Völkerwanderung in der Natur

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Sonntag 05:00 Uhr – der Wecker klingelt. Nun, auch wenn ich das Geräusch nicht so richtig mag, so ist doch heute eine Vorfreude vorhanden. In 45 Minuten geht es hoch zum Brocken. Nicht zu Fuß, nein, mit meinem Fahrrad. Die Nacht war kalt, der Himmel klar, der Mondschein schien schon schön. Und so ging es dann um 05:45 Uhr mit meinem Spezi Frank in Richtung Oderbrück. Dort sollte um 06:30 Uhr unsere Tour starten.

Das ist nur ein Ausschnitt der Personen, die wir auf dem Brocken gesehen haben.

Doch da hatten wir die Rechnung ohne die Parkplätze gemacht. Alles dicht um 06:15 Uhr am Oderbrück. Ich fasse es nicht. Da hatten wohl mehrere Naturfreunde die gleiche Idee, den Weg durch die klare, bitterkalte Nacht zu gehen. Links und rechts Schnee, teils abgestorbene Bäume und ein schönes Licht, na das ruft ja auch danach, sich zu bewegen. Die Alternative war schnell beschlossen. Kurz hinter Torfhaus gab es noch einen freien Parkplatz, den wir gesehen hatten und so fuhren wir dann von Torfhaus los.

Wir wollten eigentlich nicht den Wurzeltrail entlang des Wassergrabens fahren. Aber nun war das der bevorzugte Weg. Wenn ich von Wurzeltrail spreche, dann ist natürlich heute keine Wurzel vorhanden gewesen. Sie waren alle zugeschneit und der Boden hatte durch die Kälte einen sehr griffigen Schnee zu bieten. Fuhren wir Anfangs noch mit Helmlampe bzw. Lenkerlampe, so haben wir ab Goetheweg auch auf diese Beleuchtung weitgehend verzichtet. Dort wo der Mond zu sehen war, war es eine bizarre Stimmung. Hell genug war es allemal. Die glitzernden Eiskristalle an den Bäumen, auf dem Schnee waren einfach schön.

Nach knapp 5-10 Minuten sind mir schon die Finger eingefroren. Ich schätze, es waren -10 Grad. Aber kurz danach ging es ja bergauf und so konnte ich selber genug Wärme produzieren. Es war einfach herrlich. Der Schnee knirscht unter den Reifen und trotz der vielen Fahrzeuge waren doch recht wenig Wanderer unterwegs. Natürlich mal der ein oder andere, aber das habe ich im Sommer schon schlimmer erlebt.

Vom Eckersprung ging es hoch zum Goethebahnhof. Dieses etwas steilere Stück ist in Dunkelheit irgendwie anders zu fahren. Es ist ungewohnt, wenig Gefühl zu haben, wann die letzte Steigung, die sich oben noch zuzieht, kommt. Wie weit ist es noch, bis ich das von mir ungeliebte Stück hinter mich gebracht habe? Wie auch immer, zumindest waren die Absätze nicht da, die im Sommer immer wieder den Reifen bremsten. Denn natürlich waren auch die alten Panzer-Betonplatten aus DDR-Zeiten komplett mit Schnee überdeckt.

Kurzer Stop am Goethebahnhof, dann fuhren Frank und ich wieder unser Tempo. Mal fuhr Frank vor, mal ich. So ging es parallel zur Harzer Schmalspurbahn, deren Gleisbett ich erstmalig komplett zugeschneit gesehen habe dem Brocken entgegen. Kein Wunder, die Bahn fährt coronabedingt ja auch nicht. Der Himmel im Osten wurde immer ein Stück heller. Die Dämmerung nahte. Kommen wir noch pünktlich zum Sonnenaufgang am Plateau an? Ja klar, wir liegen gut in der Zeit. Also weiter…

An der Brockenstraße angekommen wartet ich auf Frank. Und ich schaute, welche Ursache das komische Schleifgeräusch, das ich seit 3-4 Minuten hörte, hatte. Nichts zu finden. Frank kam an, und ich machte noch ein Foto nach Osten. Dort wo unter uns ein Nebelmeer lag, über dem jetzt die ersten orangen Farben zu sehen war. “Wir treffen uns oben am Brockenstein, OK? OK!”, so lautete unsere Absprache. Jeder sollte wieder sein Tempo fahren. Frank vorweg ich hinterher. Aber irgendwie kam ich nicht mit. Das Treten fiel mir unsagbar schwer. In der 90° Kurve stieg ich ab und schaute nochmal nach dem Schleifen. Oh Mist: Ein Platten am Hinterrad. Es war immer noch dunkel, es war kalt und der Sonnenaufgang nahte, den ich oben sehen wollte. Also kein Reifenwechseln. Schiebend habe ich die letzten 80 Höhenmeter auch hinter mich gebracht. Kein Zuckerschlecken mit harten MTB-Schuhen. Sie sind ja auch nicht dazu gedacht, auf rutschigem Boden eine Straße hoch zu gehen.

Letzlich haben wir es geschafft. Wir waren oben. Ich zu schiebend, Frank fahrend. Und nicht nur wir. Wir sahen ein Menschenmeer. Die Fußgängerzone in Goslar am Sonnabend Mittag kann nicht voller sein. Sozusagen Völkerwanderung am Brocken. Vielleicht wirkte es auch nur so, weil sich alle auf den Sonnenaufgang fokussierten und in einer Ecke standen. Wer will es unseren Naturliebhabern verübeln? Viel zu schön ist doch der Blick, der sich im Osten abzeichnet. Wir sehen schneebeckte Bäume, teils vom Wind seitlich verweht. Die Wetterwarte, die wir noch vor 5 MInuten vor dem Mond sahen, liegt jetzt vor der aufgehenden Sonne. Wahnsinn!

Wir machten die obligatorischen Fotos und genossen den Sonnenaufgang.

Und nun hieß es Rad ausbauen, Schlauch einziehen, damit wir wieder runter fahren konnten. Und das war kein Vergnügen. Es war ca -8°C. Die Finger waren kalt, der Reifen war kalt und somit nicht sehr flexibel, die Felge war eiskalt. Aber irgendwie habe ich es hin bekommen, den Reifen abzuziehen und den Schlauch einzuziehen. Nicht alleine! Frank war mir eine wunderbare Hilfe. Die Finger taten ob der Kälte richtig weh. Aber es ist ja geschafft. Nun noch schnell aufpumpen. Oh Mist, der Reifen füllt sich irgendwie nicht. Es ist nicht zu erklären. Habe ich den Schlauch beim Einziehen beschädigt? Wahrscheinlich. Alles Pumpen hilft nichts. Nun ist auch noch meine Pumpe kaputt – der Schlauch ist abgerissen. Also Franks Pumpe. Auch das ging nicht.

Wir entschieden uns, den Schlauch noch einmal heraus zu nehmen. Der Mantel hatte keinen Schaden. Auch innen war keine Nadel, kein Dorn oder ähnliches zu fühlen. (Es macht übrigens nicht viel Spaß, bei diesen Temperaturen den mit Dichtmilch versifften Mantel mit nackten Händen innen nach Spitzen Stellen abzusuchen.). Es musste eine Entscheidung her: Also versuchen wir mal einen anderen Schlauch. Gleiches Spiel: Mantel ab, Schlauch rein, Mantel wieder drauf, frierende Hände, Hände wärmen, Pumpen. Und wieder kein Erfolg.

Wir waren ratlos! Was nun? Entscheidung Nr. 2 musste her. Ich bat Frank zu fahren und beschloss, zum Torfhaus zu schieben. Ja, ich wusste, das wird kein Vergnügen mit harten und eher rutschigen Mountainbikeschuhen und Cleats unter der Sohle. Aber die Finger können nicht ein drittes Mal den Reifen ausbauen. Ausserdem habe ich nun auch keinen Schlauch mehr. Frank hatte auch keinen mehr, denn einen hatte er mir ja schon gegeben.

In gefühltem Rekotdtempo von knapp über einer Stunde ging es zum Torfhaus. Die Sonne stand schon höher am Himmel, die Winterlandschaft war friedlich und es waren verhältnismäßig wenig Menschen unterwegs. Aber die, die unterwegs waren, waren sehr freundlich. Heute habe ich keinen missmutigen Wanderer oder Radler getroffen. Das passiert selten. Jeder Gruß wurde erwidert und auch etwas “Mitleid” habe ich bekommen. Na ja, sie haben wohl gesehen, dass Mountainbikeschieben kein Spaß macht. Auch die 3 Mountainbiker(innen) aus Goslar, die uns beim Radwechsel mit einem kurzen Gespräch die Zeit vertrieben, waren hammergut drauf. Mal sehen, ggf. können wir ja mal zusammen eine nette Runde fahren. Würde mich freuen.

Nun bin ich nach einem Duatlon (bergauf radeln, bergab schieben) mit zwei Blasen an den Hax’n glücklich und stolz wieder zu Hause. Die Bilder sind wunderbar, können aber nur einen Teil dessen wiedergeben, was wir erlebt und gefühlt haben.

Zum Abschluss noch einen Hinweis: Entgegen der Posts bei Facebook war der Torfhausparkplatz noch nicht annähernd gefüllt. Der kleine Parkplatz kurz vor dem Abzweig nach Altenau war gesperrt. Die Polizeipräsenz war hoch. Aber ein Ansturm auf die Straßen war um 10:30 Uhr bei unserer Rückfahrt nicht festzustellen. Letztlich war heute ein äusserst geringer Verkehr. Was wohl auch besser so war, da die sonst gut als Parkplatz taugende Straße von der B4 zum Diabas Steinbruch ebenfalls gesperrt war.

Alles in Allem, war es eine wunderbare Tour. “Danke Frank”! Das Aufstehen hat sich gelohnt, ebenso das Frieren auf den ersten Kilometern und letztlich auch die gefühlt abgestorbenen Finger beim Reifenwechsel. Na ja und auch die Blasen, die ich jetzt angesichts meiner “Mörderwanderung” habe. Ein gelungener Sonntagsauftakt.

Deshalb sind wir heute so früh aufgestanden…