Leben wir die Unterschiede – Wir haben sie gemeinsam

Nun habe ich lange hier nichts in meinem Blog geschrieben. Gab es nichts zu berichten, gab es keine Gedanken zu teilen? Oh doch, nur hatte ich einfach zu viel um die Ohren und wenig Ruhe, diese Gedanken zu ordnen. Aber letztlich hat mich in diesem Jahr mehrfach das Thema der Unterschiede zwischen uns allen umgetrieben.

Ja, wir sind alle unterschiedlich. Egal, ob Mann, ob Frau, ob Mann im weiblichen Körper oder umgekehrt. Wir sind dick, dünn, groß, klein. Der eine ist extrem schlau, der andere schaut neidisch auf ihn hoch. Der andere hat einen hohen Intelligenzquotienten und schaut weniger neidisch auf den „da unten“ herab (was verabscheuenswürdig wäre). Dann gibt es Menschen, die einer christlichen Religion folgen, die buddhistischen Glaubens oder Muslime sind, den jüdischen Glauben haben oder Atheisten sind. Es gibt Wähler, die unterschiedlichen Parteien folgen, die unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Konzepten folgen, unterschiedlichster politischer Weltanschauung folgen, Menschen verschiedener Hautfärbungen oder auch sexueller Orientierung. Für mich ist das ganz normal. Letztlich ist das letzte Hemd für jeden von uns das Gleiche.

Trotzdem macht mir die Fokussierung auf noch so kleine Unterschiede Sorgen. Gerade die -insbesondere von den Medien und einigen politischen Akteuren praktizierte und nach vorne getriebene Veränderung der Sprache zur Genderneutralität könnte doch genau etwas schaffen, was wir nicht wollen: Das Herausstellen von Unterschieden. Ist das nötig? Führt das eigentlich nicht zu mehr Trennung, Spaltung als zu (Ver)Einigung? Und vor allen Dingen: Wo ist das Ende?

Ich habe gelernt, Menschen in Briefen z.B. mit „Sehr verehrte Damen und Herren“ anzusprechen. Wegen mir auch weniger formal. Und ich zeigte stets meinen Respekt vor allen Menschen ungeachtet ihrer einzelnen Ausprägungen. Seit Jahren werden beide Geschlechter in jedem zweiten Satz referenziert, „liebe Genossinnen und Genossen“, „liebe Kolleginnen und Kollegen“, „liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter“. Ist es für einen denkenden Menschen nicht selbstverständlich, dass ungeachtet dieser zusätzlichen Berücksichtigung des sexuellen Geschlechts in Schriftstücken und Reden alle adressierten Menschen gemeint sind? Ich meine schon! Jetzt kommt aber der/ die / das Gendern hinzu. Das ggf. Lustige aber im Kern doch eher unverständliche Beispiel SteuerINNENzahlerINNEN“- „VerbraucherINNENschützerINNEN“, welches durch die Medien geisterte, führt doch nicht zu mehr Verständnis für die Geschlechter. In meinen Augen trennt es eher und arbeitet Unterschiede heraus, die wir eigentlich gar nicht berücksichtigen müssten und sollten. Letztlich sind wir doch alle nur Menschen.

Vor allen Dingen, wo bleiben bei diesem Gendern die diversen Mitbürger:*INNEN?. Und da kam mir auch der Gedanke, der o.g. Grenze. Wenn ich politisch 100%ig korrekt sein möchte, müsste ich dann nicht eine Rede oder einen Artikel beginnen mit „Liebe und Lieber Zuhörer:Innen heller, dunkler, mitteldunkler, getönter Hautbarbe, die der Christlichen, jüdischen, buddhistischen, oder allen weiteren Religion angehören, die groß und klein sind aus den Ländern Amerikas, Europas, Asien, Australien oder Afrika entstammen“. Klar, das ist übertrieben. Aber die Frage nach der Grenze ist für mich nicht beantwortet.

Ich bringe noch eine andere Betrachtungsweise, die mir in diesem Zusammenhang interessant erscheint. Der Norddeutsche Rundfunk bringt auf seinen Webseiten Artikel in leichter Sprache.

Zitat „Der NDR macht Beiträge und Texte für alle Menschen. Viele Menschen verstehen lange und schwierige Texte oft nicht. Texte in Leichter Sprache sind oft viel kürzer. Und Texte in Leichter Sprache sind einfach geschrieben. Deshalb kann jeder Mensch Texte in Leichter Sprache besser verstehen. Hier lesen Sie in Leichter Sprache: Das macht der NDR.“ (https://www.ndr.de/fernsehen/barrierefreie_angebote/leichte_sprache/Der-NDR-in-Leichter-Sprache,leichtesprache104.html abgerufen am 25.09.2021).

Da hat es unser Bildungssystem nicht geschafft, Schulabgänger so auszubilden, dass normale Sätze verstanden werden. Und wir reagieren mit vereinfachter Sprache. Das ist für mich der falsche Weg, eher sollten wir die Bildung wieder verbessern. Aber es ist erst einmal festzuhalten, dass offensichtlich viele nicht mehr in der Lage sind, normale Sätze zu verstehen. Und nun wird die Sprache komplizierter. Durch sprachliche Monster mit Doppelpunkt, Sternchen und -Innen wird es wohl nicht einfacher, Texte zu verstehen. Versteh diesen Widerspruch, wer es will. Ich tue es nicht so richtig.

Denn es ist nicht konsequent (siehe oben meine Frage nach den Grenzen). Und letztlich stellt sich bei sprachlichem Genderfokus die Frage, warum in der Mainstream-Diskussion nicht auch berücksichtigt wird, dass das sprachliche Geschlecht mit dem körperlichen Geschlecht Nullkommanix gemein hat. Das ist aber auch nicht das Thema hier. Wer etwas spannendes lesen möchte, kann dieses bei der NZZ machen.

Mir ging es Eingangs um Unterschiede und Trennung. Letztere könnte durch Gendern eher unterstützt werden. Und das möchte ich nicht. Sollten wir die Unterschiede zwischen uns allen nicht endlich überwinden und tolerant sein? Unterschiede sind interessant. Man kann lernen. Man kann sich Dinge abschauen. Man kann und muss einfach dadurch seinen Horizont erweitern. Aber dazu ist es in meiner Auffassung nicht nötig, Unterschiede sprachlich „vor sich her zu tragen“.

Ich habe im Übrigen auch kein Problem damit, nur eine weibliche Form zu lesen/hören. Es muss nicht nur die männliche Version sein. Wenngleich das in unserer Sprache nicht vorgesehen ist. Aber auch bei weiblichen Formen würde ich wissen, dass auch ich im Zweifelsfall damit gemeint sein werde (so viel Transferfähigkeit sollte vorhanden sein). Machen wir das einfach mal exemplarisch. Wie gesagt, es sollen sich im weiteren Text alle Personen egal welcher Ausprägung angesprochen fühlen. Auch wenn ich jetzt mal alles weiblich schreibe, habe ich im Verständnis kein Problem damit. Beginne wir also den weiteren Teil meiner Gedanken mit …

Liebe Leserinnern und Leser,
ein weiteres Thema, was mich in diesem Jahr zunehmend umtreibt und auch im Zusammenhang der oben schon andiskutierten Unterschiede wichtig ist, ist das Thema Toleranz und Akzeptanz. Meine Wahrnehmung ist leider, dass Toleranz und Akzeptanz zunehmend in unserer Gesellschaft verschwinden. Jede muss ihren noch so kleinen Wunsch umgesetzt wissen. Kompromiss? Ist nicht jederfraus Sache.

Und da müssen wir auch nicht bei den Coronakritikerinnen beginnen, die ja meinen, dass ihre die alleinig wahre Meinung ist. Und sie sind (unabhängig von dem Verständnis wissenschaftlich bewiesener Sachverhalte) nicht bereit, sich für die Andere einzuschränken. Andere Wünsche und Sorgen interessieren nicht. Sind ja nicht meine. Aber auch die andere Seite ist genauso. Wie verrissen wird doch die Coronakritikerin, wenn sie dem Mainstream nicht folgen möchte. Ich finde das erschreckend. Ist es in einer Gesellschaft nicht so, dass die Freiheit dort endet, wo sie andere Personen einschränkt? Ich meine ja. Und die Lösung lautet Kompromiss. Es wird nicht jede ihre Meinung umsetzen können. Das ist unmöglich bei knapp 6 Milliarden Bürgerinnen auf dieser Welt. Somit muss der Kompromiss die Grundlage einer Gesellschaft sein, und trotzdem heist das nicht, dass durch Kompromisse andere Meinungen unter den Tisch fallen. Sie sind da, nur können wir es nicht jeder recht machen .

Aber das zählt in meiner Wahrnehmung häufig nicht mehr. Kompromisse gehe ich nicht mehr ein, scheint die Devise bei vielen Mitbürgerinnen sein. Nur die eigene Meinung ist die wahre Meinung. Man (muss es jetzt hier „Frau“ heissen? – ach nee ;-)) muss sich nur mal die sogenannten sozialen Medien anschauen. Hat jemand nicht die eigene Meinung, wird sie angepöbelt, niedergemacht. Es ist ja so einfach in der „Anonymität“ des weltweiten Netzes. Diskurs mit Argumenten und Respekt? Fehlanzeige. Es zählt nur die eigene Meinung. Der Umgangston? Rau! Auch bei Freundinnen von mir. Und das ist erschreckend.

Da wird mit Mimimi, Schwurbler und sonstigen negativ behafteten Wörtern um sich geschmissen. Ist ja so einfach bei bei Facebook, Twitter, u.s.w. . Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Respekt (egal welcher Meinung die andere ist) scheint sich nicht zu finden. Was mir Sorgen macht: Wo endet auch dieses? Wo sind auch hier die Grenzen? Sind die nicht schon überschritten? Akzeptieren wir die einfachen respektlosen verbalinjurien von Politikerinnen und Demonstrantinnen. Ich finde dieses schon grenzwertig. Akzeptieren wir zerstörte Wahlplakate, wie dieses zuhauf im diesjährigen Kommunalwahlkampf meiner Heimatstadt passiert ist? Ich meine das ist schon zu viel. Dass die Zerstörung des Autolackes einer Ratsbewerberin, die ggf. eine andere Meinung hat, eine indiskutable Grenzüberschreitung ist, darüber sind wir uns wohl einig. Diese Grenzen müssen klar akzeptiert werden und bei Übertritt auch zu Konsequenzen führen. Überall – egal, welches Motiv hinter dem Handeln lag.

Ich denke, dass insbesondere die Intoleranz auch eine zunehmende Rolle darin spielt, dass immer weniger andere Meinungen akzeptiert werden und die Umsetzung der eigenen Meinung, der eigenen Wünsche und Ziele fast rücksichtslos verfolgt wird.

Leider habe ich keine gute Idee, wie diese -in meinen Augen- gesellschaftliche Entwicklung gestoppt oder zurück gedreht werden kann. Es könnte doch so einfach sein. Leben wir die Unterschiede. Streiten wir über die besseren Lösungen. Respektvoll. Akzeptieren wir, dass wir nicht alles, was wir wollen umgesetzt sehen können. Und akzeptieren wir, dass das gesamte Leben aus Kompromissen besteht. Es ist eine Illusion, alles haben zu können, in einer Welt zu leben, wie ich sie mir wünsche. (Nun, die Ausnahme mag Pipi Langstrumpf sein, die sich ihre Welt macht, wie sie ihr gefällt). Und ist meine Umwelt dann grob so, wie ich sie mir wünsche, dann finde ich mich doch mit der klitzekleinen Begebenheit ab, die nicht meinen Wünschen entspricht. Behalten wir doch endlich mal den Maßstab im Auge.

Ich bin froh, in diesem Land leben zu dürfen. Ja, wir haben Hausaufgaben. Es geht sozial nicht allen gut in diesem Land. Hier ist sicher Nachholbedarf. Aber letztlich leben wir auf der Sonnenseite der Straße. Uns geht es gut. Im Hinblick auf soziale Sicherheit im Hinblick auf die physische Sicherheit, im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wohlstand. Auch in oder gerade nach der Corona-Zeit zeigt sich dieses. Schauen wir doch nur mal in andere Länder, denen es viel schlechter geht. Und wenn ich dann auf Wahlplakaten lese, dass es noch nie so viel zu tun gab wie heute, dann schüttelt es mich. Was mögen meine Eltern und Großeltern dabei denken, die das Land nach einem Krieg wieder aufbauen mussten? Und wenn ich von einem neuen Lokalpolitiker (hier nehme ich mal das Maskulin, weil es wirklich ein Herr war) -wahrscheinlich aus wahlkampftaktischen Gründen- bei Facebook lese, dass eine bestimmte Partei die Garantin dafür ist, dass das Land weiter gegen die Wand gefahren wird, dann stelle ich mir doch die Frage wo der Herr lebt. Ob er jemals aus dem Harz heraus gekommen ist?

Und hier ist ggf. auch der Ansatz zur Lösung des Problems. Unterschiede sind wichtig. Das habe ich oben schon adressiert. Sie sind wichtig, um zu lernen, bei Wunsch voneinander abzuschauen und so ggf. erfolgreich zu sein. Unterschiede sind wichtig im Wettbewerb der besten Ideen. Aber sie sind nicht hilfreich rücksichtslos, respektlos herauszuarbeiten und auf allen unterschiedlichen Wünschen zu beharren und nur auf eine Seite fokussieren, wenn ich eine geeinte Gesellschaft haben möchte. Zu welcher Spaltung der intollerante Fokus auf Unterschiede führen kann, zeigt uns die amerikanische Gesellschaft nach Herrn Trump.

Wie wäre es, wenn jede vor ihrer Haustür kehrt und drüber nachdenkt, Unterschiede zunehmend zu tolerieren und die Toleranz -mehr noch, die Akzeptanz- in seinem Umfeld zu thematisieren. Und da fällt mir ein Lied der Ersten Allgemeinen Verunsicherung ein, das sich sehr ironisch schon vor über 10 Jahren mit der Gesellschaften und ihrer Toleranz (oder besser Akzeptanz?) beschäftigt.

Wie wäre es, wenn auch die Medien mal vormachen, dass Kompromisse und Akzeptanz erfolgsversprechende Tugenden sind. Und der Weg zu Kompromissen geht über Diskussionen. Wie wäre es, wenn wir lernen, dass Diskussionen in Parteien, über Parteigrenzen hinweg, über Landesgrenzen über die Grenzen der unterschiedlichen Weltanschauungen wichtig sind. Sie sind natürlich. Sie sind wertschöpfend. Nämlich dazu, die beste Lösung, die häufig aus Kompromissen bestehen muss, weil wir alle so unterschiedliche Wünsche haben.

Wie wäre es, wenn das auch die Medien (professionelle und auch soziale) thematisieren und sich nicht an Streit in Regierungen und Parteien ergötzen und diesen unterschwellig als negativ darstellen? Nun gut, das letzte kann ich nicht beeinflussen. Aber ich kann vor meiner Haustür loslegen. So wie jede von meinen Leserinnen.

Ich hielte das für gut. Denn eins ist klar: Wir sind alle unterschiedlich! Das haben wir gemeinsam. Was wären die weisse Tasten auf dem Klavier ohne die schwarzen Tasten? Sind die Unterschiede nicht das Salz in der Suppe? Die Blue Note beim Jazz? Dann sollten wir endlich damit beginnen, mit den Unterschieden zu leben. Sie als gewinnbringend selbstverständlich akzeptieren. Und fangen wir bei uns selber an. Und erwarten wir nicht, dass jede noch so kleine Minderheitswünsche von mir umgesetzt werden. Starten wir endlich damit.