Sie ist schon geschichtsträchtig, die Region, in der ich mich auch heute wieder mit dem Mountainbike vergnügte. Und das beeinflusst nun auch meine Mountainbiketour von heute. Es ging von Glurns in Österreich über eine besondere Grenze nach Italien, welches ich heute Mittag wieder verließ, um nach Graubünden in die Schweiz zu fahren. Genauer gesagt nach Sta. Maria im Val Müstair (Münstertal). Und wie die letzten Tage wollte ich früh los. 08:00 Uhr Pedale einklicken und ich wollte den Höhepunkt der heutigen Tour in Angriff nehmen.
Dazu stand ich dann nach einer beruhigten Nacht in einem wunderbaren Zimmer bei grandioser Bergluft um 05:50 Uhr auf. Reisetasche fertig machen, Morgentoilette wie es so schön heisst, und ab zum Frühstück um 07:00 Uhr. Das Frühstück im Hotel Post in Nauders ist eine Wucht. Genau wie das gestrige Abendessen. Ich aß gesunde Brötchen (sprich, die mit den Körnern), weil es am heutigen Tag gleich nach dem Start in die Höhe gehen sollte. Ach ja, Start sollte 08:00 Uhr sein. Ich war um 07:58 Uhr bereit einzuklicken, nachdem ich noch ausgecheckt hatte und meine Radwäsche von gestern, die ich noch vom Wäscheservice zurück bekommen hatte, verstaut hatte. Doch halt, wo sind meine Handschuhe? Ich also noch einmal den Zimmerschlüssel geholt. Nein, dort waren sie nicht. Im Fahrradkeller? Fehlanzeige. Auf dem Weg zum Eingang verloren? Auch das nicht. Wie gut, dass ich sie dann noch einmal in meinem Rucksack gefunden habe. Just in dem Moment, als ich vor Frust meine kurzen Handschuh heraus holen wollte. Mal wieder ein typischer Ullrich. Wirr und einfach alt ;-).
So konnte ich dann doch meine langen Handschuhe anziehen. Und das war auch bitter nötig. Denn es war wirklich schattig heute früh. Nicht 13 Grad von gestern. Ich vermute, dass wir heute früh unter 10 Grad hatten. Aber das war i.O.. Mit Funktionsunterhemd, Radtrikot und Jacke lässt es sich aushalten. Und zwar so lange, bis es bergauf geht. Nun, das ging es gleich nach meiner Abfahrt um 08:15 Uhr. Anfangs noch recht moderat, um dann steiler zu werden, als ich vom Radweg in den Wald abbog. Ja, wohin denn eigentlich?
Ich wollte heute früh gleich den Plamort in Angriff nehmen mit seinen berühmten Panzersperren. Wie gesagt, es war kalt, doch ich musste bis zum Plamort ja schlappe 720 Höhenmeter hinter mich bringen. Ich fuhr so mein Tempo. Es war ggf. etwas hoch. Nach 45 Minuten sah ich links unter mir schon Nauders in der Ferne. Und es ging weiter auf losem Schotter. Das ist nicht gerade ein Vergnügen bei Steigungen von 10% und mehr. Das Rad bockte. Das ist einfach so, wenn grober Schotter unter den Rädern ist. Da kann man den Schwerpunkt auch noch so gut verteilen und eine Linie finden. Es bleibt nicht aus, dass ich einen Stein nicht sehe und das bremst das Rad ab und kostet Kraft. Nicht einmalig, aber wenn das mehrfach passiert (und gerade an Steigungen), dann ist das kräftezehrend und ärgerlich.
Mich überholten zwei Servicefahrzeuge der Almbahn hier und über mir flog mittlerweile ein Rettungshubschrauber. Tolle Erfindung, das muss man sagen. Ist er in der Stadt ggf. nicht so wichtig. Aber hier in den Alpen ist er mit seiner Besatzung der Lebensretter Nummer 1. Schneller ist ein Notfall nicht erreicht. Na, hoffentlich heute früh nichts schlimmes. Ich fuhr weiter und es wurde wieder ruhig. Bis zur Stieralm. Dort hätte ich rechts den Bunkertrail fahren können, oder gerade aus weiter. Wo ging die Ulp-Route lang, die ich ja abfahren wollte? Navi an – und Navi aus. “Low Batteries”. Nicht schon wieder! Ich hatte heute früh wieder meine Batterien geprüft. Wie gut, dass ich heute (im Gegensatz zu gestern einen Reservesatz dabei hatte). Also Batteriewechsel und es ging gerade weiter. Noch eine kleine Steigung, um dann auf einer Skipiste abzufahren. Sie war sehr rutschig voll Geröll, aber kein Problem zu fahren. Und so ging es noch an einem kleinen Stausee (besser Stauteich) vorbei, bis ich ihn unter mir sah: Den Plamort.
Der Plamort ist eine Hochebene, die ein Hochmoor ist. Merkte ich auch gleich, weil mein Rad kurz einsank. Na, dann muss ich es heute Abend wieder reinigen. Und am Plamort sind diese Panzersperren. Ich schrieb es gestern schon, dass mir der Krieg und die Schlachten hier in der Gegend (die im ersten Weltkrieg stattfanden) nicht verständlich sind. Hier am Plamort ist jedoch ein geschichtliches “Exponat” aus dem 2. Weltkrieg in Form von Panzersperren zu finden. Da soll diese Hochebene strategisch so wichtig gewesen sein, da sich Italien vor einer Invasion Deutschland schützen wollte. Diese Panzersperren bestanden aus Bunkern (daher der Name Bunkertrail), von denen ich auch gleich linksseitig zwei sah. Weiterhin aus den Panzersperren im engeren Sinn. Sie sind gar nicht so lang hier, die Betonpfähle, die auch noch Stahlspitzen haben. Einen Panzer mögen sie aufhalten, mein Mountainbike jedoch nicht. Natürlich machte ich einige Fotos und stellte mir wieder die Frage, ob das alles nötig gewesen ist.
Ironischerweise wurde die funktionsfähige Anlage kampflos von Italien an die Deutschen übergeben, als 1943 der Einmarsch nach Italien aus Österreich stattfand. Ich war alleine hier oben. Kein Wanderer, kein Biker. Das änderte sich gleich, als eine Gruppe Downhiller hier ankam. Sie fuhren auch gleich weiter zum wohl bekanntesten Übersichtspunkt über den Reschensee. Ich fuhr ihnen hinterher. Die letzte kleine Steigung überwindend öffnete sich das Panorama mit dem Ortler vor mir. Ich sah ihn schon etwas vorher, als ich am Stauteich war. Aber diese Perspektive war schon toll. Die weite Hochebene und in der Ferne der höchste Berg der Ostalpen. Ich machte ein Foto und fuhr zu dem besagten Felsen, wo wohl jeder Mountainbiker ein Foto von sich macht. Ich nicht, denn das finde ich affig. Ausserdem haben die Downhiller den Felsen besetzt. Mit Bike, Handies und Drohne, die um sie herum flog. Ich denke, das muss nicht sein. Denn das Gesurre ist schon nervig. Aber jedem das Seine.
Es sollte links weiter gehen. Halt, da war ein Schild “Gesperrt”. Bunkertrail ebenfalls gesperrt, wegen Murenabgang. So blieb noch der Forstweg, der mich innerhalb von 15 Minuten wieder runter zum Reschensee brachte. Ich versprach in meinem Blog von gestern, dass ich heute noch etwas über den Reschensee schreibe. Er liegt unweit unter der Quelle der Etsch. Die Etsch ist der zweitlängste Fluß Italiens (nach dem Po) und fließt nach seinem Entsprung durch den Reschensee. Der Reschensee ist nun kein natürlicher See, sondern ein Stausee. Das hier gestaute Wasser (es sind immerhin 120 Millionen Kubikmeter) wird u.a. zur Stromgewinnung genutzt. Doch so alt ist der Stausee gar nicht. Die Idee ist schon etwas älter, doch gebaut wurde er erst nach dem 2. Weltkrieg von 1947-1949. Das war sicher nicht unumstritten. Denn als der Stausee angelegt worden ist, mussten einige Orte geflutet werden. So auch die Dörfer Graun und ein Teil von Reschen. Die Einwohner und Grundbesitzer wurde zwangsenteignet. Unter Zwang wurden sie umgesiedelt. Das hat sicher nicht jedem gefallen.
Aber ein Wahrzeichen, der heute noch an die gefluteten Orte erinnert ist der Kirchtum einer Kirche aus dem 14. Jahrhundert, der im Reschensee zu sehen ist. Und den Kirchturm schaute ich mir gleich an. So wie viele weitere Touristen. Es wurde unruhig hier am See. Viele Radfahrer -teils hatte ich den Eindruck, dass sie erstmalig auf dem Fahrrad saßen. Ein Beinaheunfall zwischen zwei Kindern, die fast frontal zusammengestoßen wären. Blos weg hier. Und so gab ich “Hackengas” und fuhr die Uferpromenade, den Uferradweg bis zum Haidersee. Hier war es etwas ruhiger. 3 Fischer saßen in ihren kleinen Booten und fischten, während ich den Vinschgauer Radweg talwärts fuhr. Es sind schon viele Radler unterwegs. Viel mit E-Bikes. Das macht bergauf auch Sinn, wenn man das Radeln nicht gewohnt ist. Denn einige Steigungen sind schon happig. So kamen mir Ehepaare, Gruppen, offensichtlich frisch verliebte und auch einzelne Radler entgegen. Nicht jeder hatte ein Lächeln auf den Lippen. Teilweise hatte ich den Eindruck, dass der eine Partner vorne das Tempo vorgab und Freude am Radeln hatte. Währenddessen ist der andere Partner missmutig hinterher gehetzt. Ja, das konnte ich mehr als einmal beobachten. Denn für mich war das Radeln nicht anstrengend. Ich fuhr von 1500 Meter ü.N.N., dort wo die Staudammkrone liegt, hinab auf 900 Meter ü.N.N. Genauer, in die mittelalterliche Stadt Glurns. Natürlich gab es wenige Gegenanstiege, aber tendenziell ging es bergab.
30 km/h Schilder waren am Radweg aufgestellt. Wer erreicht schon solche Geschwindigkeiten (mit Ausnahme der Rennradler). Nun, das sah ich dann auch zwischen Burgeis und Glurns. Ein nettes Schild zeigte mir einen traurigen Smiliey, gefolgt von der Geschwindigkeitsangabe 49 km/h. Nun gut, so kann ich mich täuschen. Aber nach etwas Bremsen fuhr ich dann langsamer. So lange, biss mein Fahrrad wieder Fahrt aufnahm. Da kann man gar nix machen. Das geht ganz schnell, bzw. fährt dann ganz schnell. Ja, und auf dieser Strecke sah ich linksseitig wieder einen Bunker. Ich weiss, dass er hier im oberen Vinschgau schon einige der alten Überreste des zweiten Weltkriegs gibt. Restauriert und bewohnt, oder einfah leer stehend. Als Mahnmal? Oder einfach so. Ich weiss es nicht. Aber es ist schon bizarr, wenn man linksseitig ein neues Wohnhaus sieht und keine 100 Meter entfernt steht auf der gleichen Wiese ein Bunker, der dreimal so groß ist. Kurzer Fotostop und weiter ging es nach Glurns.
Ja, Du glaubst es nicht. In diesem kleinen Kaff ist um 11:30, als ich dort ankam, mehr los als in Goslar in der Fußgängerzone an einem Sonnabend. Radler, Wanderer, ältere Leute, jüngere Menschen. Alles was laufen und radeln kann, ist auf den Beinen. So war mein Eindruck. Ich steuerte sehr schnell das Gasthaus Grüner Baum an. Eine Empfehlung aus einem Transalp-Buch. Und da ich schon einmal am Geburtstag meiner Schwester da war, wollte ich hier mein Mittagessen einnehmen. Ich bestellte Nudeln mit Pfifferlingen. Und sowohl das Essen, als auch die freundliche Bedienung waren ein Gedicht. Ich finde, man erlebt immer weniger freundliche Servicekräfte bei uns zu Hause. Zumindest ist das meine Wahrnehmung und mein Eindruck. Hier im Alpenraum habe ich das noch nicht einmal erlebt.
Mir fiel meine Weiterfahrt um 12:15 Uhr auch nicht so leicht. Denn das Treiben auf diesem kleinen Marktplatz war schon sehenswert. Ich hätte noch stundenlang sitzen können und die Menschen beobachten können. Doch ich hatte noch einmal 500 Höhenmeter zu überwinden. Das sollte nicht ganz so steil werden, denn noch 15 Kilometer trennten mich von meinem Tagesziel Sta. Maria im Val Müstair. Ich kannte den Weg. War ich ihn doch mit dem einen meiner zwei besten Freunde Frank auf der Go-Wild Tour “Best of Trails” gefahren. Und so genoss ich die Sonne, die schon seit einigen Stunden schien und radelte so vor mich hin. Bis ich das Schild sah: “Gesperrt für Radler”. Ich wollte gerade umkehren, um die Straße zu fahren, als mir ein Ehepaar aus dem Wald entgegen kam. Tja, wer redet, dem kann geholfen werden. Und so erfuhr ich, dass ich bis zu den nächsten Häusern fahren kann, um dann eine dort ausgeschilderte Umleitung zu nehmen. Die führte in praller Sone über einen Asphaltweg durch tiefgrüne Bergwiesen. Der Geruch war herrlich. So wie im Übrigen heute früh, als die Feuchtigkeit des Taus noch in den Wiesen lag und diesen einmaligen Bergwiesdengeruch hervor brachte. Nun auch der tolle Geruch hier im Val Müstair.
Ich kam gut voran, bis ich an diese eine Steigung kam. Plattenweg! Ich erinner mich noch genau an Frank vor 3 Jahren. Es war nicht gerade das, was man Motivation nennen konnte, was Frank von sich gab. Er war seinerzeit vom ersten Tag unserer Tour schon ziemlich fertig und es war heiß. Aber Frank hatte sich durchgebissen. Und das habe ich hoch geschätzt seinerzeit, als ich ihn auf seiner ersten Transalp begleitete, die ggf. dann doch eine Nummer zu schwer für die erste Tour war. Heute ging es gut aus. Ich war noch fit und erreichte so um 13:30 Uhr Sta. Maria. Mein kleines Hotel war offen.
Niemand zu sehen. Ein Schild stand dort: “Beziehen der Zimmer von 15 Uhr bis 18 Uhr”. Nun gut, was mache ich in einem Dorf mit knapp 300 Einwohnern? Ich ging die Straße, die sehr eng für eine Durchgangstraße ist und die zum Ofenpass führt, auf und ab. Ein Bus quälte sich durch die enge Gasse. Links und rehts des Spiegels nur knapp 10 cm Platz. Ein kühles Getränk aus dem kleinen Lebensmittelladen am Ende des Dorfs füllte meinen Wasserhaushalt wieder auf. Denn meine Trinkblase im Rucksack war 1 km vor Sta. Maria leer. Da habe ich wohl nicht aufgepasst und hätte mal vorher an einem Brunnen auffüllen sollen.
Wie dem auch sei. Punkt 15 Uhr bekam ich mein Zimmer. Eine tolle Aussicht. Genau auf die Bergkette, die ich morgen auf dem Weg nach Livigno überqueren muss. Das Hotel Crush Alba ist eines von drei Hotels, die ich hier gefunden hatte. Und es ist genau das Hotel, wo die Ulp-Gruppe, die parallel zu mir fährt, nicht nächtigt. Also holte ich noch mein Gepäck aus dem anderen Hotel, das ganze 61 Meter von meinem Domizil entfernt ist und genieße nun nach einer kühlen Dusche mit Arven-Seife (das richt schon sehr gut) meinen Ausblick in die Berge bei zunehmenden Wolken und entspanne. Wenn da doch der Rasenmäher nicht gewesen wäre, der hier eine Lautstärke verbreitete, die den örtlichen Dorfbach noch übertönte.
Ach ja, was ich noch sagen wollte zum Hotel: Das Hotel ist das älteste Gasthaus hier im Tal. Es wurde schon im 15. Jahrhundert gebaut. Früher diente es als Säumerherberge. Da komme ich mir doch gleich gut aufgenommen vor. Bin ich im Augenblick nicht auch eine Art Säumer, der mit seinem Drahtesel eine Last über das Gebirge transportiert? Bei dem Gewicht meines Rucksacks mit Erstehilfe Ausstattung, einem halben Werkzeugkoffer, Regenklamotten, Ersatzkleidung, Telefon für den Notfall, Corona-Hygiene Basisausstattung und meinen 2 Liter Wasser in der Trinkblase mag man schon meinen, dass ich das Lasttier bin. Doch zurück zum Hotel. Es hat gebrannt – und zwar im Jahr 2003. Seinerzeit wurde das 2. OG, in dem ich residiere von einem Großfeuer zerstört. Doch es wurde wieder aufgebaut. Und ich muss sagen, es ist wunderschön. Es ist wahrscheinlich das urigste Hotel, in dem ich je auf einer Alpentour gewohnt habe. Schau’n wir, wie die Nacht wird.
Ich werde morgen berichten, wenn ich den nächsten Blogeintrag über die Etappe von Sta. Maria nach Livigno schreibe. Dort liegen gleich in der Früh 900 Höhenmeter auf 11 km vor mir.
Zum Abschluss jedoch noch etwas, womit ich heute früh begonnen habe: Es begann mit dem Kriegsbauwerk auf dem Plamort und ich sah hier in Sta. Maria eine Skulptur, die auch mit Krieg zu tun hat. Nicht unweit von hier, am Stilfser Joch standen sich im 1. Weltkrieg Soldaten dreier Nationen, dreier Kulturen, dreier Sprachen gegenüber. Die Italiener und Österreicher, die im Krieg waren und die Schweizer, die aufgrund ihrer Neutralität diese Kämpfe kritisch beobachteten, um im Zweifelsfall ihre Neutralität durchzusetzen. Die Skulptur, die ich vor dem Dorfmuseum fand, vereinigt nun symbolisch diese 3 Staaten und erinern an die furchtbare Zeit. Als ich die Skultur sah und darüber las, fand ich, dass das den Tag heute so richtig abrundet.
Nun noch einige Fotos vom heutigen Tag