Heute teile ich einen Bericht meiner diesjährigen Mountainbiketour durch die Alpen. Ein weiteres Mal habe ich mich auf den Weg von Grainau bei Garmisch-Partenkirchen auf den Weg nach Colico am Comer See gemacht. Wie auf vielen meiner Radtouren habe ich Eindrücke gewonnen, Gedanken in meinem Kopf schwirren lassen und unzählige Fotos gemacht. Ein Auszug aus diesen Gedanken und den Fotos sowie eine Beschreibung meiner Eindrücke ist nun im Folgenden zu finden. Viel Spaß damit.
Eine Alpentour beginnt naturgemäß natürlich nicht erst am Abfahrtsort der Reise, sondern viele Monate zuvor zu Hause. Regelmäßiges Training ist angesagt. Das hatte ich auch in diesem Jahr wieder vor und wollte meinem erfolgserprobten Trainingsplan folgen. Doch wie heißt es so schön? Leben ist das, was passiert, während man noch plant. Und das geschah auch im Hinblick auf mein geplantes Training. Erst hat mich ein Infekt im Frühjahr eine Woche außer Gefecht gesetzt und nachfolgend auch noch für 4 Wochen kein Training ermöglicht. Nachfolgend haben wir im Juni/Juli gesundheitliche Herausforderungen in der Familie gehabt, die meinen Fokus nun mal nicht auf das Mountainbiken gelegt hatten. Und letztlich -und das ist wahrscheinlich die größte Abweichung von meinem Plan- ist meine berufliche Belastung mittlerweile durchaus anders, als in den vergangenen Jahren. Und damit meine ich nicht, dass ich weniger zu tun habe. Die Mehrarbeit führte dann dazu, dass ich häufig einfach keine Lust hatte, nach der Arbeit noch das Radl unter meinen Hintern zu nehmen um die Harzberge zu erklimmen.
Kurz und gut: Der Plan war da, nur mit der Umsetzung hat es in diesem Jahr massiv gehapert. Somit war ich gefühlt alles andere als gut vorbereitet. Glücklicherweise habe mich ich in diesem Jahr für eine Tour am Ende der Saison entschieden. So konnte ich die letzten3 Wochen vor der Tour dann doch noch einmal reintreten. Und das war gut so, denn UlpTours, für die ich die Tour geguided habe, hat mir in diesem Jahr eine Custom-Gruppe gegeben. Und so hatte ich trotz knapp 4000 Trainingskilometern doch ab und zu den Gedanken, wie stark die Gruppe ist und ob meine Vorbereitung hinreichend war. Und damit meine ich wirklich nur die Kondition und Kraft, die ich im Vorfeld aufgebaut habe. Die Tour selber, Alternativen bei schlechtem Wetter, und was man sonst noch im Kopf haben muss, das alles war bestens in meinem Kopf verdrahtet. Ebenso hoffentlich auch meine sozialen Fähigkeiten, die ich ja auch mit dieser Nebentätigkeit erweitere. Somit ist die Nebentätigkeit als Mountainbike-Guide natürlich auch gewinnbringend für meine hauptberufliche Tätigkeit. Denn was ich hier sozial erlebe und lerne, kann ich bei VW genauso nutzen und natürlich auch umgekehrt.
Natürlich kommen kurz vor der Abfahrt auch administrative Tätigkeiten hinzu. Und dazu gehört unter anderem der Check der Großwetterlage. Ja, ich weiß, dass Langfristwettervorhersagen nicht gerade eine hohe Trefferquote haben, aber ein grundsätzlicher Trend sollte doch abzusehen sein. Und so schaute ich mir die unterschiedlichsten Wettermodelle für die nächsten 10 Tage an. Die meisten ließen mich nicht gerade erfreulich in die Zukunft schauen. Denn nach Wochen der Sonne schien es so zu sein, dass dann doch sehr viel Regen unsere Tour begleiten soll. Das ist nicht gerade motivierend, aber natürlich auch eine Erfahrung. Und wie würden wir die Sonne schätzen, wenn wir nicht Regen hätten? Oder besser umgekehrt, wie vermissen wir eigentlich den dringend benötigten Regen angesichts monatelanger Dürre und Sonnenschein? Trotzdem war meine Stimmung -wenn ich den Aussagen meiner lieben Frau Glauben schenken mag- auf der nach oben offenen Stimmungsskala eher im niederen Bereich.
Kurz vor der Tour hatte ich auch noch Luft im Bremssystem, die vordere unter hintere Bremsscheibe machte mir ebenso Sorgen. Also wurde beides noch schnell repariert und gewechselt und ab ging es am Sonnabend früh in Richtung Grainau – wie so häufig in den letzten Jahren. In Thüringen ereilte mich ein dauerhafter Regenguss, der lediglich eine Geschwindigkeit von 70km/h auf der Autobahn erlaubte. Ah, da sind wir wieder beim Wetter. Ist das ein Omen? Wahrscheinlich! Eigentlich passte jedoch dieser Gedankengang nicht zu meiner positiven Grundstimmung, die mich stets auf meinen Mountainbiketouren -insbesondere im Alpenraum- begleitet. Und es wird sich die nächsten Tage noch zeigen, dass es auch wenig Grund zur Sorge gab. Doch dazu später.
In Grainau traf ich noch andere Guides bevor ich “meine” Gruppe kennenlernen durfte. Soviel sei nur verraten: Eine tolle Truppe aus dem Siegerland, die einen Feuerwehrhintergrund hat. Nun, das sollte passen. Und was ebenfalls passend war -das konnte ich die nächsten 6 Tage immer wieder feststellen- war die Herzlichkeit, die Bernd, Bernhardt, Carsten, Tobias, Wolfgang, Heinz und Uwe ausstrahlten. Und nein, liebe Siegerländer, es ist nicht so, dass ich Euch nicht noch einmal führen würde, weil ich einen schlechten Eindruck vom komischen Völkchen aus dem Siegerland habe. Im Gegenteil: Es war mir ein Vergnügen, Euch kennen gelernt zu haben, über Eure Späße gelacht zu haben und auch das ein oder andere sehr gute Gespräch geführt zu haben. Nur eines, dass will ich hier sagen (Bernhardt, keine Angst, ich ziehe nicht vom Leder ;-)): An Eure Sprache und die lustigen Wörter wie z.B. Siegerländer Dilldappen werde ich mich wohl nie gewöhnen.
Zusammengefasst hatte ich also eine tolle Truppe, die äußerst divers aufgestellt war. Diversität ist ja so ein Modewort. Hier bezieht sie sich einmal auf die Altersstruktur. Der jüngste Teilnehmer war um die 40 Jahre und der älteste Teilnehmer befand sich in der Mitte der 70er Jahre. Ob das gut geht? Das waren meine Gedanken. Da musste doch ein Leistungsunterschied vorhanden sein. War es auch. Doch dazu später mehr….
Und wenn wir schon von Unterschiedlichkeiten sprechen, dann bezieht sich das auch auf unser Sportgerät, das Mountainbike. Auch hier gab es unterschiedliche Ausprägungen. Die beiden ältesten Gruppenmitglieder fuhren mit elektrischer Unterstützung, während der Rest mit “Bluthydraulik” (tolles Wort, Carsten) unterwegs war. Auch das war eine Herausforderung, auf die ich noch zu sprechen komme.
Das Kennenlernen ging ganz schnell und so wollten wir den Bikecheck machen. Doch da waren sie wieder: Sonne und Regen. In diesem Fall letzteres in starker Ausprägung. Vorher beim Kennenlernen schien dann noch die Sonne, aber durch den Regen war gar nicht an einen Bikecheck zu denken. So genossen wir den ersten Abend (ich hoffe zumindest, dass das meine 7 Gäste genauso sahen) bei kühlen Getränken und holten den Bikecheck am nächsten Morgen nach.
Und damit kommen wir auch schon ersten Tag Sonntag:
Wer meinen Blog hier verfolgt, der mag sich an die erste Etappe erinnern können. Im Light-Level von Garmisch zum Comer See geht es zuerst in Richtung Plansee, Heiterwanger See um im Folgenden über Lermoos und Bieberwier den Fernpass zu erklimmen. Unser Tagesziel sollte Karres sein, das noch einige Höhenmeter über Imst liegt. Ein Ort mit wenigen Einwohnern, der mich schon sehr erfreut hat. Das Wetter -und so kommen wir wieder zur Sonne und Regen- sollte durchwachsen sein. Mal Sonne und mal Regen. Das wäre ja kein Problem, wenn der Regen nicht immer dann dort niedergehen sollte, wo wir gerade fuhren. Denn das war genau die Wettervorhersage, die ich in verschiedenen Apps abgefragt hatte. 13 Uhr Leermoos: Regen. 15/16 Uhr Imst: Regen. Und davor auch in Grainau Regen. So haben es die Vorhersagen angezeigt. Umgekehrt wäre es schöner gewesen. Und es war schöner!
Alle Vorhersagen, die ich für den ersten Tag angeschaut habe, erwiesen sich als falsch. Wir hatten nicht einen richtigen Regenschauer. Etwas Nieselregen kurz vor Imst, einige wenige Tropfen kurz vor dem Mittagessen und kurz vor dem Fernpass. Im Übrigen dort, wo es bei meinen letzten beiden Touren exakt auch angefangen hatte, die Schleusen zu öffnen. Doch dieses Mal konnte man von geöffneten Schleusen nicht sprechen. Eher von einem leichten Wassernebel.
Und ich nehme die nächsten Tage gerne vorweg. Die Situation hat sich nicht geändert. Es verging nicht ein Tag, an dem die unterschiedlichen Wettermodelle nicht Regen angesagt hatten. Teils viel Regen, teils wenig. Nicht einmal war die Wettervorhersage aus den unterschiedlichen Wettermodellen richtig. Und uns wurden auch kältere Temperaturen vorausgesagt. An Tagen, an denen es dann richtig warm wurde und wir angesichts der Vorhersage von bedecktem Himmel das ein oder andere Eincremen unterließen. Mit rötlichen Beweisen im Gesicht. Tja, so ist das, wenn man mit Regen rechnet und Sonne geliefert bekommt.
Das Wetter war einfach labil und offensichtlich nicht so präzise voraus zu sagen. Aber damit konnten wir gut leben, denn es war angesichts einer trockenen Woche bei viel Sonne nicht zu unserem Nachteil.
Zurück zur Tour: Das Hotel Traube in Karres ist ein kleines Dorfgasthaus. Aber mit einer herzlichen Chefin und bestem Essen. So kann der Tag enden. Und er endete auch mit einigen Kaltgetränken, die wir nach der letzten Steigung über knapp 100 Höhenmeter dringend nötig hatten. Auf der letzten Steigung des Abends zeigte sich erstmalig der große Leistungsunterschied in der Gruppe. Doch auch dazu später noch ein wenig mehr.
Nachdem wir also den ersten Tag auf/in unserem Sattel erfolgreich hinter uns gebracht haben, war mir klar: Das passt. Und wie hätte der ehemalige Bürgermeister aus Berlin gesagt: Und das ist auch gut so. Statistik des ersten Tages: Wir sind 83 km gefahren, haben 1350 Höhenmeter erklommen und bis auf einen gerissenen Seilzug einer Sattelstützensteuerung keine Probleme gehabt.
2. Tag – Montag:
Eine heiße Nacht leitete den Montag ein. Nein, nicht was der ein oder andere “SÜD-leidende Leser” (Achtung: Insider) wohl denken könnte ist damit gemeint. Das Zimmer war einfach nur warm. Das einzige Fernster hätte ich in Richtung einer überdachten Terrasse des Nachbarzimmers öffnen können. Doch auf dieser saß eine nicht komplett bekleidete Dame, so dass ich das nach Ankunft unterließ. Abends vergaß ich dann, das Fenster zu öffnen und die dicke Decke, die ich eventuell im Winter genutzt hätte, tat ihr übriges. OK, das kannte ich schon, war ich doch vor 6 Jahren bei ähnlichen Temperaturen zur gleichen Zeit im selben Zimmer.
Angesichts der hitzigen Nacht stand ich schon kurz vor 6 Uhr auf und begab mich auf einen kleinen Spaziergang durch das Dorf Karres. Über den Bergen rund um Imst waren Wolken. Ein kleiner blauer Lichtblick (oder waren es zwei?) war zu sehen. Und hier ging die Sonne auf. Herrlich! Ein toller Eindruck, den ich mir nicht entgehen lassen wollte. Und so lief ich zurück, holte die Kamera. Doch die Farben hatten sich schon verändert, es sah nicht mehr ganz so überragend aus, aber immer noch hinlänglich, um ein Foto zu machen.
Ich genoss die Gerüche an jenem frühen Morgen und nahm die Stimmung auf. Dazu gehörte unter anderem auch der typische “Dorfgeruch”, der von Heu und natürlich auch Kuh(mist) dominiert worden ist. Auch das empfinde ich als herrlich!
Das mag sich nicht schön anhören. Aber es ist das, was ich liebe. Es strahlt eine gewisse Friedlichkeit -oder besser- Ruhe aus, die so unterschiedlich zu dem ist, was mein tägliches Arbeitsleben ausmacht. Und ich folgte dem Geruch bis vor den Kuhstall. Und was sah ich dort, in diesem kleinen Dorf? Eine Elektroladesäule. Ich war wie geplättet.
Da hat jemand in diesem verschlafenen Nest die Zeichen der Zeit erkannt. Eine Ladesäule für eine Handvoll Einwohner und Gäste. Ich will hier gar nicht aufzählen, wie viele -oder besser wenige- Ladesäulen in unserem Goslar stehen. Auf jeden Fall ist die Relation zu den Einwohnern und Touristen um Dimensionen schlechter. Und das macht mich traurig. In meiner Heimatstadt ist man noch nicht einmal in der Lage, seit Jahren Toiletten am Bahnhof zu bauen. Und mir wäre es als Reisender doch egal, ob die Deutsche Bahn oder die Stadt, die ich besuchen und wo ich mein Geld lasse, die Toiletten bezahlt.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir in Goslar und auch in Deutschland allgemein sehr gut reden und diskutieren können (klar, soll ja auch das Land der Dichter und Denker sein). Und ankündigen können wir auch. Den Eindruck habe ich immer wieder, wenn ich Ratsherren große Themen wie Bahnhofstoiletten, Unterstützung für Bäume vor der Tür oder Sonstiges ankündigen sehe. Aber Umsetzung von Dingen, diese Stärke scheinen wir verloren zu haben. Das kam mir in den Sinn, als ich diese schöne Ladesäule im Dorf gesehen habe. Eigentlich ist es traurig. Vielleicht sollten wir uns nicht mehr Land der Dichter und Denker, sondern Land der Verwalter und Bedenkenträger nennen. Warum? Weil wir mittlerweile 10 Jahre benötigen, um eine Brücke einer Bundesstraße zu planen (Siehe B6 in Salzgitter) oder eine Brücke 5 Jahre einspurig befahren lassen, bevor wir sie überhaupt einmal reparieren / austauschen. Das passt in meinen Augen nicht zu einer führenden “Industrienation”, die wir gerne sein möchten und ggf. auch einmal waren.
Doch irgendwie bin ich abgeschweift von der Tour. Aber letztlich wollte ich ja nicht nur einen Reisebericht schreiben, sondern auch über Auswahl meiner Gedanken berichten. Nun noch zur Tour: Die zweite Etappe ging nun von Karres in hoher Geschwindigkeit zurück nach Imst, dort auf dem Inntalradweg nach Landeck. Zwischendurch sollte noch ein Abstecher zur Kronburg erfolgen. Doch auf diesen Abstecher verzichtete ich aus drei Gründen. Erstens war ich mir nicht sicher, ob der Wurzeltrail hinter der Kronburg für einige aus meiner netten Reisegruppe passend gewesen wäre. Und das war ein gewichtiger Grund, denn ich habe schon den großen Anspruch an Sicherheit auf der Tour.
Der zweite Grund war wetterbedingt einzuordnen. Denn bei Nässe sollte man viel fahren, aber keinesfalls diesen Trail mit trailunerfahrenen Bikern. Und es sollte ja die Nacht geregnet haben. Der dritte Grund betraf nun den oben erwähnten gerissenen Steuerungszug für die Sattelstütze. Diesen wollte ich in Ischgl austauschen lassen. Und so hieß es, den Feierabend in Ischgl nicht zu verpassen. Und da ist eine Abkürzung sehr recht gewesen.
Und nun wieder einige Zahlen: Gefahren sind wir ca. 57km und 1306 Höhenmeter. Wobei “fahren” nicht uneingeschränkt richtig ist. Nach Landeck ging es in den kleine Ort Tobadil und nach Giggl. Hinter Giggl beginnt ein Trail, der eben für viele von uns nicht fahrbar erschien. Meiner Bitte folgend, die Räder an einigen Stellen doch zu schieben, sind alle gefolgt.
Mittagessen wie immer in See im Paznaun beim Italiener.
Dort wurden auch noch einmal die e-Bikes mit Strom versorgt. Denn der Nachmittag war im Zeichen von alternierenden Steigungen. Mal hoch, mal runter. Und das ist äußerst ermüdend. So kamen wir auch nicht ganz so schnell voran, wie eigentlich von mir geplant. Aber sei es drum, zum Planen habe ich oben ja schon etwas geschrieben.
Am zweiten Tag machten sich auch der immense Leistungsunterschied in der Gruppe bemerkbar. So wurden dann doch mehr Pausen durchgeführt, als ich erwartet hatte. War der erste Tag dadurch gekennzeichnet, dass die größere Anstrengung Vormittags auf uns zu kam. So konnte ich für mich festhalten (das mache ich ja immer auf dieser Etappe), das mir der Nachmittag des zweiten Tages immer schwerer fällt als der Vormittag. Und ich hatte den Eindruck, dass es meiner Gruppe ähnlich erging.
Letztlich erreichten wir Ischgl noch frühzeitig genug, so dass die Sattelstützensteuerung repariert werden konnte und der Tag fand seinen Ausklang wie in der ganzen Woche: Bei dem ein oder anderen Kaltgetränk. Meine Gruppe sprach davon, dass sie “unterhopft” sei. Nun gut, wie gut, dass das Bierbrauen vor 6000-8000 Jahren erfunden wurde. So konnte der Unterhopfung zum Glück einiges entgegen gesetzt werden.
3. Tag – Dienstag:
Die Wettervorhersage am Montag sagte noch kühles Wetter voraus. So erwartete ich auf dem Flimsattel einige Grad über Null. Da lag ich auch nicht falsch, wenn man einige als 10-12 definieren kann. Und das war am frühen Morgen schon der Fall, als wir um 08:30 in die Idjochbahn und vom Idjoch in den Sessellift zum Flimjoch einstiegen.
Die warmen Klamotten waren nicht nötig. Also hätte ich den Rucksack schon ein wenig leichter gestalten können. Eigentlich hätte mir das auch klar sein müssen, denn nicht alleine die Außentemperatur, sondern vielmehr die Anstrengung auf knapp 3000 Meter Höhe, wo wir eine Rampe von ca 30% (gehend) bezwingen mussten, sorgte für eine angenehme Körpertemperatur.
Im Sessellift fuhr ich ohne meine Gruppe. Dafür saß eine nette Dame neben mir, mit der ich sogleich ins Gespräch kam. Fabiola hieß sie und war Psychiaterin aus Aachen. “Moment!” Psychiater, Aachen – da gab es doch den Jörg, der auch bei UlpBike Guide werden wollte. Und Jörg kam doch auch aus Aachen. Sein Beruf: Psychiater und Neurologe (Zitat: “Als Psychiater ist es auch gut, wenn man die Hardware versteht”). Was lag da näher, als die beiden auf dem Sattel in Verbindung zu bringen. Und siehe da, die Oberärztin von Fabiola war früher Assistentin bei Jörg. So klein ist die Welt.
Wir fuhren -bzw. gingen wir bei starker Steigung- in Richtung Greitspitz, Salaaser Kopf.
Und dann ging es bergab. Viele Höhenmeter im Downhill nach Samnaun. Ich hätte mir ein schnelleres Vorankommen erwartet. Aber hier waren nun die ersten Herausforderungen im Downhill vorhanden. Denn auch in den Downhill-Fähigkeiten war die Gruppe unterschiedlich aufgestellt. Kein Problem für uns, so sind wir dann doch lieber langsamer gefahren, haben die ein oder andere Pause eingelegt und natürlich auch ein Foto nach dem anderen geschossen.
Es war schon fast Mittagszeit und die Sonne erhellte den Himmel. Moment: Es sollte doch gar nicht so schön werden. Ach ja, das mit dem Wetter hatten wir schon. Berichte ich also vom Lichtblick in der Sennerei Samnaun. Hier hieß es Proviant aufnehmen (herrlicher Käse und lokale Wurstwaren), um auf einem schönen Rastplatz mit Grillecke mitten im Wald die Mittagspause in Form eines Picknicks zu gestalten. Der Lichtblick in der Sennerei war natürlich die große Auswahl an Bergkäse uns Salsitz. Nicht die junge Frau, deren überdimensionierten, vermutlich “man-made” Brüste die Augen von einigen Besuchern der Sennerei quasi herauszogen. Ich fand die Kleidung nicht passend. Aber wie sagte mein Freund Frank (in meinem Büro heisst er DER ANDERE) immer so schön: Leben und leben lassen.
Ja und wir ließen uns das Leben beim Picknick gut gehen. Waren gestern Nachmittag die ersten großen Leistungsunterschiede in der Gruppe erkennbar, so wurden diese heute noch deutlicher. Wir verloren schon etwas Zeit, aber das war kein Problem.
Denn das Hotel in Scuol, wo wir die nächste Nacht verbringen wollten, läuft ja nicht weg. Picknick in der Sonne, dann eine langweilige Abfahrt ins Inntal und Kolonnenfahrt in Richtung Martina – das waren die folgenden Aktivitäten. Hier geht es eigentlich nach Tschlin hoch. Jenem kleinen Ort, der durch ein sehr innovative Werbekampagne Bekanntschaft erlangt hat. Doch der Weg von Tschlin nach Ramosch soll laut einer Guidin gesperrt sein, da dort gebaut wird. Somit entschied sich die Gruppe, entlang des Inntalradweg bis Sur En zu fahren. Nachfolgend wollten wir noch einige Höhenmeter nach Sent fahren, um zum Einen die schöne Aussicht auf das Unterengadin, die wir durch Wegfall der Fahrt nach Tschlin verpasst haben, nachzuholen. Zum Anderen wollen wir aber auch von oben nach Scuol einrollen und taten das dann auch. Doch auch diese Rechnung haben wir ohne den Wirt gemacht.
Genauer gesagt, ohne die Forstbehörde Graubünden. Denn der Inntalradweg war gesperrt. Holzarbeiten! Na das kenne ich doch irgendwoher. Ist ja im Harz total üblich. Und genauso üblich ist es, diese Wegesperrungen nicht anzukündigen. Im Harz und auch hier im Engadin. So hieß es, wieder umdrehen und auf der Straße in Richtung St.Moritz zu fahren. Doch halt, hier war ja ein Schild, dass der Weg in einigen Metern gesperrt war. Hat der Guide einfach nicht gesehen. Also ist man im Engadin doch weiter, als im Harz. Man zeigt Baustellen und Sperrungen dort an, wo man eine Umleitung fahren kann, ohne umdrehen zu müssen. Wie wäre es einmal, von anderen zu lernen. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir das tun. Und das nicht nur im Hinblick auf die Wegsperrung im Wald.
Der Asphalt glühte quasi unter unseren Stollenreifen. Nicht, weil wir so schnell fuhren, sondern weil die Sonne doch unbarmherzig brannte. Na ja, vielleicht fuhren wir auch sehr schnell bergauf. Zwischenzeitlich waren es 20, dann 17, dann 15 km/h. Nicht jeder in meiner Gruppe war darüber begeistert. Es strengte doch an. Und die Steigung war erst so richtig in der Retrospektive sichtbar, als wir uns umdrehten. Wir warteten das ein oder andere Mal auf …. Nun, der Name wird hier natürlich nicht verraten. Aber ich fand es eine große Geste, dass unser “letzter Mann” bei einer Pause sagte, dass er mit dem Postbus fahren wird. So würde er uns nicht aufhalten. Und da war sie wieder, die Rechnung ohne den Wirt. Denn die Gruppe entschied, dass es so nicht geht.
Insbesondere unser schnellstes Gruppenmitglied sagt, dass wir eine Gruppe sind und natürlich gerne warten. Und die Gruppe unterstützte das. Das nenne ich Kameradschaft. Kein Wunder, waren doch einige von uns Feuerwehrleute, wie ich eingangs schon erwähnt habe. Und die sollten eigentlich zusammen halten und füreinander einstehen. Sich einfach unterstützen. Leider erlebte ich das nicht immer in meinem Feuerwehrleben. Geredet wird dort viel. Aber dem Schwadronieren über die viel zitierte Kameradschaft folgen nicht immer Taten. Und wenn sie folgen, heißt es nicht, dass die Handlungen von Kameradschaft geleitet sind. Oftmals von Egoismus und ich habe auch schon das vielzitierte “Messer im Rücken” erlebt. Doch hier war das anders. Wir hielten zusammen, brachten nicht nur den Weg bis zur Abzweigung Sent hinter uns, sondern auch die Steigung nach Sent in sengender Hitze. Und wir warteten auf unseren Letzten. Ich fuhr mal nach vorne, wartete, versuchte dann wieder die Radler vor mir einzuholen, wartete wieder. Unanstrengend ist das so nicht, trainiert aber. Und ist für mich selbstverständlich. Denn ich möchte mit allen fahren. Nicht nur mit den schnellen Radlern, sondern auch mit denen, die sich etwas mehr Zeit lassen. Zur Belohnung gab es nach der Ankunft in Sent vom Zweitältesten auch noch ein Eis aus dem örtlichen Tante-Emma Laden. Danke nochmal hierfür.
Ich war wirklich begeistert, von dem Gruppenzusammenhalt. Nicht nur in dieser Situation, sondern während der ganzen Woche. So soll es sein. Abschließend noch ein Satz zu unserem Schnellsten. Ich habe es irgendwann aufgegeben, mich bergauf mit seiner Geschwindigkeit zu messen. Da kam ich einfach nicht mit. Nun, ich wiege auch eine Menge mehr als er, mein Rucksack war wohl schwerer. Und er war einfach als ehemaliger Leistungssportler und Berufsfeuerwehrmann dauerhaft trainiert. Aber ich habe auch noch einen anderen Verdacht: Seine Körpergröße, die nach eigener Aussage von Peter Maffay unterboten wird, ließ in mir den Gedanken aufkommen, dass es sich um einen modernen Asterix handelte. Also könnten auch seine großen Leistungen durch einen Zaubertrank hervorgerufen sein. Ob der Zaubertrank ebenfalls hopfenhaltig war, das erschließt sich mir bis heute nicht.
Habe ich schon etwas zur Statistik gesagt? Nein, also noch fix die 66km und 2371 Höhenmeter notiert. Und dabei habe ich einfach die Seilbahnfahrt zum Flimsattel inkludiert. Der Abend endete im schönen Schweizer Hotel Filli in Scuol, wo wir -wie auch an den beiden Tagen zuvor- ein außergewöhnliches Abendessen genießen konnten. Ich ging früh ins Bett. Morgen sollte es regnen und dabei müssen wir knapp 1000 Höhenmeter am Stück zurück legen. Na dann gute Nacht.
4. Tag – Mittwoch:
Und es kam – mal wieder anders. Als ich aufwachte, war das Tal vor S-Charl (der Fluss auf dem Weg zur Alp Astras heißt, lieber Heinz, Clemgia) in dichten Wolken gehüllt.
Die Wetterdaten sagten Regen voraus. Vor allen stärkeren Regen um die Mittagszeit in dem Bereich, den wir dann durchfahren wollten. Der Regen kam. Aber nicht beim Aufstieg. Und das war auch gut. Ein Gruppenteilnehmer nahm den Postbus nach S-Charl. Er wollte Kraft sparen und ich denke, dass das auch eine sehr gute Entscheidung war. Ich hatte zunehmend den Eindruck, dass die Kräfte schwanden. Zwar verneinte das der lustige Geselle, aber so ganz von der Hand zu weisen war es auch nicht. Der Rest der Gruppe fuhr durch Geröllfelder im imposanten Tal des Clemgia und wir erreichten S-Charl nach 1:25 h.
Eigentlich keine schlechte Zeit und ich wäre gerne gleich weiter gefahren. Nur nicht auskühlen jetzt! Doch die zwei E-Bikes benötigten noch eine neue Elektronenverteilung und Halsschmerzen bekommt man mit einem Tee in den Griff. Und so warteten wir alle. Das zeichnet ja auch die Gruppe aus.
Aber alles Warten hat ein Ende und nachfolgend ging es in Richtung Alpe Astras, Alp Campatsch zum Ofenpass.
Und hier passierte es: Die neue Elektronenverteilung eines Akkus hat sich schnell aufgelöst. Und zwar in schnell gefahrene Kilometer in Richtung Tamagur. Blöd nur, dass auf der Alp Campatsch keine Lademöglichkeit für E-Bikes zur Verfügung steht. Konnte man damit rechnen? War der Ärger über die “schlechte Serviceleistung” gerechtfertigt? Die Antworten lauten ja und nein. Ja, man hätte damit rechnen können. Auch der Alpenverein bietet auf seinen Hütten keine Lademöglichkeit mehr an (https://www.via-ferrata.de/keine-ladestationen-fuer-ebikes-auf-alpenvereinshuetten/). Und Nein, dadurch ist das keine schlechte Serviceleistung. Das ist nun mal so. Wir können ja nicht davon ausgehen, dass uns jeder Hüttenwirt unseren Luxus unterstützt. Auch wenn es für eines meiner Gruppenmitglieder und somit auch für die gesamte Gruppe recht ärgerlich erschien, so wage ich nicht, über schlechten Service zu sprechen. Wir haben das zu akzeptieren.
An dieser Stelle sei einmal mehr ein Ausflug in meine Gedankenwelt erlaubt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir vieles als selbstverständlich ansehen. Physische Sicherheit, soziale Sicherheit, einen gewissen Wohlstand, einige Gesellschaftsmitglieder sehen auch mehrfache Urlaube im Jahr als selbstverständlich an. Und es gäbe noch viel mehr aufzuzählen. Doch diese Selbstverständlichkeiten gibt es nicht. Es ist eben auch nicht selbstverständlich, dass wir auf jeder Alm, in jedem Gasthof oder sonstwo Strom für Fahrräder erhalten. Und da geht es nicht nur um den kostenlosen Strom (den es heute noch häufig gibt – wie lange wohl noch bei den sich entwickelnden Stromkosten?). Nein auch der Strom gegen Gebühr ist nicht selbstverständlich. Wir könnten das als kundenunfreundlich bezeichnen oder auch als wenig serviceorientiert. Aber ist es das wirklich? Müssen wir überall all das bekommen, was wir irgendwo erwarten? Ich meine nein. Es ist mitnichten selbstverständlich, dass wir irgendwo Strom zapfen. Freuen wir uns doch eher darüber, wenn uns Strom kostenlos angeboten worden ist. Das habe ich letztes Jahr häufig mit meiner Frau erlebt. Aber sind wir nicht ärgerlich, wenn es diesen einmal nicht gibt. Und diese Haltung gilt eben nicht nur für den Fahrradstrom, sondern für die geliebte Joghurtsorte, die der Supermarkt nicht mehr listet. Die Haltung gilt auch für Kleidungsstücke im lokalen Laden, die eben nicht immer alle vorhanden sein können und am nächsten Tag geliefert werden. Oder auch dafür, dass ggf. einmal der Tisch im Restaurant nicht mehr frei ist. Eben, weil voll oder auch kein Personal vorhanden ist. Für mich hat diese Haltung sehr viel mit Demut und Dankbarkeit zu tun. Davon wünsche ich mir etwas mehr in der Gesellschaft, in der ich gerne ein Teil dieser bin.
Doch zurück zur Fahrt: was sollten wir machen? Es waren nicht mehr ganz so viele Kilometer auf der Uhr des Bikes. Also hieß es mit minimaler Unterstützung durch den Strom fahren und schieben. Das Schieben habe ich einmal übernommen – mein Gott, ist so ein MTB mit Motor ohne die Unterstützung desgleichen schwer! Na ja und dann auf dem Ofenpass auf Strom hoffen. Und ebenso hoffen, dass die 18km Strom noch wirklich reichen. Müssen sie aber, da ich auf der Auffahrt zum Ofenpass das E-Bike wieder in schnellem Tempo vorne sah. Und da war er nicht der Einzige. Ich erinnere mich noch gut an 4 Elektro-Mountainbiker, die uns an einem noch folgenden Tag überholten. Bergauf. Das Tempo war nicht gering. Nein, es war vielmehr so hoch, dass ich auf gerader Strecke sicher mitgekommen wäre. Aber bergauf natürlich keine Chance hatte. Und das für mich nicht Nachvollziehbare war, dass diese -nicht sehr alten Biker- sich offensichtlich nicht übermäßig anstrengten. Dem Strom sei dank. Ich verstehe es wirklich nicht, warum es nicht ein wenig mehr Anstrengung sein darf.
Der eigenen Gesundheit zuliebe, oder auch zur Unterstützung des eigenen Egos. Und ich bitte mich, hier nicht falsch zu verstehen: Ich habe vollen Respekt und Verständnis, e-Bikes zu fahren. Das Alter oder die Gesundheit können dazu führen, dass das Radeln durch die Stromunterstützung angenehmer ist. Was ich aber nicht verstehe, ist das Biken mit maximaler Stromunterstützung, so dass das Radfahren eher einer Mofafahrt gleicht. Nun, die besagten Radler saßen dafür an der nächsten Gaststätte gemütlich bei einem schönen Kaltgetränk und genossen dieses. Auch ein Ziel. Nur nicht meines…
Nun bin ich wieder abgeschweift von der Tour. So erreichten wir bald den Pass, nachdem wir wieder am Regen vorbei fuhren. Im Val Müstair war dieser auszumachen und traf uns nur ein ganz klein wenig.
Am Pass machten angesichts des notwendigen Ladevorgangs eine Pause und gingen bei der Abfahrt auf einen klasse Singletrail mit nachfolgenden Wurzelpassagen. Eine Freude für jeden Biker. Für jeden? Nein leider nicht. Es gab eine Unsicherheit in meiner Gruppe und da war dann Schieben angesagt. Safety first! Und das ist gut so. Trotzdem kam es zu einem Sturz, der glücklicherweise keine großen Auswirkungen hat. Die Gruppe hat sich angesichts meiner Verspätung doch Sorgen gemacht und angerufen. “Nein, alles OK. Wir kommen gleich. Es gab nur einen Sturz und ich wartete hier”. Ich war beruhigt, so eine gute Gruppe -bei allen Leistungsunterschieden- bei mir zu wissen. Und ich hoffe, mein Sturz-Mitglied war auch glücklich, diese Gruppe und ggf.auch mich um sich zu wissen.
Der Rest des Tages ist schnell erzählt: Shuttlen durch den Tunnel bei Livigno, einige Kilometer entlang des Livigno Stausees unter Galerien (was uns vor Nässe beim Regen schützte) und das schöne Sporthotel war erreicht.
Statistik des heutigen Tages: ca 58 km und 1500 Höhenmeter.
5. Tag – Donnerstag:
Der Donnerstag begann sehr kühl. Nebelschwaden waberten über den Bergen. Mottolino war teils nicht zu sehen.
Ich entschied mich trotzdem für eine kurze Radkleidung. Es war zwar kühles Wetter angesagt. Wenig Sonner sollte es geben (eigentlich gar keine). Trotzdem hatte ich irgendwie keine Lust auf lange und warme Radkleidung. Das fiel mir auch recht schnell auf die Füße. Denn der Start des Tages war mit einigen Stopps versehen. Es wurde sich wärmere Radkleidung angezogen oder ein wichtiges Telefonat hielt von einer zügigen Fahrt ab. So kühlte ich immer wieder aus und hoffte, dass das auf meine Gesundheit nicht negativ auswirkte. Die Hoffnung wurde auch in den folgenden Tagen erfüllt. Ich wurde nicht krank oder bekam eine Erkältung.
So fuhren wir in Richtung Forcola di Livigno. 3 Teilnehmer auf der Passstraße, weil ich dieses für sinnvoller erachtete. Der Talweg, der am Ende in eine steile Serpentinenstrecke führte, wäre eher hinderlich und nicht gut gewesen. Zu erschöpft bzw. eben etwas unsicher waren in meinen Augen drei unserer Teilnehmer. Der Rest der Gruppe fuhr dann besagten Talweg. So auch ich. Und es war ein Genuss. Die Wolken türmten sich auf, die Sonne blickte durch diese. Und der Himmel war auch blau gezeichnet.
So ging es immer mit einem Auge auf der Passstraße den Talweg gen Forcola. Fiep, Fiep hörte ich. Ah, Murmeltiere. Und unser schnellster Radler stand auch schon einige Meter vor mir. Mit dem Fotoapparat in der Hand! Da waren sie, die süßen Murmeltiere, die ich nun schon so häufig auf meinen Touren gesehen habe. 3 an der Zahl – eine kleine Familie.
Rechtsseitig war noch ein einzelnes Murmeltier zu sehen. Weiter hinten entfernt offensichtlich das Murmeltieroberhaupt, das das Sagen hatte. Der Familienpatron ggf.? Es stand wie ein kleiner König in der Natur und pfiff was das Zeug hielt, wenn Gefahr drohte. Und war es auch nur der Tourguide, der zu nah kam, um ein Foto zu machen. Als ich nun diese Murmeltiere sah, kam mir der Gedanke, dass die 3 Murmeltiere ggf. Kinder waren und vom Oberhaupt lernen mussten, wie sie überleben. Wann ist eine Gefahr vorhanden und das Verstecken in der Höhle ist sinnvoll? Wann jedoch kann man draußen bleiben? Also Grundlagen für das Murmeltier(über)leben
Und so schweiften meine Gedanken ab. Meine Frau hatte mir Tage zuvor am Telefon erzählt, dass es in ihrer Schule einen Wassereinbruch gab und das Grundschulgebäude stinken würde. Nun kein Wunder bei dem alten Gebäude dachte ich mir seinerzeit. Auf der Tour sah ich mehrere Grundschulen. In kleinen Orten. Viel kleiner als mein Heimatort. Karres (630 Einwohner), Strada (200 Einwohner), Maloja (310 Einwohner). Und sie reihten sich ein in eine Beobachtung, die ich vor Jahren auf einer meiner Touren in Prutz (1836 Einwohner) gemacht habe. Was die vier kleinen Ortschaften eint, sind (moderne) schöne Schulgebäude. Nun, das sagt zwar nichts über die Qualität einer Schule aus, aber ist doch erst einmal Voraussetzung dafür, dass auch Schüler gerne in die Schule gehen.
Wir kennen das doch alle, dass wir uns lieber in sauberen, modernen (ggf. auch alten, aber gepflegten) Räumen aufhalten. Und wenn dann auch noch die Rahmenbedingungen stimmen (z.B. Garten, Balkon, Terrasse,..) dann fühlt man sich doch gleich besser. Und ist es nicht so, dass man dort, wo man sich wohl fühlt, gerne hingeht? So ist das doch sicher auch bei Schülern. Und wo man gerne ist, ist man ggf. positiv gestimmt und lernt auch besser. Wäre das möglich?
Wie auch immer, als ich nun diese Schulen sah, kam mir jedes Mal der Gedanke, warum unsere Stadt, die unlängst größer ist, als die Dörfer, so wenig für gute Schulumgebungen tut. Da lernen die Schüler des ortsansässigen Gymnasiums in Containern. Gleiches gilt für eine Grundschule. Schulneubauten -bzw. erst einmal die grundlegende Planung- ziehen sich unverständlicherweise hin. Anständige Schulhöfe, auf denen sich Kinder erholen können und ablenken können, sind ebenfalls nicht breit gestreut. Alte Schulen wurden verkauft -obwohl der Bedarf nach Räumlichkeiten abzusehen war. Das mögen keine Einzelfälle in dieser Republik sein. Und da stellt sich mir doch die Frage, was uns die Ausbildung unserer Kinder wert ist. Offensichtlich noch nicht einmal die Investition in anständige Lernumgebungen. Ich finde das beschämend für die Verwalter im öffentlichen Dienst und diejenigen Volksvertreter, die das machen sollen, was gut für unser Land und seine Bevölkerung ist: Entscheidungen für die Zukunft treffen. Und wenn wir als Land ohne maßgebliche Ressourcen schon nicht in die Bildung, in unsere Kinder, in anständige Lernumgebungen investieren, dann stellt sich mir doch die Frage, was noch wichtiger sein könnte. Kultureinrichtungen, die von einer Minderheit der Bevölkerung genutzt werden? Ich sage klar nein. Lieber investieren wir in Kultureinrichtungen, die von jedem von uns irgendwann einmal genutzt werden. Denn das sind die Schulen. Und hier geht es nicht um digitalen Unterricht (über den man lt einigen Hirnforschern sowieso streiten kann), sondern erst einmal um Basics. Und die fehlen doch schon in vielen Städten und Gemeinden. Leider auch in meiner Heimatstadt. Nochmal: Ich finde das beschämend.
Weiter zur Tour: Wir fuhren also in Richtung Forcola. Und da kam die erwähnte Steigung am Ende des Talweges. Claudia war dort letztes Jahr gestürzt, ich hatte vor Jahren einen Wettkampf mit einem Guide gemacht (den ich verlor) und ich war noch nicht einmal diese Steigung komplett gefahren. Immer wieder bin ich im oberen Teil abgestiegen. Wie sollte es heute sein? Genauso sicher. Denn eines spürte ich auf der Tour. Ich war schon fit, aber nicht so fit, wie ich es mir wünschte. Und ich fühlte mich auch nicht so kräftig, wie letztes Jahr. Ich stieg auf das Rad, nachdem ich es am Fuße der Steigung durch mehrere Kühe hindurch schob. Und ich fuhr und fuhr und fuhr. Kurze Pause von 30 Sekunden um den Puls wieder runter zu bringen und ich fuhr und fuhr und fuhr. Wieder eine kurze Pause und ich fuhr. Ja, ich bin den ganzen Weg hoch gefahren. Für andere eine Kleinigkeit, für mich war es psychisch ein Hammer, oben zu stehen und endlich mal nicht geschoben zu haben und dabei noch einen moderaten Puls verzeichnen zu können.
Abfahrt auf der Straße, bei der wir von einem depperten Graubündener Audifahrer überholt wurden. Er streifte fast den Lenker eines Gruppenmitglieds und wäre beim Überholen von zwei Autos vor uns fast gegen die Betonmauer gefahren. Ab über die Grenze und auf der Schweizer Seite ging es wieder bergauf zum Berninapass. Der Berninatrail war nicht der adäquate Weg für die Gruppenzusammensetzung und ggf. schon vorhandene Schwäche, und so musste es eben die Straße sein.
Vor der Abfahrt in Richtung Morteratsch haben noch unzählige Fotos den Weg auf meine Speicherkarte gefunden. Auch mit der Rhätischen Bahn. Und dann ging es über verschiedene Wege runter ins Tal. Morteratsch, das war es was auch die Gruppe sehr interessierte. Wir schauten uns die Gletscherzunge an. Und ich war geschockt. Letztes Jahr war das Gletscherloch noch viel näher an uns. Was in 53 Wochen an Gletschermasse verloren gegangen ist, ist schon erschreckend. Näher und besser kann man das Abschmelzen der Gletscher wohl kaum sehen. Und da kamen die Gedanken, was die Gletscherschmelze langfristig bedeutet: Keine hinreichende Energie mehr in den Alpen. Was bedeutet es für die Flüsse? Was für die weitere Entwicklung des Wetters? Es wird irgendwie gehen. Die Erde wird sich steuern, auch wenn wir nicht mehr zugegen sind. Die Frage ist nur, wie wir als Gesellschaft mit dem Wandel der Natur umgehen können. Und nicht nur, wie die Gesellschaft, sondern wie jeder Einzelne mit der veränderten Situation umgehen werden wird. Es ist nicht vorauszusehen, aber es könnte auch einem positiv denkendem Menschen -wie ich einer bin- etwas Angst machen.
Was jeder mitnahm in seinen Gedanken, weiß ich nicht. Aber ich denke, wir waren alle beeindruckt. Und ich schätze, dass ich am meisten beeindruckt war, weil ich die Entwicklung des Gletschers über mehr als 6 Jahre gesehen und begleitet habe. Mit diesen durchaus traurigen Gedanken ging es nun über Pontresina nach Surlej, wo wir die letzte Nacht übernachten wollten. Wir rollten vorbei an wunderschön blauen Seen, bevor wir dann Heinz verloren, der aber dank moderner Technik wieder gefunden wurde. Tja, klassischer Guide-Fehler. Sorry dafür.
Der Tag in Zahlen: ca 61 km und 1200 Höhenmeter.
6. Tag – Freitag:
Der heutige Tag begann wieder kalt. So kalt, dass auch ich eine Jacke trug. Es ging an den wunderschön spiegelnden Oberengadiner Seen „Silvaplana See“ und „Silser See“ vorbei und dank zwei kleinerer Schnapper wurden wir trotz der Kälte schnell warm. Ich behielt meine dünne Windjacke an und verstand gar nicht, wie man bei diesen Temperaturen kurz fahren konnte. Nun, konnte man. – nur leider nicht ich. Daher vollen Respekt!
Als wir das Engadin verließen und einige Hundert Höhenmeter unter dem Malojapass im Bergell ankamen, war es nicht merklich wärmer. So fuhren wir bei recht kühlen Temperaturen linksseitig und rechtsseitig der Straße und überquerten in Castasegna die Grenze nach Italien. Jetzt sollte es wieder etwas preisgünstiger werden, wenn wir Speisen und Getränke orderten.
Das taten wir auch kurz vor Chiavenna in der Crotto Belvedere.Das Essen war OK, die Bedienung mürrisch, so dass ich dort nicht noch einmal hin muss. Aber am Wasser zu sitzen und zu essen, das war schon OK.
Unsere Reise ging am Nachmittag gegen 16 Uhr zu Ende, nachdem wir die letzten Kilometer mit gutem Tempo gefahren sind. Zeit haben wir verloren, weil ich mich zweimal verfahren habe. Das sollte nicht passieren. Aber immerhin geschah es mit Ankündigung. Ich verfahre mich stets an diesen beiden Stellen. Weiß der Teufel, wieso. Dann normalerweise ist die Navigation und Erinnerung an Wege, die ich schon einmal gefahren bin, meine Stärke. Aber diese beiden neuralgischen Punkte – die bekomme ich nicht in meinen Schädel. Ich hoffe, dass es mir meine Gruppe nicht übelgenommen hat. Immerhin erreichten wir den See und waren gut gelaunt. So soll es sein.
Damit komme ich auch zum Resumee der Tour. Es waren unterschiedliche Eindrücke verglichen mit anderen Touren. Herausfordernd war die Diversität der Gruppe. Aber unterstützend der Zusammenhalt meiner Mitstreiter auf diesem Alpencross. Und dafür bin ich dankbar. Ich möchte auch meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, weiterhin diese Touren machen zu können. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich bin bisher von Verletzungen verschont geblieben. Und ich bin sehr erfreut, dass auch niemand meiner Gruppenteilnehmer eine Verletzung davongetragen hat. Und das trotz mind. 3 Stürzen!!. Auch hatten wir keine Pannen (die Verfahrerei mal abgesehen), so dass ich sagen kann: Es war nicht nur deswegen eine tolle Tour ?
Letzte Statistik dieser Tour: 85 km
Rückfahrt – Sonnabend:
Auf der Rückfahrt von Garmisch in Richtung Norden gab es nun am Sonnabend Regen. Tja, wie heißt es doch im Titel oben so schön: Sonne und Regen. Nach der Sonne der letzten Tage kommt jetzt ein wenig Regen. Und das ist ebenfalls gut. So passt auch das Lied Sonne und Regen der Gruppe Basta, welches ich die ganze Woche im Kopf hatte und häufig summte oder pfiff, zur gesamten Tour:
Auf den Regen folgt Sonnenschein
Ja, so wird es immer sein
Und danach das ist doch klar
Folgt erst mal ein Regenjahr
Junge, mach dir nichts daraus
Die Sonne kommt schon wieder raus
Und war die Regenzeit sehr lang
Die Sonne fängt schon wieder an
Doch ich war glücklich, dass der Sonnenschein in der Überzahl war. Und somit verabschiede ich mich von dieser Transalp mit einem Lachen bei strahlendem Sonnenschein (in Sent)