Die letzte Etappe meiner diesjährigen Tour über die Alpen sollte ganz im Zeichen der Entspannung stehen. Eigentlich führt die Etappe mit dem Luft hoch zum Mottolino in Livigno. Von dort geht ein wunderbarer Panoramatrail parallel zum Tal in Richtung Forcola di Livigno. Hier sind -nachdem ein entspannter Singletrail wieder ins Tal zurück führt, einige Meter hoch zu fahren. Eben zum Forcola. Von dort geht es über den Berninatrail schön mit Blick auf das Bernina Massiv zum Bernina pass, mit seinem gleichnamigen See, um dann im feinsten Flowtrail herunter in Richtung Pontresina zu führen.
Ich wollte heute primär das wunderbare Wetter in stiller Natur genießen. Letztlich wollte ich auch üben, mein Tempo zu kontrolllieren. Und was ganz wichtig war, ich wollte mich nicht mehr groß anstrengen, sondern einfach relaxen.
Und so strich ich die Fahrt mit der Mottolino Bahn. Ich hätte sowieso keine Freude gehabt, in diesen Zeiten, in einer Seilbahn zu sein. Dann kenne ich den Panoramatrail schon und er ist für mich nichts Neues, also musste ich ihn auch nicht abfahren. Ich blieb im Tal um zum Fuß des Forcola zu fahren. Das war entspannt, und so konnte ich gleich lernen, mein Tempo besser zu kontrollieren. Kunststück bei 8 Grad Celsius. Da fährt man in kurzer Hose freiwillig sowieso nicht schnell.
Über einen Wiesenweg erreichte ich dann die Spur hoch zum Forcola die Livigno. Von rechts kamen zwei Radler. Wow, sind die schnell. Will ich mich hinten dran hängen? Ach, lieber nicht, Ullrich, Du wolltest doch heute gemütlich fahren. Das Tempo der Beiden war in meinen Augen zu schnell. Ggf. wussten sie ja auch nicht, was sie noch erwartet. Denn zu Beginn ist der Talweg, der hoch zum Pass führt noch recht moderat. Aber kurz vor dem Talende steigt er in 6-7 Serpentimen an, die sich gewaschen haben. Nicht primär wegen der Steigung, sondern will sich dazu auch noch schotteriger Boden gesellt, der das Fahren noch schwieriger macht.
Ich fuhr langam, zog jetzt auch noch mein Unterhemd aus, um mich langsam hin zum Talschluss zu begeben. Dabei überholte ich die beiden Radler. Ich fuhr bergauf, scheiterte an der ersten Linkskurve, die in den Serpentinenweg einführt. Mal wieder weggerutscht. Egal, aufstehen, Krone richten und weiter geht es. Und weiter oben rutschte ich wieder weg und habe dann auch geschoben. Genau, wie schon einmal an der Stelle hier.
Aber glücklich und zufrieden bin ich oben angekommen und sah, wie sich jetzt mehrere Mountainbiker hier hoch quälten. Nicht fahrend, sondern schiebend. Das ist schon gut für das Ego, dass ich weitestgehend alles gefahren bin. Ich ging rüber zum Tante-Emma Laden, um mir als Belohnung ein Getränk zu kaufen und 4 Salsiz. Einer sollte mein Mittagessen sein (Mist, habe ich doch das Brötchen in Livigno zu kaufen vergessen), die anderen drei sollten mit nach Hause. Aus dem Laden herauskommend schrie ein deutscher Mountainbiker den Fahrer eines Kleinlaster an, er hätte ihn fast umgefahren auf dem Weg hier hoch. Aha, Straße gefahren. Selber Schuld. Der Fahrer versuchte in italienisch zu beruhigen, doch der Mountainbiker ließ sich nicht beruhigen. Ich erfuhr später, dass der Transporter den Lenker vom Radler touchiert hat. Das ist in der Tat kein Vergnügen und ich kann mich an eine ähnliche Situation mit einem Reisbus vor 5 Jahren am Berninapass. Nur habe ich mit dem Busfahrer im Nahhinein vernünftig reden können. Ist hier nicht gelungen.
Nun ging es auch flux weiter, denn ich wollte auf dem Bernina Trail Mittagspause machen. Dort, wo man kein Auto mehr hört. Ggf. ein Murmeltier. Dort wo ich alleine sein kann und nur die schöne Aussicht genieße. Also fuhr ich los. Ich traf wieder auf die oben besagten Radler. Ein Paar. Der Bitte, ein Foto von Ihnen zu machen, bin ich nachgekommen und so sind wir ins Gespräch gekommen. Aus Mettmann kamen die netten Radler. Na, da sind ja echt viele Berge, Respekt, weil ja dann ein Training mit Steigungen nicht ganz so einfach ist. Sie fahren das dritte Mal über die Alpen. Und zwar als Individualreisende mit ulp. Ich erzählte davon, dass meine Tour dazu gedacht ist, als ulp-guide die Strecke zu lernen. So verabschiedeten wir uns und jeder fuhr bzw. ging seinen Weg.
Nicht so schnell, weil eine Kuhherde meinen Weg blockierte. Gestern früh hatte ich noch das komische Gefühl mit den Kühen am Döss Randond, nachfolgend war ich noch an einer sehr ruhigen Kuhherde vorbei gefahren. Diese Kühe heute waren wieder aufgeregt. Erst hörte ich eine Kuh unter mir „Muh“, „Muuuh“. Weiter oben taten es ihr 2 Kühe nach. Über uns mir setzte sich eine Gruppe Kühe mit recht hoher Geschwindigkeit talwärts in Gang. Weiterhin der „Muh-Dialog“ von unten und oben. Es wurde unruhiger und ich blieb stehen, bis ich eine Lücke fand und schnell auf dem verblockten Trail bergauf fuhr. Dort sah ich den Grund der Unruhe. Der Hirte brachte seinen Hund mit Pfiffen und Handzeichen dazu, die oben stehenden Kühe herunterzutreiben. Und der Hund war fix. Sehr fix lief er hinter den Kühen her, die in einem von mir nicht für möglich gehaltenen Tempo nun wieder bergab liefen. Nach 2 Minuten war der Zauber vorbei und ich konnte mich weiter nach oben bewegen.
Eine kurzer Fotostop wurde von mir am Focrular Minor auf 2435 Meter Höhe eingelegt. Nun ging es auf die letzte Steigung, um auf 2492 Meter meine Mittagspause einzuleuten- Ich machte zuerst einige Fotos von der beeindruckenden Gerninagruppe mit dem bekannten Piz Bernina und auch dem Piz Morteratsch (hier komme ich später nochmal drauf zu sprechen). Der Piz Bernina ist der höchste Berg in dieser Region und mit 4049 Metern Höhe der einzige Viertausender in den Ostalpen. Klar, das die Berge mit Schnee bedeckt sind. Und das macht auch den Reiz aus. Die Sonne, strahlend blauer Himmel, teils karge, manchmal grüne Landschaft dort wo ich stehe. Ich setzte mich und genoss ein kühles Getränk und den Ausblick. So saß ich eine ganze Zeit, bis das Paar, welches ich noch vor kurzem gesprochen hatte, erschien.
„Kannst Du uns helfen“? Natürlich, wenn Kunden von ULP ein Problem haben, kann ich gerne unterstützen. Gesagt getan, so half ich dem netten Biker, seine Schaltung wieder besser einzustellen. Der erste Gang war nicht schaltbar. Kurze Einstellung und noch eine Erklärung, wie die Schaltungseinstellung funktioniert. Abschließend habe ich von beiden noch ein Foto vor dem Bernina Massiv gemacht. Und schon kamen die nächsten Radler. Vorbei war es mit der Ruhe. Das waren jetzt doch mehr als 2, also eine Gruppe. Auch sie waren mit ulp unterwegs. „Wer ist denn Euer Guide?“. Die Antwort erfreute mich sehr, denn es war Robert. Ein super ruhiger Guide -für mich ein richtiges Original-, mit dem das Fahren eine reine Freude war. So haben Robert und ich viel miteinander erzählten können und ich habe noch einige Tipps von Robert bekommen, während seine Gruppe erst einmal 15 Minuten Pause machte.
Nun wurde es unruhig. Eine Gruppe eines anderen Anbieters kam. 16 Personen plus Guide. Ich finde das viel zu viel. Robert fuhr wieder, und die 16er Gruppe nach 10 Minuten auch. Da hier nach meiner Einschätzung ein breiter Niveauunterschied vorhanden war, nutzte ich noch 15 Minuten alleine, um noch einmal die Ruhe zu genießen. Im Übrigen war hier der Biker dabei, der fast vom Kleinlaster angefahren worden ist. Er erzählte mir seine Geschichte. Und wie geschrieben, kann ich seinen Ärger sehr gut verstehen.
Nach 15 Minuten hieß es auch für mich Abfahrt. Ich hatte noch tolle Trails vor mir, bis ich Pontresina um 15 Uhr erreichen wollte. Um 16 Uhr ging ja mein Bus zurück nach Prutz. So fuhr ich den ersten Trail recht schnell, holte dabei wieder die 16 Personen ein, überholte sie und sah sie dann während meiner Wartezeit in Prutz noch einmal. Weíter ging es über den Stausee am Berninapass, der in strahlendem Blau (und das obwohl der Stausee Lago Bianco heisst) hier zu Füßen der Berninagruppe liegt. Parallel zur Eisenbahnlinie der Rhätischen Bahn, auf der mir gerade der Bernina Express entgegen kam, fuhr ich zur Staumauer. An dieser beginnt ein feiner Flowtrail, der mich schnell herunter bis Morteratsch bringen sollte. Kurz vor der Bahnsation Morteratsch bog ich ein in den Morteratsch-Gletscherweg, um mir zum wiederholten Mal den Morteratschgletscher anzuschauen. Hier kann man sehr gut sehen, wie schnell sich der Gletscher zurück zieht. Denn die Jahreszahlen sind als Stelen markiert, an denen der Gletscher die entsprechende Ausdehnung hatte. Ich war hier schon einmal letztes Jahr. Und ich hatte den Eindruck, dass der Gletscher weit zurückgegangen ist. Ich muss noch einmal Fotos vergleichen, aber es sind sicher knapp 100 Meter.
Hier waren naturgemäß viele Touristen, denn dieser Weg, der sich als Fußgänger unbedingt lohnt, ist auch mit Kinderwagen gut zu erwandern. Bei der Rückfahrt von der Gletscherzunge kamen mit einige von Roberts Gruppenteilnehmern entgegen. Denn die Gruppe hatte ich kurz vor dem Bahnhof noch überholen können, während Fotos im Trail gemacht worden sind.
Nun ging es auf meinen letzten Abschnitt dieser Tour. Flüssiges Fahren nach Pontresina. Hier machte ich mich frisch, wechselte noch die Bekleidung, da ich noch zwei Stunden Busfahrt vor mir hatte und verließ diese wunderbare Region um 16:40 Uhr.
Das war meine erste Transalp ganz alleine. Es war ein Erlebnis, welches ich nicht missen möchte. Ich habe wiederum die Landschaft genossen, wie ich das schon so oft tat. Ich sah neue Wege und auch Regionen. Ich studierte Menschen und ihr Verhalten in der Natur. Mein Rad hat mich treu ohne technischen Defekt durch die Tour getragen. Ich verbesserte meine Fähigkeiten auf dem Rad. Und ich ging kräftemäßig an meine Grenzen. Ich fuhr diese Etappen sehr schnell. So schnell kann man nicht mit einer Gruppe, auch nicht mit einem Partner fahren. Aber ich habe trotzdem Spaß gehabt, auch wenn ich das ein oder andere Mal schon sehr ausgelaugt und kaputt war. Aber auch das war schön, die Grenzen zu erreichen und zu kennen. Ich bin dankbar, dass ich auch dieses Jahr wieder die Möglichkeit hatte, so eine Tour zu fahren. Das ist nicht selbstverständlich und so habe ich jeden Tag genossen. Wer weiss, wie häuftig mir diese Erlebnisse noch vegönnt sind.
Und abschließend war ich stolz. Stolz, mich alleine durch die Alpen zu bewegen. Das ist nicht ganz so einfach, weil man den ganzen Tag ja kein Wort redet (außer beim Essen bestellen). Ich genieße das zwar, weil man auch auf andere Gedanken kommt, und auch bei langen Auffahrten viel nachdenken kann. Aber zu Zweit ist es doch schöner. Das ist klar. Und so hoffe ich, dass ich so ein Erlebnis noch mal mit Claudia, mit meinem Freund Frank oder sonst jemandem, der/die sich mir anvertrauen will, erleben kann. Und natürlich in 2021 dann als nebenberuflicher Guide bei ulp, deren Mitarbeiter die schöne Strecke erarbeitet und geplant haben.
Nun noch einige Fotos vom heutigen Tag






