Ullrich:
Tag 2, unser erster Tag auf dem Rad, lässt sich mit einem Wort überschreiben: Grenzen. Wir haben mehrere Grenzen übersfahren. Von Österreich in die Schweiz, von der Schweiz nach Österreich und ich habe auch persönliche Grenzen kennengelernt. Doch nun eins nach dem anderen:
7:00 Uhr Frühstück, 08:13 Uhr Abfahrt und schon ging es mit der Seilbahn hoch hinauf zum Grenzkamm. Seilbahn und Mountainbiking? Das passt doch nicht, oder? Wir haben uns für die Aufstiegshilfe entschieden, da die Tagesetappe sonst nicht zu leisten gewesen wäre. Und wir wollten ja unbedingt den Grenzkamm zwischen Österreich under Schweiz befahren.
Das Wetter war kalt, die Sicht jedoch toll. Im Hintergrund blauer Himmel, schneebedeckte Gipfel und bedrohliche Berge. Doch die Kälte hielt nicht lange an. Gleich zu Beginn hatten wir 150 Höhenmeter zu überwinden. Und das auf kürzester Distanz. Mein Herzfrequenzzähler war bei 75 – nun gut, die Messung funktionierte nicht. Denn die Frequenz muss am Anschlag, also wieder an einer Grenze gewesen sein. Kein Wunder, denn wir waren mittlerweile auf 2900 Meter Höhe. Die Luft erschien mir recht dünn und so aus dem Stand ist das sicher nicht gesundheitsfördernd. Ggf. hätten wir uns vorher einen Tag aklimatisieren müssen. Aber trotz der Anstrengung und der so erreichten Leistungsgrenze hat die Fahrt auf dem Grenzkamm Spass gemacht. Und das Gefühl den Grenzkamm komplett zu sehen und zu befahren war schon toll.
Die erste Abfahrt ging dann auch in die Hose. Es gab ein / zwei Stürze eines Gruppenmitglieds – aber zum Glück nichts ernstes. Und so fuhren wir auf ziemlich matschigen Singletrails einige Höhenmeter wieder nach unten, um einen Gegenanstieg von 400 Metern zu überwinden. Per Pedes. An Fahren war nicht zu denken. 8 kg Rucksack auf dem Rücken, 15 kg Fahrrad oben drauf. So ging es aus Richtung Zeblasjoch in Richtung Fuorcla da Val Gronda auf 2752 Metern Höhe. Es ging einigermaßen, war aber auch wieder eine grenzwertige Erfahrung. Einige Stücke konnten wir unter größten Anstrengungen fahren. Und dabei passierte es: Ich blieb mit der linken Pedale unter einem Felsbrocken stecken. Tretend! Das bedeutete, dass ich meine Zehen eingeklemmt hatte. Nun gut, das tat weh, war aber so weit nicht schlimm. Schlimmer war die Tatsache, dass sich der Felsbrocken löste, ich das Gleichgewicht verlor und durch das Ausrutschen den scharfen Felsbrocken am linken Unterschenkel spürte. Der Lohn? Für diese Amateurleistung sind jetzt 20 cm Schrammen an meinem Unterschenkel verewigt. Aber die Aussicht auf die Heidelberger Hütte und das Fimbatal von oben war es allemal wert. Den Trail, der uns in Richtung Heidelberger Hütte führte verlassend, hieß es nochmal knapp 300 Höhenmeter zu schieben. Der Aufstieg zum Fimbapass, den wir gegen Mittag erreichten lässt sich ebenfalls nicht fahren. Glücklich wie die Kinder nahmen wir nun die Abfahrt ins Unterengadin in Angriff. Der Weg war gerade im oberen Bereich nach meiner Wahrnehmung sehr rutschig, verblockt und für mich am ersten Tag sicher nicht ungefährlich. So hieß es einige Male absteigen und einen Schritt zu Fuß schieben. Es ist sehr seltsam gewesen. Ich bin diesen Trail sowohl 2015 als auch 2016 schon einmal gefahren. Und er fiel mir beide Male viel leichter als heute. Ggf. liegt es am neuen Fahrrad, mit dem ich noch nicht so richtig eins bin. Oder der Trail ist wirklich ausgewaschener gewesen. Auch hat der Schnee, der hier noch vor zwei Wochen lag, die Wege recht nass und rutschig gemacht, so dass nicht nur die körperliche Anstrengung, sordern auch die mentale Anstrengung für Kalorienverbrauch bei mir sorgte. Aber es machte Spaß und das ist die Hauptsache!
Die Kalorien, die ich so heftig bisher verbraucht hatte konnten aufgefüllt werden. Wir erwarteten Mittagessen um 14:00 Uhr in der Tanna da muntanella in Griosch. Ein uriges Bauernhaus in Unterengadin, wo de leibhaftige Alm Öhi lebt und Doris einen hervorragenden Rüblikuchen macht. Den hatte ich hier schon einmal vor zwei Jahren und somit sollte es heute Spaghetti mit selbstgemachte Pesto und Alpenrosensirjp als Getränk sein. Doch bevor es die Erfrischung und Ernährung gab, mussten wir noch richtig matschige Strecken schreibend überwinden. Verglichen mit letztem und vorletztem Jahr, war die Fahrt auch im unteren Bereich heute anspruchsvoller, da die Wege mittlerweile ausgewaschener und ausgefahrener sind. Zu viele Mountainbiker halt, die diesen Weg von Österreich in die Schweiz wählen. Oder aber zu viele Kühe, die heir weiden. Wir haben auch Kuh- und Rinderherde durchfahren müssen. Das Gefühl war schon komisch, weil ganz viele kleine Wiener Schnitzel -sprich Kälber- vor unseren Rädern liefen. In meinen Augen nicht ungefährlich (zumindest unbehaglich) und ich war froh, als wir durch waren. Denn es passiert ja in den Alpen immer weider, dass Kühe Menschen angreifen, um ihre Kälber zu schützen.
Nach der Mittagspause fuhren wir über zwei Hängebrücken im Val Sinestra, bevor es über wurzelige Trails bergab und bergauf ging. Das brachte mich wiederum an meinen Grenzen. Die Gruppe ist recht stark, und Holger als Guide unheimlich schnell. Ich musste mehrfach absteigen und schieben. An Fahren war für mich und auch Frank teils nicht zu denken. Doch damit war ich nicht der Einzige. Innerlich habe ich geflucht und ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, ob ich die richtige Tour gewählt habe. Auch weiss ich es jetzt, wo ich die Zeilen schreibe, immer noch nicht. Denn die Grenze meiner Leistungsfähigkeit war mittlerweile überschritten. Doch was soll ich machen? Aufhören? Keinesfalls, dafür habe ich zu lange und mehr als letztes Jahr trainiert. Also durchbeißen – so wie ich das immer mache, wenn ich etwas unbedingt erreichen möchte !
Es ging in das Inntal hinunter und die Anstrengung für die Beine wurde etwas geringer. Wobei bergab ja im stehen gefahren wird, was ebenfalls sehr kraftraubend ist. Noch anstrengender aber war es für meine quietschenden Bremsen und meine Unterarme. Denn die Steigungen, die wir fuhren, hatten es in sich. Ich schätze mal auf ca. 30 %. Der Lohn: Eine entspannte Fahrt entlang des Inns bis – ja bis wir wieder an die Unwetter der letzten Tage erinnert wurden. Der Inn war über die Ufer getreten, hat sich ein neuen Flussverlauf gesucht und wir sind mitten durch den kalkigen Matsch, den das Hochwasser (davon hatte ich dieses Jahr ja nun wirklich genug!) produziert hat.
Ich bin bis zur Felge eingesackt und kam auch nicht mehr weiter. Allen ging es so. Also schieben und raus aus der Matsche. Ich schätze mal, dass ich 2 kg Matsch am Rad hatte, und es brauchte einige Kilometer auf der Straße, die wir angesichts zerstörter Brücken fahren mussten, um das Fahrrad einigermaßen vom Matsch zu befreien.
Letztlich ging es dann noch einmal 600 Höhenmeter am Stück über eine rutschige Schotterstraße, bis wir unseren Zielort Nauders über die 3 Ländertrails erreicht haben. Es war mittlerweile 19:30 Uhr. Das Fahrrad heile, ich kaputt und Krämpfe in beiden Oberschenkeln 100 Meter vor dem Hotel.
So ging der erste Tag zu Ende und ich bin gespannt, was uns Morgen auf dem Weg nach Livigno über den Reschenpass, Val Mora und den Passo Trela erwartet. Der Voraussage durch Holger scheint es auf den 80 Kilometern und 2500 Höhenmeter nicht zu anstrengend zu sein, wie heute. Trotzdem muss ich jetzt Ruhen und wünsche eine gute Nacht bis morgen..
Euer Ullrich
Frank:
Ziemlich aufgeregt und voller Erwartung auf das was kommt begab ich mich morgens zum Frühstück um 7 Uhr. Um 8 Uhr wollten wir uns dann treffen um dann pünktlich um 8:30 Uhr an der Bergbahnstation zu sein.
Klingt jetzt etwas faul gleich den Tag mit einer Seilbahnfahrt zu beginnen, wer den Rest der Tour dann live erlebt hat würde diese Frage jedoch nicht stellen.Es fing gleich hammerhart an. Erstmal 150hm steiler Anstieg zum Einstieg in den Trail. Der Trail auf dem Grenzkamm ist zwar nicht sonderlich schwer, aber links und rechts fällt das Gelände steil ab. Ich gebe zu dass mein Kopf da vielleicht etwas zuviel mitspielt. Über extrem matschige und ausgewaschene Trails geht es weiter in Richtung Fimbapass. Zwei Passagen mit ca 400 Höhenmeter, bei denen wir unsere Fahrräder teilweise tragen mussten, gingen schon ganz schön an unsere Kräfte und das ganze dann in einer Höhe von fast 3000 Metern.
Aber irgendwann hatten wir dann die zweite Passhöhe auch erreicht. Leider hatte das Unwetter der letzten Tage auch hier die Trails teilweise ganz schön verunstaltet. Passagen in denen ich schieben wollte, weil es dann doch recht steil neben dem Weg in die Tiefe ging und eine Kuhherde die nun ganz genau in der Mitte des Trails stand schaffte dann noch zusätzlich Anstrengung, weil sie großzügig im unwegsamen Gelände umgangen werden musste. Aber dann wurde das Gelände wieder beschaulicher und wir kamen an eine kleine Hütte in der offensichtlich der Almöhi aus der Milka Werbung lebte. Selbst die Brille stimmte und cool war er ja auch irgendwie. Eine Minzbrause und Nudeln mit Pesto war mein Essen. Leider war es recht teuer, da wir uns gerade in der Schweiz befanden. An diesem Tag haben wir übrigens ungefähr viermal zwischen der Schweiz und Österreich gewechselt.
Nach dem Essen ging es ins Tal über abenteuerliche Trails und 2 Hängebrücke, die hoch über einer Schlucht hängen. Als wir das Inntal erreicht hatten ging es am Flussufer des Enz entlang bis wir in einem Schlammloch vom Inn stecken blieben. Dementsprechend sahen die Fahrräder aus und natürlich die Fahrer auch. Nun könnte man denken der Tag hat doch genug geboten und die Tour könnte zu Ende sein. Mein Wunsch war dies, aber leider ging das nicht. Wir mussten noch mal 600 Höhenmeter auf einen Berg hochfahren, um nach Nauders auf der anderen Seite des Berges zu kommen. Oben angekommen, mussten wir dann auch eine umgestürzte Bäume über klettern und das war nicht einfach, weil ich irgendwie schon ziemlich platt war. Aber man staunt was in einem steckt und man kämpft sich weiter.
Nach noch einigen wirklich schönen Trails ging es runter nach Nauders und in unser dortiges Hotel. Es war schon fast 20 Uhr und wir waren insgesamt 12 Stunden unterwegs und morgen sollte die Tour nicht wirklich kürzer werden. Das Abendessen folgte sofort nachdem wir uns gründlich gewaschen haben. Ich war so platt, dass ich kaum noch Hunger hatte und um 10 Uhr ins Bett gefallen bin.
Aber was gut war: diese Nacht wurde wesentlich besser als die davor und ich schlief zumindest zeitweise wie ein Murmeltier.