Ein Tag drei Länder. Ein Tag der Gegensätze

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So, nun bin ich also hier. Alleine auf meiner Mountainbike-Tour. Sozusagen Ullrich allein in den Alpen. Ich fahre also die Nationalparkpanorama Tour von Ulp im Light-Level ab. Mulmig ist mir schon, weil alleine doch ein anderes Gefühl ist, als mit Begeleiter. Was passiert, wenn ich stürze? Wenn ich einen größeren technischen Defekt habe, oder mich einfach nur verfahre? Ich hoffe mal, dass nichts passiert. Aber für den ersten Fall habe ich ja meinen Tocsen Sturzsensor. Meine Notfallkontakte kennen die notwendigen Rettungsleitstellen, sollte etwas passieren. Dann habe ich noch meine Fahrgemeinschaftsapp an, bei der Claudia auch immer sehen kann, wo ich bin. Datenschutztechnisch, dank Frank Behrens einwandfrei implementiert. Und dann gibt es ja noch die Ulp-Gruppe, die parallel fährt. Ich versuche immer 30 MInuten vor ihr zu fahren, so dass im Fall von Problemen noch weitre Biker auf meiner Strecke sind. So habe ich sozusagen eine dreifache Sicherung. Aber wie geschrieben: Am Besten ist natürlich, wenn nichts passiert. Das wünsche ich mir.

Am Sonntag ging es nun aus Grainau, wo ich die letzte Woche mit Claudia Urlaub machte, nach Prutz. Früh aufstehen, Claudia zum Bahnhof bringen, die Ferienwohnung räumen und Claudias Bike in Grainau abgeschlossen abstellen. So war der Plan. Ich traf dann auch noch einen Guide -oder besser Guidin- von Ulp. Und nach einem Gespräch habe ich mich doch entschieden, das Bike mit nach Prutz zu nehmen.

Hier kann es auch abgeschlossen stehen. Ursprünglich wollte ich noch von Imst zum Kaunergrat und über die Fließer Platte nach Landeck und zurück nach Imst fahren, bevor ich dann mit dem Auto nach Prutz im Tiroler Oberland fahren wollte. Aber irgendwie war ich am Sonntag nicht so motiviert, die Berge lagen in dichten Wolken und bei Nebel macht so eine Fahrt zum Kaunergrat keine rechte Freude. Und so entschied ich mich, gleich nach Prutz zu fahren. Nun, das war ein Fehler.

Ich hatte ja so viel Zeit. Prutz ist halb so groß wie der Friedhof von Chicago. Aber irgendwie ist es hier doppelt so tot, wie dort. Ich ging ein wenig spazieren, kenne jetzt jede Straße des kleinen Ortes, der an der viel befahrenden B180 im Oberinntal zwischen Landeck und Grenze in die Schweiz (Unterengadin) bzw. Italien (Reschenpass) liegt. Nun gut, so habe ich mich ein wenig ausgeruht, bis ich dann um 15 Uhr meine Unterkunft beziehen konnte und noch einmal mein Gepäck für die nächsten Tage kontrolliert und auch aussortiert habe.

Ich habe mich auf die erste Etappe gefreut. Laut meiner Pflotsch App, die eigentlich immer hervorragnde Wettervorhersagen anbietet, sollte es auf meiner ersten Etappe nicht ganz so warm werden. 14 Grad Celsius. Und um 16 Uhr sollte mich Regen erwarten. Also hieß es etwas Gas geben. Aufgrund des Wetters entschied ich mich für eine Abfahrt um 08:00 Uhr. Das hieß 06:00 Uhr aufstehen, 07:00 Uhr Frühstück, Sachen packen und los fahren. Das frühe Aufstehen war nicht schlimm, weil die Nacht sowieso eine Katastrophe war.

Mir war heiß. Entweder war es die Bettdecke im Hotel, die mich zum Schwitzen brachte, oder das Zimmer war so heiß. Ich war gefühlt mehr wach, als dass ich schlief. Und so war ich auch vor meinem Wecker, der mich auf meiner Tour jeden morgen mit Good morning life begrüßt, wach. Schon nach dem Packen der Tasche war ich wieder durchgeschwitzt. Irgendetwas stimmt mit mir nicht. Mal sehen, wie der Tag werden wird. So fuhr ich dann pünktlich um 07:55 Uhr los.

Die ersten 30 Kilometer waren kein Problem. Asphaltierter Radweg entlang des oberen Inntals. Im Übrigen heißt das obere Inntal auch „Oberes Gericht“. Ich sah gestern eine Rettungswache des Österreichischen Roten Kreuzes die mit „Rettungswache Oberes Gericht“ markiert war. Irgendwie erinnerte mit das an das „Jüngste Gericht“ und ich fand den Namen komisch. Die Lösung kam heute auf dem Weg nach Martina in Graubünden. Als ich an der Grenzbefestigung und Gerichtsstätte Altfinstermünz vorbei fuhr, wurde mir die Bedeutung klar. Den dort wurde beschrieben, dass das Oberste Inntal eben auch Oberstes Gericht heißt. Weiter erfuhr ich über Altfinstermünz, dass die Innschlucht, wo die Befestigung liegt, ein eiszeitliches Bruchtal ist. Links und rechts des Inns bestehen die Gesteine aus Bündner Schiefer. Und genau dort liegt Altfinstermünz. Finster im Tal. Und so fuhr -bzw. schob- ich mein Mountainbike einen Wurzeltrail wieder in Richtung Straße. Denn ich musste ja weiter bis Martina, dem Grenzübergang in die Schweiz. Es war schon anstrengend. Fast oben angekommen, sah ich, dass auch ein Forstweg von unten hier hoch ging. Nur war die Route, die ich von ulp bekommen hatte, eben die über den Wurzeltrail. Na ja, auch das habe ich geschafft, um mich gleich wieder aufs Rad zu setzen und weiter die Straße in Richtung Martina zu fahren.

Es waren 13 Grad Celsius als ich in der Früh los fuhr. Ich hatte meine Radlerhose, ein Unterhemd, ein Trikot und eine Radjacke an. Und ich habe wie wild geschwitzt. Mir war trotzdem kalt. Oder ggf. gerade dewegen. Und so zog ich meine Jacke in Altfünsterminz aus, um sie oben auf der Straße wieder anzuziehen. Mir war ja in der Früh schon so, als ob etwas nicht ganz normal ist. Egal, es musst ja wieter gehen. Nun, nach genau zwei Stunden erreichte ich das 30 Kilometer entfernte Martina, überfuhr die Grenze und fuhr noch wenige Kilometer, bis die Steigung begann.

Eine Steigung, die dauerte. Sie war aber gut zu fahren. Nach 45 Minuten war ich auf 1300 Meter ü.N.N. Auf der anderen Seite des Inntals sah ich Tschlin. Erinnerungen an den letzten Dienstag kamen hoch. Ich war schon fast auf der Höhe von Tschlin (1500 Meter ü.N.N) und mir ging es um Längen besser, als letzten Dienstag. Mein Tempo war angepasst und mir ging es gut. Ich überholte zwei weitere Mountainbiker, die über Nauders heute noch nach Meran wollten. Ui, das wird knapp. Eine Banane fand den Weg in meinen Magen und es ging weiter…

Ich fuhr am Schwarzen See und am Grünen See vorbei und und nun wurde es spannend. War der Weg zum ersten See bis auf die letzten 500 Meter eine Forststraße, über die ich die vielen Höhenmeter überwunden hatte, so änderte sich das schlagartig. Erst fuhr ich über Holzstege, bevor Wurzeltrails die Fahrt schwerer gestalteten. Am Schwarzen See angekommen war ich doch recht traurig. Ich sah keinen See. Nur Schilf. Das konnte doch nicht sein. Hier soll man doch baden können. Nun, da war Ullrich wieder zu schnell. Noch 100 Meter und ich sah den schönen Bergsee mit Seerosen (oder so etwas ähnlichem – wer mich kennt, weiss, dass das Flora und Fauna nicht meine Spezialität ist). Es waren auch schon Wanderer hier, die wohl baden wollten. Die Zeit wollte ich mir nicht geben, denn es stand ja immer noch Regen zwischen 15 und 16 Uhr ins Haus. So ging es weiter – wieder auf einen Forstweg. Dieser wurde steiler und mich überholt ein E-Mountainbike. Ich weiss, dass ich mehr geleistet habe, aber frustrierend ist es immer wieder, an einer Steigung überholt zu werden, während ich mich anstrenge. Und wenn man dann noch sah, wie der Fahrer saß. Wie auf einem Hollandrad die Parade vor der Eisdiele in der Innenstadt abnehmend. Ich kämpfte weiter und war auch bald am Ende der Forststraße. Und da saß der E-Mountainbiker. Kaputt. Fand ich nicht schlimm ;-).

Links ab und über eine Brücke, ein Wurzeltrail und schon war ich beim zweiten See. Interessant war, wie hier eine Hochspannungsleitung gewartet und repariert wurde.Ich beobachtete die Leiterkonstruktion an den Strommasten und schaute ein wenig zu. Die Spezialisten waren noch höher als ich. Doch das sollte sich bald ändern. Denn jetzt kam eine Schiebepassage. Und die war die nicht vergnügungssteuerpflichtig. Mein Rucksack wiegt über 10 Kilogramm. Mein Rad ca. 15 Kilogramm und ich bringe zwischen 80 kg und 90 kg auf die Waage. All das musste nun nach oben gebracht werden. Über einen Wanderweg, der nicht viel schlimmer hätte sein dürfen. Die Stufen waren so hoch, dass selbst ich mit meinen langen Beinen manchmal Schwierigkeiten hatte, die Stufe zu nehmen. Aber danach wird sicher alles besser… Ha,Ha, hätte ich auch gedacht. Nein, es wurde zwar ein schönerer Weg, aber es ging immer noch bergauf. Musste es auch. Denn die Tour heißt ja Nationalpark Panorama.

Und um eine Panorama in den Alpen zu haben, muss man ja schon etwas oben sein. Und das hat die Anstrengung dann auch ausgeglichen. Denn es ist toll gewesen, hinunter in das Inntal zu sehen, dort wo ich herkam. Ich sprach Eingangs von Gegensätzen. Ja, das hatte ich auch hier. Asphaltstraße, Asphalt Radweg, Schotterwaldweg, Wurzeltrail und Wiesentrail. Mehr Abwechselung geht ja kaum. Ich fuhr weiter, musste ab und zu noch mal schieben, als mir ein Downhiller entgegen kam. „Hast Du Probleme?“. Ich verneinte. Da hörte ich „Nur, dass Du wohl die falsche Richtung gewählt hast“. War lustig, wenngleich ich ab und zu den gleichen Eindruck hatte. Aber irgendwann sind auch diese Anstrengungen hinter mir geblieben. Es ging gerade und leicht bergab.

Und siehe da, was ist denn das? Auf meinem Weg war doch ein Wehrbau aus Zeiten des Krieges. Ich werde es nie verstehen, warum man in den Bergen teils so erbittert gekämft hat. Nun gut, dieser Bau hatte nicht die Exposition, wie der Wehrbau am Borchetta die Forcola . Aber trotzdem war die Ruine für mich befremdlich. Nun ging es wieder tendenziell bergauf in Richtung Reschner Alm. Dort wollte ich mein Mittagessen einnehmen. Und nach genau 5 Stunden und 50 Kilometern war ich an der Reschner Alm. Auch hier wieder Gegensätze. War ich auf meiner heutigen Tour fast immer alleine (mit Ausnahme der Begegnungen mit den genannten Fahrradfahrern und Wanderern an den Seen), so war hier wieder Touristen-Mekka angesagt.

Ich fand jedoch eine ganze Bierzeltgarnitur für mich etwas weiter oben hinter der Hütte, aber irgendwie war es schon recht unruhig hier. Das Essen sollte gut schmecken und so bestellte ich einen Kaiserschmarrn. Es war viel. Viel zu viel. Trotz meiner Anstrengung heute. Aber er hat gut geschmeckt. Wenn ich auch schon bessere, fluffigere Kaiserschmarrn gegessen habe. Und ein weiterer Gegensatz sollte noch thematisiert werden. Es war keine 13 Grad mehr kalt. Es war warm. Die Sonne schien, wenn auch schon viele Wolken am Himmel erschienen. Meine italienische Bedienung zog die Hose aus. Es war heiß. Sie war heiß. Zumindest, wenn man ihrer Aussage glauben konnte. Denn nachdem sie auf einmal eine Hot-Pants an hatte und nicht mehr ihre mit Löchern durchzogene Jeans, sprach ich sie auf den Hosenwechsel an. Keck sagte sie, dass sie so viel laufen müsse (und ja, sie hat wirklich hin und her gewirbelt, um die vielen Bestellungen aufzunehmen) und sie heiß sei. Was sie wohl damit meinte? Wahrscheinlich meinte sie, dass ihr heiß war und nicht sie heiß war. Ich wäre froh, wenn ich so viel italienisch sprechen könnte, wie sie Deutsch. Und so ist es klar, das ich mich nicht lustig machte sondern über dieses Wortspiel innerlich sehr erfreut war.

Nach 45 Minuten verließ ich die Reschner Alm wieder. Just in dem Moment, als die beiden Mountainbiker, die noch nach Meran wollten, ankamen. Wir sprachen noch kurz, bis ich meine Fotos machte. Denn die Reschner Alm ist nicht nur wegen der Speisen bekannt, sondern hat auch einen wunderbaren Überblick über den Reschensee. Frage nicht, wie toll das aussah. Selbst das anwesende Fleckvieh genoss offensichtlich zwischen dem Grasen den Blick hinunter.

Wie gesagt, ich fuhr nun nach unzähligen Fotos wieder zurück. Der See änderte immer wieder sein Aussehen. Weil auch die Wolken sich stetig änderten und so zu dunkleren und helleren Flecken auf dem See in unterschiedlicher Anordnung sorgten. Ich fuhr in 15 Minuten knapp 500 Höhenmeter herunter, um dann noch vom Reschensee zurück nach Nauders zu fahren. Hier hatte ich auf den letzten Kilometern so viel Gegenwind, dass ich doch bergab treten musste. Egal, das Ziel war im Blick, die Naudersburg linksseitig vor mir.

Morgen wird es den Weg wieder zurück gehen, um ein weiteres Highlight hier in der Ecke anzufahren: Den Plamort mit ebenfalls grandiosem Blick auf das obere Vinschgau mit sienem Reschensee. So konnte ich nach nur 4:42 Stunden in Bewegung und nach 63 Kilometern und 1486 Höhenmetern mein Hotel erreichen, welches sehr schön ist.

Nun genieße ich noch den Abend, erhole mich und freue mich auf den morgigen Tag, an dem ich über Plamort zum Reschensee und dann weiter über Glurns ins Val Müstair fahren werde. Ach ja, was ich fast vergessen hätte: Ich habe mich heute EINMAL verfahren. Und das war gut. In Pfunds bog ich falsch ab und merkte es recht schnell. Ich schaute auf mein Navi und was sah ich?: „Batterie schwach“. Na, das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber ich hatte Glück und habe im örtlichen Spar noch schnell Batterien kaufen können. Im 8er Pack. 2 benötigte ich. Somit fuhr ich das zusätzliche Gewicht von 6 Batterien unnütz mit mir herum. Warum die Akkus leer waren, ist mir ein Rätsel, denn gestern waren sie ja noch voll.

So jetzt, eine Johannisbeerschorle und der Nachmittag kann beginnen. Liebe Grüße aus Nauders

Nun noch einige Fotos vom heutigen Tag

Altfinstermünz im Inntal. Eine Grenzfestigung und Gerichtsörtlichkeit
Tschlin, der Ort, den ich letzte Woche beschrieb, mal von der anderen Seite gesehen. Sieht gar nicht so hoch und schlimm aus 😉
In der Höhe überwiegt die Einsamkeit in der wunderbaren Natur
Am Grünen See angekommen
Auch hinter dem Grünen See habe ich das, was ich immer beim Biken möchte, genossen: Einsamkeit und großartige Natur.
So konnte ich zurück ins Inntal schauen, wo ich heute herkam.
Weiß der Teufel, wozu man an dieser Stelle ein Wehranlage benötigte.
Ich genoss nicht die Bergkulisse, sondern ein Selfie musste für die Erinnerung her (obwohl, muass es das wirklich?).
Hier noch einmal ein Blick auf den Reschensee. Die unterschiedlichen Farben sind durch die Sonne und Bewölkung hervorgerufen. Mehr zum Reschensee dann auf der nächsten Etappe..
Hinter der frisch abgemähten Bergwiese ist das Schloss Naudersberg zu sehen