es gibt Werkzeuge, die uns zumindest ein bisschen Kontrolle zurückgeben. Aber seien wir ehrlich – wer kennt denn wirklich seine Datenschutzrechte im Detail? Und wer scrollt sich wirklich durch diese labyrinthischen Datenschutzeinstellungen? Klare und verständliche Regeln? Eher ein Wimmelbild für Juristen.
Für mich heißt das – auch ohne Konjunktiv -: Social Media beraubt Dich Deiner Privatsphäre.
7. Willkommen in der Verhaltenswerkstatt
Social Media hat nicht nur deinen Namen und Geburtstag. Nein, die Plattformen haben auch die Macht, deine Aufmerksamkeit, Meinungen und Handlungen zu steuern – subtil wie der Zauberer von Oz, nicht mit irgendwelcher Magie. Nein, knallhart mit allen möglichen technischen Tricks (Algorithmen) gestalten sie die Bühnenhypnose. Lanier beschreibt, wie Unternehmen und politische Akteure dieses Phänomen geschickt ausnutzen, um aus Likes und Klicks bare Münze zu machen.
Die Methode ist simpel: Algorithmen analysieren dich, bieten dir maßgeschneiderte Inhalte und zack – kaufst du Zahnpasta B, überdenkst deine politische Einstellung oder likest einen Beitrag, ohne zu wissen, warum. Natürlich ruft dein innerer Skeptiker: „Ich doch nicht, ich bin viel zu clever!“ Aber dann kommen sie, die kleinen Dopamin-Belohnungsschleifen. Jeder Like, jeder Kommentar, jede Benachrichtigung – ein kleiner Glückskick, der dich zurücklockt. Und plötzlich stellst du fest: Die Stunden, die du mit Scrollen verbracht hast, waren häufig keine freie Entscheidung, sondern eine Lektion in digitaler Psychologie. Ziel erreicht: Du bist ein profitables kleines Schaltteil im großen Social-Media-Steuerkreis. Denn es ist so, dass unser aller Verhalten dort nicht mehr alleinig durch unsere eigenen Werte und Entscheidungen gesteuert wird, sondern durch das, was die Plattformen am profitabelsten finden.
Meine Zusammenfassung: Social Media manipuliert Dein Verhalten.
8. Social Media: Wenn Beziehungen auf der Strecke bleiben
Social Media – die Brücke, die Menschen verbinden soll, wirkt oft wie ein Labyrinth, in dem echte Beziehungen verloren gehen. Anstatt das Band zwischen uns zu stärken, servieren uns die Plattformen oberflächliche Interaktionen, hübsch verpackt in Likes und Emojis. Statt echter Gespräche gibt’s Kommentare in Häppchen-Form und irgendwann merkst du: Die Tiefe fehlt. Und dann sind da noch die oben schon genannten Filterblasen – diese digitalen Kokons, die uns vorgaukeln, wir seien bestens vernetzt, während sie uns in eine immer engere Gedankenwelt einsperren. Echte Begegnungen? Fehlanzeige. Manchmal ist Schweigen einfach lauter.
Meine Zusammenfassung: Social Media hat das Zeug, echte Beziehungen kaputt zu machen.
9. Kreativität trifft copy/paste
Social Media und Kreativität – klingt gut, oder? Leider belohnen die Plattformen oft nicht die originellen Ideen, sondern die, die bereits erfolgreich waren. Konformität ist König, Vorhersagbarkeit regiert. Und echte Kreativität? Die wird von Algorithmen gern mal auf die Reservebank gesetzt.
Ja, ich weiß, KI gehört auch zu den Verdächtigen. Diese hübschen neuen Tools, die Bilder generieren und Texte verfassen, könnten genauso gut als Kreativitäts-Bremse abgestempelt werden. Aber ich sage: Es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Wer die Tools clever nutzt, kann damit erstaunliche Dinge erschaffen. Bei meinen Kollegen habe ich gesehen, dass KI eine echte Inspirationsquelle sein kann. Doch wir wollten uns ja mit Social Media beschäftigen und nicht mit KI…
10. Überwachung im digitalen Schafspelz
Willkommen bei Big Brother 2.0, powered by Social Media. Plattformen, die uns so einladend vorkommen wie eine virtuelle Lounge, arbeiten hinter den Kulissen mit Akteuren zusammen, um uns ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Jeder Klick, jeder Post – ein weiteres Puzzleteil in deinem Überwachungsprofil. Irgendwo müssen ja die Milliarden herkommen, die so jährlich als Gewinn dieser Plattform aufgefahren werden. Und das sind – wie Du weißt – keine Nutzungsgebühren von Dir. Oder Doch? Ja, in Form von Daten. Ich schrieb das schon.
Auf meiner Zugfahrt nach Prag kam mir da wieder „1984“ von George Orwell in den Sinn – ein Buch, das damals als Schreckensszenario angesehen war, heute aber verdächtig wie ein Handbuch wirkt. Vielleicht hast du es gelesen, vielleicht auch nicht. Aber wenn nicht, könnte ein kurzer Blick auf den Wikipedia-Artikel schon reichen, um eine Gänsehaut zu bekommen.
Zusammenfassend: Social Media ist ein Werkzeug der Überwachung und Kontrolle, um damit Geld zu verdienen.
Das Schauspiel der Erkenntnis
So, das war bisher harter Tobak, oder? Fassen wir mal zusammen und bewerten das für mich, der ja im realen Hier und Jetzt sein Glück finden möchte?
1.Sollte mir nicht passieren, 2. Darüber kann ich als aufgeklärter Mensch nicht hinweg schauen, 3. Kann ich nicht ändern, will das aber auch nicht bewusst unterstützen, ohne dass ich hinlänglich selbstbestimmten Nutzen davon habe, 4.Kann ich mir bei mir nicht vorstellen, 5. Das macht mir wirklich Sorgen, 6. Nun, Datenschutz kann mühsam sein. Und wenn die Einstellungen nicht reichen, wird irgendwann Max Schremms um die Ecke kommen, 7. Ist ein Risiko, welches ich nicht eingehen möchte, 8. Habe ich keine Sorge, da ich primär lieber meine wenigen Freundschaften pflege, 9. Kann man auch positiv sehen und als kreativitätserweiternd nutzen, 10. Letztlich ist das doch die Kerngefahr, die ich nicht haben möchte. Denn wer sagt mir, dass die Daten immer bei den sozialen Medien liegen?
Was bedeutet das nun für mich, fragte ich mich nun im Zug irgendwo zwischen Dresden und Prag? Einfach ist das nicht. Vielleicht hätte ich nicht mit dem Denken beginnen sollen🤔. Aber es geht mir ja nicht darum, den perfekten Weg zu finden. Es ging mir darum, meine eigene Haltung zu finden. Und meine Gedanken sollten doch irgendwelche Konsequenzen haben! Nun, wer weiß das schon so genau, was die richtigen sind?
Aber ich ging den gedanklichen Weg weiter, denn ein bisschen Umdenken schadet bekanntlich nie.
Zunächst einmal bin ich mir der Gefahren bewusst, die mit der Nutzung von Social Media einhergehen. Ich würde sogar sagen, dass ich im Vergleich zu vielen arglosen Anhängern dieser Plattformen eine gewisse privilegierte Position einnehmen darf. Und ich meine das keineswegs negativ oder abwertend. Durch meine Ausbildung und meinen beruflichen Werdegang habe ich Perspektiven und Einsichten gewonnen, die mir eine differenzierte Sicht auf diese Thematik und Technologie ermöglichen. Und dafür bin ich sehr dankbar. Mein Bewusstsein, so hoffte ich ja irgendwie in den letzten Jahren, sollte mich ausreichend vor den Fallstricken schützen. Doch ist das wirklich der Fall? Ein Beispiel: Ich weiß, dass durch die Ausschüttung von Dopamin ein Suchtpotenzial besteht. Kann ich mich dem bewusst entziehen? Siehe meine Nutzungszeit oben. Wahrscheinlich also nicht hinlänglich, denn diese biologischen Mechanismen wirken tief und unterschwellig – und darauf haben wir oft nur begrenzt Einfluss.
Apropos unterschwellig: Das ist auch die Arbeitsweise der genannten Algorithmen. Ja, ich bin mir bewusst, dass ich manipuliert werde – oder vielmehr, dass es beabsichtigt ist, mich in eine bestimmte Richtung zu lenken. Kein Problem. Ich bin ja standhaft! Doch ehrlicherweise kenne ich die genauen Mechanismen, die dabei zum Einsatz kommen, nicht einmal im Detail. Wären sie mir bekannt, könnte ich sie dann wirklich in ihrer ganzen Komplexität verstehen (und mich dann auch zuverlässig davor schützen)? Wahrscheinlich nicht. Aber heute sind ja weder transparent noch durch mich unmittelbar erkennbar. Auch hier ein Beispiel: Ich weiß, dass mir Algorithmen bestimmte Meinungen verstärkt präsentieren, aber die Quellen, die mir vorenthalten werden, bleiben mir verborgen. Ist das nicht eine Form der Einschränkung? Und wenn ich mich zunehmend in dieser Filterblase der Social Media bewege, wie weit entferne ich mich dann von einer objektiven Wahrnehmung der Welt? Denn die Zeit, die ich gefilterte beeinflussende Informationen bekomme („ach schau mal, Freund Meier denkt genauso wie ich, ich wusste doch, dass ich richtig liege“), fehlt mir doch, mich wirklich umfassend sachkundig zu machen und eine eigene Meinung ohne Beeinflussung zu bilden.
Je näher ich nun meiner Zielstation kam, desto intensiver beschäftigten mich diese Gedanken. Vielleicht könnte ich bewusster mit der Situation umgehen, indem ich mir z. B. feste Grenzen setze, wie viel Zeit ich auf Social Media verbringe oder auch eine Zeit festlege, die ich in sozialen Medien, hergebrachten Leitmedien und Alternativmedien verbringe. Das wird schwierig – die beschriebenen Mechanismen sind m. E. zu tief verankert, um sie einfach zu umgehen. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Algorithmen für mich zu nutzen: Ich könnte versuchen, gezielt unterschiedliche Quellen „zu abonnieren“ / anzuschauen und so meine Filterblase bewusst zu erweitern und dann auch die oben genannten Qualitätsmedien und Alternativmedien nicht vergessen werde. Ich könnte auch eigene emotionale Reaktionen reflektieren und mich fragen, ob der gesehene Inhalt überhaupt eine Reaktion wert ist. All das könnte in gewissem Maße funktionieren.
Wie man es auch dreht, es bleibt da ein gewisses Restrisiko, dass die unschönen Auswirkungen von Social Media auch nicht an mir vorbei gehen? Und an diesem Punkt stellt sich für mich die Frage nach der Balance zwischen genanntem Restrisiko und dem Nutzen, den ich aus der Nutzung von Social Media ziehe.
Was habe ich durch diese Medien in den letzten Jahren tatsächlich gewonnen? Ich erinnere mich an eine Zeit während der Corona-Pandemie, als ein Post von mir zu Impfungen für Feuerwehrleute eine bemerkenswerte Reichweite erzielte – nicht zuletzt durch die Unterstützung eines guten Freundes. Und ja, auch das Dopamin, das dabei ausgeschüttet wurde, war nicht zu verachten. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – trotz all der Reaktionen aus der ganzen Republik, die bei mir auch per Email eingegangen sind, hat der Post nicht zu Veränderungen geführt. Nicht zum Umdenken bei Leuten, die nicht meiner Meinung sind, noch zu Aktionen bei denen, die mir eigentlich zugestimmen mussten und für die der Artikel gedacht war. So habe ich damals mit dem Post nichts erreicht! Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass Posts, Kommentare – egal welcher Art – weder die Meinung anderer Teilnehmer noch die von Politikern nachhaltig beeinflussen können. Diese Vorstellung halte ich mittlerweile für eine Illusion. Zu oberflächlich sind einfach die angebotenen Informationen.
Es gab jedoch auch positive Aspekte: Ich habe das ein oder andere Wissens-Nugget entdeckt, das ich weiterverfolgt habe, und das war durchaus von Nutzen. Doch bin ich sicher, dass ich diese Initiative wahrscheinlich auch ohne Social Media ergriffen hätte.
Abgesehen davon habe ich vieles erfahren – unter anderem, was Menschen gegessen haben, wie katastrophal die Rechtschreibung mancher Kommentatoren ist und mit welch einer Selbstverständlichkeit absurde Ansichten als Expertenwissen verkauft wurden. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass viele Kommentare von professionellen Agenturen stammten. Aber gut, lassen wir das. Und ja, ich habe auch öfter herzhaft gelacht oder tiefer nachgedacht, schöne Bilder gesehen, von Urlaubsdestinationen träumen können….
Von der anderen Seite betrachtet, muss ich mir aber eingestehen: Wenn ich ehrlich zu mir bin, interessiert es die meisten Menschen – abgesehen von meiner Familie und meinen Freunden – überhaupt nicht, ob ich Bilder von meinen Mountainbiketouren, meinen Urlauben oder einem Jahresrückblick poste.
Der letzte Vorhang fällt
Natürlich schreibe ich hier auch recht plakativ. Wer sich seine eigenen Gedanken machen möchte, liest einfach das Buch von Jaron Lanier. Für mich gilt kurz gesagt: Im Moment sehe ich einfach keinen Nutzen, der die Gefahren, die ich mit aufmerksamen Verhalten und Wissen zwar minimieren kann, aber die trotzdem immer noch da sind – wie beispielsweise die Manipulation – ausreichend aufwiegt. Und ganz ehrlich, die Zeit, die ich in diesen sozialen Medien bisher verbrachte, rechtfertigt das Ganze noch weniger. Das bedeutet nicht, dass ich in Zukunft nicht irgendwann Nutzen entdecke, aber bis dahin, und das war meine Entscheidung, als ich mich der wundervollen Endstation Prag näherte, plane ich Offline-Zeit ein, in denen ich mich von den ersten Social Media Plattformen distanziere. Und das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Aber ich habe einen Plan. Und wer mich kennt, der weiss, dass ich es liebe, wenn ein Plan funktioniert.
Und mein Plan startet am 1. Januar. Ja, richtig gehört: Nachdem ich Twitter (wo es noch nicht X hieß) schon vor Jahren aus meiner Welt gelöscht habe, werde ich ab dem 1. Januar 2025 werde nun eine weitere Auswahl von Social Media Apps vom Mobiltelefon löschen. Die Accounts bleiben noch bestehen – man will ja nicht sofort alles verlieren, oder?
Und hier kommen wir wieder zu J. Lanier, dem Initiator vieler meiner o.g. Gedanken. Er fordert ja gar nicht, Technologie an sich abzulehnen, sondern warnt vor den allgegenwärtigen Geschäftsmodellen der Social-Media-Riesen, die uns ständig überwachen und manipulieren. Das habe ich oben versucht, zusammenzufassen. Seine Botschaft ist klar: Es geht um Selbstbestimmung (und darum, nicht völlig unsere Menschlichkeit zu verlieren). Meine Selbstbestimmung zeige ich mit meiner Entscheidung oben. Und ich glaube, meine eingeleitete Social-Media-Pause zum Jahresbeginn 2025 könnte da ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Natürlich ist meine Bewertung höchst persönlich und basiert auf meiner Lebenssituation, meinen Erfahrungen und dem Wissen, das ich habe. Andere Menschen sehen das sicher anders, und das ist auch völlig in Ordnung. Vielleicht gibt es welche, die die Risiken akzeptieren oder meinen, der Nutzen von Social Media sei so hoch, dass die Risiken gar keine Rolle spielen. Das ist dann eben ihre Entscheidung, klassisches Risikomanagement – auch okay.
Was allerdings schwer zu bestreiten ist, ist die Tatsache, dass Social Media uns alle manipulieren können. Und wer ernsthaft glaubt, dass er durch die Algorithmen nicht beeinflussbar ist – und ich bin sicher, es gibt genug davon – der lebt vermutlich in einem kleinen Märchen. Wenn man denkt, man wäre cleverer als die Algorithmen, die von hochspezialisierten Psychologen und Informatikern entwickelt wurden, dann würde ich sagen, dann erscheint das wie eine ziemliche Selbstüberschätzung. Die hat man ja auch mal, aber hey, jeder hat so seine kleinen Irrtümer, oder?
Also, am 31.12.2024 sage ich ersteinmal „Goodbye“ zu ausgewählten Social-Media-Plattformen und deren Algorithmen. Ich bin mal gespannt, wie lange ich bei dieser Entscheidung bleibe. Vielleicht werde ich ja irgendwann meine Risikoeinschätzung ändern oder den Nutzen in einem ganz anderen Licht sehen. Who knows?
Der letzte Akt der Stille
Was mich aber wirklich interessiert: Wie viele von denen, die eventuell den Link diesen Artikel auf den Social Media Plattformen geliked haben, haben ihn bis hierhin überhaupt gelesen? Und was werden sie wohl sagen? Oder noch besser: Was werden sie überhaupt sagen, falls sie sich noch erinnern, dass ich diesen Text geschrieben habe? Ich bin gespannt.
Nun aber endgültig: Ade, Servus und Adieu, ihr Social Media. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder (oder auch nicht).