Was bleibt nach 6 Tagen

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Am letzten Tag der Transalp ging es nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem Autobus von Colico am Comer See zurück zum Startort in Grainau. 09:00 Uhr Abfahrt, alle Räder sind verpackt und neben mir saß – ja, wer saß da eigentlich? Ich habe noch nicht einmal seinen Namen in Erinnerung. Ein Lehrer aus München, der individual zum Comer See gefahren war und früher als Guide für ULP gearbeitet hat. Wer es auch immer war, ich danke für die tollen Gespräche, die wir während der knapp 6 Stunden Busfahrt, vorbei an den Orten, die wir auch mit dem Fahrrad besucht hatten, geführt haben.

Die Zeit war sehr kurzweilig und ich hätte noch lange weiter reden können. Und auch die Natur ganz entspannt aus dem Busfenster genießen können. Doch jetzt, wo es in Richtung Heimat ging, da war ich auch recht ungeduldig, bis wir endlich in Grainau ankamen. Es war ca. 15:30 Uhr. Ich wollte um 16:00 Uhr auf der Autobahn sein, so dass ich gegen 22 Uhr ganz entspannt zu Hause ankommen konnte.

Doch daraus wurde leider nichts. Das Auto war schnell gepackt, Umarmung, Händeschütteln und nochmal ein ganz aufrichtiger und inniger Dank an Robert – und los ging es in Richtung Garmisch. Das Navi sagte “Stau”. Also nur kurz in den Supermarkt, Brötchen und etwas Volvic Wasser gekauft und ich entschied mich über Ehrwald, Lermoos und nachfolgend Reutte-Füssen-A7 nach Hause zu fahren. Der letzte Blick zur Zugspitze im Ehrwalder Becken und ich erinnerte mich an den Sonntag zuvor, an dem wir durch Lermoos gefahren waren. Ein Mountainbiker baute gerade sein Vorderrad aus – Ach du! Rückspiegel – Hitzewellen!
Mein Vorderrad war nicht im Auto. Es lag wohl noch in Grainau. Na super, was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen. Hier nun im Gaspedal. Ich fuhr zurück, rief noch schnell Robert an, der mir versicherte, dass mein Rad wohlbehalten in Grainau im Büro liegen würde. Nachdem ich -angesichts zahlreicher Sonntagsfahrer und einer sich im Fahrzeug schminkender Fahrzeuglenkerin- nach 25 Minuten in Grainau angekommen war, konnte ich mein Vorderrad, welches mich auf den vergangenen Etappen so problemlos durch Dick und Dünn gefahren hat, in Empfang nehmen.

Ich entschied mich, nicht mehr über Ehrwald und die A7 zu fahren. Jetzt hatte ich so viel Zeit verloren (immerhin eine gute Stunde), so dass ich mich für die kürzere Variante Garmisch-München-Nürnberg-Leipzig-Goslar entschied. Ein Fehler! In Garmisch, bzw. vor Garmisch war nun ein Stau, der vor einer Stunde noch nicht so lang war. Ich kam erst einmal gar nicht aus Grainau heraus, brauchte knapp 45 Minuten, bis ich das nächste Mal vor Oberau im Stau stand. Nach über einer weiteren Stunde war ich endlich auf der A95 in Richtung München.
Ich hatte so ruhige, schöne Tage. Sollte ich jetzt schon wieder -nach so kurzer Zeit- in die Hektik des Alltags verfallen? Ja! Zumindest temporär, denn ich wollte schnell nach Hause, damit mich die Müdigkeit nicht noch vor der Ankunft in Goslar überkommt. Also gab ich Gas. Für meine Verhältnisse richtig Gas. 180km/h, wo es ging. Ich hatte ja in Garmisch noch voll getankt. In München war ich einigermaßen schnell. Der Verkehr war jedoch dicht. Der Mittlere Ring in München ließ auch nicht viel Spielraum zur Zeitersparnis. Ebenso nicht der Weg bis Ingolstadt auf der A9. 17 km Baustelle mit Tempo 60. Aber dann wollte ich endlich vorankommen. Mein Auto surrte wie eine Nähmaschine. Keine Probleme und der Himmel änderte seine Stimmung in einen schönen Früherbst-Sonnenuntergang.

An Nürnberg vorbei hörte ich noch von der Landung eines Rettungshubschraubers hinter mir – Glück gehabt. An der Grenze zu Thüringen war es dann schon richtig dunkel und die Fahrt wurde schwieriger. Ich nahm ein wenig Tempo raus und fuhr mit 160 km/h auf der nun fast leeren Autobahn. Leipzig kam näher. Auch wenn das Navi mir zeigte, dass ich erst gegen 01:00 Uhr zu Hause sein sollte, so konnte das nicht sein. Kurzer Smalltalk mit einem älteren Ehepaar nach der Pipi-Pause (die wir auch so häufig auf unserer Tour hatten) und die letzten 150 km lagen vor mir. Alles gut gegangen. In reiner Fahrzeit von 5 Stunden und 18 Minuten und dem oben besagten Halt von 4 Minuten habe ich die 673 Kilometer hinter mich gebracht und konnte übermüde aber glücklich wieder meine Heimatbasis erblicken.
Was ist nun aus meiner Transalp 2016 geblieben? 8 Tage, die ich mit interessanten Menschen, einem ruhigen und sehr netten Guide, der uns sämtliche Entscheidungsmöglichkeiten gegeben hat, in einzigartiger Kulisse erleben durfte. Hierfür bin ich erst einmal dankbar.
Ich danke meiner Familie, die mein sehr zeitintensives Hobby stets unterstützt, insbesondere Claudia, die mich motiviert hat, trotz ihres Krankenhausaufenthaltes zu fahren. Ich danke aber auch meinen Mitstreitern auf der Tour. Wir waren eine homogene Gruppe! Jeder hatte den Freiraum, den ein Individuum braucht. Und wir haben als Gruppe gut funktioniert und das ist nicht selbstverständlich.

Letztlich danke ich unserem Guide Robert. Als ich ihn am Anfang gesehen hatte, hat mich der Schlag getroffen. Wenn ich ihm nur einige Gramm meines Körperfetts abgegeben hätte können. Ich hatte wirklich Respekt, dass es ein “Rennen” wird, wie im letzten Jahr. Aber Robert hat das eingehalten, was er am ersten Abend in Grainau versprochen hat: Genussradeln. Und darum ging es mir! Ein Beispiel ist hier die Königsetappe. Sind wir im letzten Jahr meine Königsetappe von Scuol nach Livigno in 08:32 Stunden gefahren, so waren es in diesem Jahr nach meiner Messung 09:49 Stunden. Und das war die gleiche Arbeit, die wir verrichtet haben. Aber wir haben uns mehr Zeit genommen und einfach mehr genossen (soll nicht heißen, dass das im vergangenen Jahr nicht schön war, im Gegenteil!). Diese Tour war kein individueller testosterongesteuerter Wettkampf, bei dem jeder zeigen kann, was er drauf hat (oder nicht – letztlich ist ja dann das Material schuld oder die Tagesverfassung und niemand würde zugeben, dass etwas für ihn zu viel ist).
Nein, vielmehr wollte ich ehrfürchtig die Berge hoch radeln, die Natur genießen, die Maßstäbe gerade ziehen (und sehen, wie klein und letztlich unbedeutend ich als einzelner Mensch bin). Und das, was im Allgemeinen als Schöpfung beschrieben wird, wollte ich in der in meinen Augen wunderbarsten Landschaft, die ich kenne, einfach nur genießen. Es ist mir gelungen!

Andreas, einer meiner Begleiter sprach immer davon, dass wir hier sechs ganz unterschiedliche Einzeletappen fahren. Wie recht er doch hatte. Sie unterschiedlich sind doch die einzelnen Regionen gewesen. Das Wettersteingebirge mit dem Ehrwalder Moos lässt sich nun nicht im Geringsten mit dem schroffen, kargen und einsamen Fimbapass vergleichen. Die Hochebenen um die Alpe Astra im Unterengadin sowie um den Passo Gallo in Italien hatten mit ihrer Einsamkeit und Schönheit nun wieder einen ganz anderen Eindruck hinterlassen als die flowige Abfahrt vom Berninapass in Richtung Oberengadin, wo die Seen so herrlich ruhig die Frische im sonnigen Wetter brachten. Ganz besonders aber hat sich in meinen Augen der Berninatrail vom Furcola di Livignio zum Berninapass von allen anderen Wegen unterschieden. Hier war es einfach nur schön, die Masse des Bernamassivs vor uns zu sehen und ohne Menschenkontakt ganz einsam in Richtung dieser höchsten Berggruppe in den Ostalpen zu schauen und zu fahren. Eben Cinemascope-Kino.
Jede Etappe hatte seinen Reiz und keinen Eindruck, den ich in den vergangenen Tagen aufgenommen habe, möchte ich vermissen. Auch ich kann das, was ich erlebt habe, weder auf Fotos, noch in diesen Texten auch nur annähernd darstellen. Es ist ein Versuch, der aber letztlich scheitern muss. Denn die Gerüche (ja, ich habe in den Alpen im Gegensatz zu meiner normalen Umgebung viel gerochen. Meine Nase hat funktioniert) lassen sich nicht wiedergeben. Die Klänge (ich habe auch Murmeltiere gehört, die ich noch im letzten Jahr gar nicht wahrgenommen habe) lassen sich nicht abspielen. Und auch die Gefühle, die durch Erschöpfung und auch den Stolz, diese Strecke fahren zu können und auch zu dürfen, entstehen, haben in ihrer Gesamtheit zu einer besonderen Stimmung geführt, die ich jedem nur wünschen kann und möchte. Für mich war es ein einmaliges Erlebnis, für das ich unendlich dankbar bin.

Ob ich es nochmal mache? Eine Steigerung ist kaum möglich. Aber -und auch das ist eine Erkenntnis der letzten acht Tage- eine Steigerung ist nicht nötig. Genießen wir doch das, was wir haben und hatten. Und freuen uns auf das Nächste, was wir haben werden. Es wird wieder einzigartig sein. Und darum geht es.

Euer Ullrich