Alte Militärwege – Anspruchsvoll und einmalig schön

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Ullrich:

Nach zwei Tagen ohne Intenet hat mich die Welt wieder. Und so kann ich über die letzten drei Tage berichten. Ich kann gleich vorweg sagen: Man kann auch ohne Internet sehr gut leben. Zumindest habe ich das die letzten drei Tage ausprobiert. Und ich habe nichts verpasst. Das funktioniert zu Hause wahrscheinlich nicht. Aber ich habe auf diesen Tagen auch so so viele Eindrücke und Gedanken erhalten, die ich nicht missen möchte. Das Internet könnte ich durchaus missen!

Tag 4 und der dritte Tag auf dem Rad stand im Zeichen der Fahrt von Livigno zum Stilfser Joch. Die Abfahrt war auf 08:30 teminiert, da wir einen defekten Mantel in der Gruppe zu beklagen hatten. Und da musste noch ein Sportgeschäft aufgesucht werden. Letzlich sind wir um kurz vor 09:00 Uhr im Hotel los gefahren. Wir haben dann auch noch ein Sportgeschäft gefunden. Was wir nicht wussten, der 15.8. (Mariä Himmelfahrt) ist ein hoher Feiertag in Italien. Aber in Livigno verdient man sehr viel Geld mit den Mountainbikern, und so hatten doch einige Geschäfte trotz Feiertag offen. Richtig los ging es dann um 09:20 Uhr.

Die Luft klar und sonnig. 11 Grad zeigte das Thermometer. Kurze Hose, kurzes Trikot und es fröstelte gar nicht. Denn die Sonne schien schon schön. Und so wärmte sie auch gleich die Haut durch die warmen Strahlen. In der Luft lag der Geruch von Rauch aus einem Holzofen. So nahm ich eine Spätsommer- bzw. Frühherbststimmung in den Alpen war, die ich so sehr liebe.

Als wir am See in Livigno vorbei fuhren (Spaziergänger machen auch hier nicht notwendigerweise Platz doch das Miteinander zwischen Fahrradfahrern und Wanderrn ist hier viel entspannter als in Harz), ging es in den Schatten. Und es wurde sogleich sehr kühl. Das änderte sich schlagartig, als wir den Anstieg zum Passo di Alpisella auf 2268 Metern Höhe begannen. Da Livigno auf 1816 Metern Höhe liegt, mussten wir knapp 450 Höhenmeter überwinden. Ich habe hierfür 50 Minuten benötigt. Und dieses war schon schwer, weil doch einige steile Höhenmeter zu fahren waren.

Und das Fahren war manchmal nicht nur schwer, sondern einfach auch frustrierend. So wurde ich von einigen Mountainbikern überholt, die sehr gut trainiert waren. Jünger als ich waren sie sowieso. Warum kann ich nicht so schnell diese krasse Steigung zwischen 20 und 30% fahren? Vielleicht, weil ich älter bin? Oder, weil ich kein E-Bike hatte? Denn auch diese Fahrradfahrer überholten uns auf der Strecke. Das ist für mich schon belastend gewesen. Ich total kaputt, ein E-Bike rauscht vorbei und der nicht schwitzende Fahrer grüßt nicht einmal. Letztlich haben ich die erste Steigung des Tages auch gemeistert. In der Gruppe gelang dieses allen. Der eine schneller, der andere langsamer. Frank dachte ans Aufgeben, weil er doch arg geschunden und kaputt war. Aber auch hier hat die Gruppe und Holgers unbeschwerte Art die Weiterfahrt motiviert. Und es hat sich gelohnt!

Oben angekommen, kam dann noch eine geschätzt 62-65 Jahre alte Dame auf einem herkömmlichen Mountainbike daher gefahren. Ich zog bildlich meinen Hut. Sie fuhr nahezu entspannt. Absoluten Respekt in diesem Alter, diese Strecke gefahren zu sein. Nach kurzer Pause auf der Passhöhe ging es dann in einem tollen Trail wieder in Richtung Lago die Fraele. Holger gab mir noch einen Tipp und ich konnte meine Fahrtechnik auf dem Trail verbessern. Und so ging die lockere Abfahrt viel zu schnell vorbei.

Unten angekommen, umrundeten wir noch die Stauseen Lago di San Giacomo und Lago di Cancano um uns im Ristoro Solena noch kurz mit Nudeln zu stärken. Denn vor uns lagen wieder mehrere Hundert Höhenmeter, die steil im Berg angelegt waren. Und hier gab es wieder Grenzen, wie am ersten Tag schon beschrieben. Konnte ich unten den Trail noch sehr gut fahren, so änderte sich dieses mit zunehmender Höhe. Der Weg wurde nicht rutschiger oder enger, sondern einfach nur höher. Der steile Abgrund rechts- bzw. linksseitig hat mich doch sehr beeinflusst. Und so wurde mein Fahren zunehmend unsicherer. An ein ruhiges gerades Fahren war nicht mehr zu denken. Ich entschloss mich, zu gehen. Weiter oben, wo ich die steilen Abhänge nicht mehr so wahrnehmen konnte, ging es mit dem Fahren auch wieder wunderbar. Letztes Wasserfassen auf einer Alpe und so ging es in schönster Sonne über den Bochetta di Pendanolo auf 2704 Metern in Richtung Bochetta di Forcola auf 2769 Metern. Wir kamen dem Ziel hoch zum Bochetta di Forcola langsam näher. Auf flacheren alten Militärwegen schraubten wir uns hoch hinauf, bevor ein riesiges Geröllfeld, welches das Fahren für mich weitgehend verbot anschloss. Wir erreichten eine alte Armeestellung aus dem ersten Weltkrieg. Es ist schon schwer zu verstehen, dass sich Österreich/Ungarn, die Schweiz und Italien in solch trostlosem Land bekriegten. Aber ähnliches gibt es heut ja noch zwischen Pakistan und Indien. Verstehe da jemand die Welt.

Doch zurück zu unserer Fahrt: Über einen schönen Trail ging es zum Stilfser Joch. Nicht, ohne zuvor am Umbrailpass iim außergewöhnlichen Café “Quarta Cantoniera Rita Dei Cas” noch Apfelkuchen zu essen. Der Laden schien in den 50er Jahren stehen geblieben zu sein. Fast so wie der Harz, meine Heimat. Opi bereitete hinter der Theke die Getränke zu, während Omi bei sehr tragender, klassischer Musik sitzend den Apfelkuchen für uns schnitt (den Opi natürlich nach draussen zu uns brachte). Nichts könnte sie aus der Ruhe bringen, Außer eventuell ihr Mann, dem sie immer wieder Anweisungen gab. Wer hier die Hosen bildlich an hatte, war schnell klar.

Wir nahmen hier die letzte Stärkung zu uns, um noch einmal 350 Höhenmeter zum Joch zu fahren. Dieses Mal auf der Straße. Von rücksichtslosen Autofahrern und auch Motorradfahrern mit überdimensioniertem Schallpegel teils an den Rand der Straße gedrückt, war ich froh, nach kapp einer halben Stunde den Pass erreicht zu haben, um den egoistischen Fahrzeuglenkern zu entkommen.

Unser Ziel hieß jedoch Garibaldi Hütte. Auch noch einmal knapp 100 Höhenmeter über dem Stilfser Joch auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz lag sie. Hier sollten wir auf dieser einmaligen Hütte übernachten. Den direkten Blick auf den Ortler und die Serpentinen des Stilfser Joch konnten wir nach der letztlichen Schiebepassage innerhalb von 10 Minuten erblicken. Nun hieß es Abendessen, bevor ich mit fünf weiteren Radlern unserer Gruppe und dem Guide ein Zimmer bezog. Das letzte Mal hatte ich in meiner Jugendzeit in der Jugendherberge mit so vielen Personen das Zimmer geteilt. Eine neue, jedoch alte Erfahrung!

An diesem Abend beschloss ich auch, mit Frank am kommenden Tag über den Umbrailpass ins Val Müstair zu fahren. Der Goldseetrail, auf den ich mich so gefreut hatte, wollten wir nicht realisieren. Ggf. gibt es später nochmal eine Möglichkeit. In diesem Jahr erschien mir der Goldseetrail für mich nicht machbar.

Aber dazu morgen mehr…
Wir lesen uns wieder, liebe Grüße
Ullrich

Frank:

Kurz vor dem Aufgeben
Der Wäscheservice des Hotels hatte gute Arbeit für unsere Bikekleidung vom ersten und zweiten Tag geleistet. Das Bett glücklicherweise auch, so dass ich gut geschlafen hatte, obwohl ich viel gegrübelt habe. Die Rucksäcke mussten wir heute richtig voll packen mit Übernachtungsgepäck für zwei Hüttenübernachtungen und Tauschwäsche für Stürze.
Aufgeben?
Nach dem frühen Frühstück ging es mit ca. 10kg Rückenlast um 8:15 Uhr zunächst in Richtung Livigno zu einem Bikeladen, weil Patrick einen neuen Reifen brauchte, nachdem der alte Reifen einen großen Riss hatte. Im zweiten Laden war die Suche von Erfolg gekrönt und die eigentliche Strapaze konnte von vorne beginnen. Der Passo Alpisella sollte der erste Anstieg sein – laut Holger fahrbar – für mich leider in Teilen nur schiebbar. 400hm steil nach oben – teilweise überholt von E-Bike-Fahrern (manchmal könnte ich schon k…) und Bikern ohne Mehrtagesgepäck. Frustierend ist das schon, wenn man dann da so hochschleicht. Aber selbst mir gelangen auch noch Überholungen. Vollkommen erledigt und frustriert erreichte ich die Passhöhe – fest entschlossen dem Spuk ein Ende zu setzen. Nur durch die Motivation eines wirklich überragenden Teams (ihr könntet Feuerwehrleute sein) entschloss ich mich der Tour noch eine Chance zu geben und mich weiter von der Sinnhaftigkeit des Kampfes zu überzeugen.

Tolle Ausblicke, klasse Trails und ein super Nudelgericht.Nach dem Passo di Alpisella folgte glücklicherweise ein überzeugendes Argument für das Weitermachen. Ein schöner Flowtrail durch eine Kiefernschonung führte bis zum Lage di Fraele hinunter. Der Lago di Fraele und der Lago di Cancano, zwei Stauseen in den Bergen von Bormio waren schnell auf einem staubigen Kiesweg umfahren. Das blaue Wasser vor der Kulisse der schroffen Berge und der Kiefernwälder war ein schöner Kontrast. Am Ende der Umrundung erreichten wir eine kleine Wirtschaft „Ristoro Solena“. Auch wenn diese Gaststätte sich eigentlich auf Feiertagsbetrieb eingestellt hatte (Maria Himmelfahrt) bekamen wir dort leckere Nudeln ala Napoli und das notwendige Spezi für die Weiterfahrt. Deutlich gestärkt konnte ich die eigentlich schwierige Passage des Tages beginnen.

Nichts für Menschen mit Höhenangst
Das Val Forcola lag vor uns – ein Tal, dass hoch hinauf bis in 2500m Höhe führt.
Jetzt bei 1900m – am Abend bei 2950m und „leider“ auch noch eine Zwischenabfahrt – das deutete schon auf einen erneuten Angriff auf die Reserven hin. Stetig ansteigend, aber auch für mich gut fahrbar ging es zunächst bis zu einer Brücke, an der wir die Talseite wechselten. Allerdings der Blick, zu dem was nun folgte war schlicht furchteinflößend – insbesondere wenn man ein ohnehin gespaltenes Verhältnis zu Felsabgründen hat. Ja ich gebe es zu – ich hatte Angst – zumindest von unten. Der Weg folgte einem alten Militärweg aus dem ersten Weltkrieg, der teilweise in den Fels gehauen war. 300m Felswand oder fast senkrechte Schutthänge – mitten drin der stark ausgesetzte Trail nach oben. Ich war froh, dass wir den Trail aufwärts fuhren bzw. gingen und nicht von oben befuhren – ich hätte nur geschoben. Deutlich zügiger als erwartet war nach ca. einer Stunde dieser Akt durch und wir hatten eine Hochebene erreicht. Aber es waren ja noch viele Höhenmeter übrig , die man jetzt sehen konnte. Vorbei an einer Almhütte und zunächst über eine Grasebene „Piani di Pedenolo“ führte der Trail weiter bergauf bis zum nächsten Bergmassiv auch mit Serpentinen – allerdings glücklicherweise nicht mehr so furchteinflößend. Nach einer weiteren Stunde waren am Bocchetta di Pedenolo 2500m erreicht und es musste ein steiles Geröllfeld schiebender Weise passiert werden. Die Felsbrocken waren teilweise so groß, dass man mit dem Fahrrad über das Geröll klettern musste.

Am Bocchetta di Forcola, der nächsten Passhöhe konnte man dann endlich das Tagesziel „Stilfser Joch“ in der Ferne erkennen. Über einen Anfangs schwindelerregenden Trail ging es dann flowig weiter bis zum Umbrailpass.

300m Passstraße – gefährlicher als der Rest der Tour.
Die Zeit schien in den 70er Jahren stehen geblieben zu sein in einem kleinen Gasthaus am Umbrailpass. Opernmusik als Hintergrundsmusik, eine alte Diva am Tisch, Möblierung und Deko aus den 50ern und ein sehr alter aber bemühter Gastwirt. Irgendwie war es unbeschreiblich, aber auch schön als wir eine Apfelstrudelpause vor dem Schlussanstieg auf der Passstraße zum Passo Stelvio (Stilfser Joch) machten. Was nun auf der Straße folgte war ein Schauspiel aus der Sicht eines Radfahrers. Autofahrer fuhren mehr oder weniger protzend ihre vermeintlichen Schmuckstücke mit teilweise quietschenden Reifen in den Kehren aus. Motorradfahrer (fast 50% mit GoPros) fuhren mit ihren Ducatis, Aprillas, Harleys, BMWs oder Japanern posend durch die Serpentinen. Mehr als einmal waren Fast-Crashs zu beobachten. Überholen in der Außenkurve bei Gegenverkehr… Eigentlich spannend, wenn man nicht selbst das schwächste Glied in der Kette gewesen wäre. Aber auch das ging gut. Aber auch die Passhöhe war nicht unser Ziel – nochmal fast 100m höher liegt das Rifugio Garibaldi, dass man noch auf einem steilen Pfad erklettern muss. Der Wirt gibt Freibier für alle, die das mit dem Bike schaffen. Ich glaube unser Guide schafft das, aber sonst ist das kein fahrlässiges Versprechen gewesen. Ich habe lieber die 4€ für mein Gipfelradler bezahlt.
Übernachtung an einem der spektakulärsten Orte der Welt.

Die Bikes wurden im Keller der kleinen Hütte verstaut und wir machten ein paar Gipfelfotos. Erschöpft, aber glücklich und zufrieden über das geschaffte und vor allem über die Erwartung auf einen schönen Tagesabschluss an diesem Ort nahmen wir zunächst unsere Getränke auf der Terrasse. Die Hütte liegt genau auf der Grenze Schweiz/Italien und egal in welche Richtung man blickt es geht immer steil hinunter. Gegenüber die die Gletscher des Ortler, unten ca. 50 bis 100m tiefer die hässlichen Gebäude am Pass und auf den beiden Seiten die spektakulären Passstraßen.

Nach einem leckeren Abendessen und einigen gemütlichen Radlern ging es in ein modern eingerichtetes 6 Bett Zimmer. Die Entscheidung war für mich gefallen – es gab kein zurück mehr. Ich ziehe die Tour bis zum Ende durch.

Die Auffahrt zum Alpisella war eine Nummer…
Während der Fahrt um den See konnten wir noch einmal die Steigung von gestern zur Tela Alp sehen
Da war er nun, der Militärweg, der uns zum Borchetta di Forcola bringen sollte
Es war schon recht heiss, rutschig und anspruchsvoll. Schieben gehört zur Taktik beim Mountainbiken
Der zweit eanstieg ist auch geschafft. Ein herrlicher Ausblick entlohnt uns
Die Landschaft wurde karger und die Sonne brannte unerbittlich
Unser Weg liegt vor uns. Im Hintergrund die alte Festung aus dem 1. Weltkrieg, die wir erreichen mussten
Es ist fast geschafft. Der Borchetta di Forcola liegt vor uns
Die letzte Steigung. Wer hoch fährt, bekommt ein Bier vom Wirt. Bei uns schaffte es nur einer
Herrlicher kann der tolle Tag nicht enden. Die Passstraße zum Stilfser Joch, der Ortler im Schnee. Was wollen wir mehr?