Ins Gespräch gekommen

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Die Sonne ging gerade unter. Westlich war eine wunderbare Himmelsfärbung von orange über rot bis hin zu einem dunklen Schwarz zu sehen. Die stillen Windräder vor dem romantischen Farbverlauf waren Schatten ihrer selbst. Der Qualm aus den Schloten des Stahlwerkes brachte zusätzlich interessante Kontraste am diesem klirrend kalten Winterabend in die ruhige Stimmung des Horizonts. Herzerwärmend war es.

Keine 15 Minuten später war der Himmel schwarz. Tiefschwarz. Doch am Horizont war wiederum eine orange Färbung zu sehen. Nicht in der Ruhe, die der Sonnenuntergang ausstrahlte, sondern eher blinkend, zuckend, auf- und ableuchtend. Bei näherem Hinsehen und Ankommen war es das, was ich vermutet habe: Landwirte, die aufgrund ihrer Sorgen auf die Straße gingen. In diesem Fall auf das Feld zwischen Immenrode und Goslar. Das Lagerfeuer leuchtete in wärmendem Orange und die Rundumkennleuchten blitzten in den Abendhimmel. Das war keine Straßenblockade. Nein, es erschien eher wie eine Mahnwache auf dem eigenen Feld.

Meine Gedanken hingen so an den Nachrichten, die ich die letzten Tage gehört habe. Da sagte unser Vizekanzler laut ZeitOnline „“Hinter den angekündigten Protesten steht mehr als die jetzige Regierungsentscheidung…“ und weiter: „… wir dürfen nicht zulassen, dass Extemisten diese Verunsicherung kapern….“ Laut Welt online sagte der Wirtschaftsminister noch dramatischer: „Es kursieren Aufrufe zu Umsturzphantasien…“. Die Einträge – ja auch von mit mir verbundenen Personen – in den sozialen Medien überschlugen sich ebenfalls. Obacht vor den Rechtsextremisten. Der Staat ist gefährdet. Die Demokratie ist gefährdet Aber ich hatte auch in Erinnerung, dass im Augenblick nicht nur die Landwirte ziemlich unzufrieden sind. Mir kam eine gerade gestern gesehene Statistik in den Sinn, die sagte, dass über 80% der Befragten im ARD-Deutschlandtrend mit der Arbeit der Bundesregierung nicht zufrieden sind. Ggf. ist das eher eine Gefährdung unseres Staates und der Demokratie als die reinen Proteste der Landwirte.

Nun, ich oute mich und sage: Mir geht es auch so, dass ich mit der Arbeit nicht zufrieden bin und mir genau wegen der großen Unzufriedenheit der Mitbürgerinnen und Mitbürger große Sorgen um die Stabilität in unserem Land mache. Ich habe in meinen über 50 Lenzen noch nie eine so große Unsicherheit bei mir und meinen Bekannten sowie meiner Familie erlebt, wie zur Zeit. Weder zu Zeiten von Corona, noch in der Finanzkrise 2009, noch während des ersten Irakkrieges, noch nach der Grenzöffnung. Gerade sagte mir heute ein Kollege, dass er nicht weiss, was er mit seiner Heizung machen könne. Er hat gar nicht das Geld sein Haus so zu isolieren, dass eine Wärmepumpe funktioniert und seine Heizung hält ggf. gar nicht mehr lange. Das nur als ein Beispiel.

Diese Gedanken gingen durch den Kopf auf den letzten Metern nach Hause. Und in meinem Kopf reifte ein Plan: Ich möchte mit den Landwirten sprechen! Ich möchte wissen, was die Probleme genau sind. Ich möchte wissen, warum sie dort stehen. Ich möchte wissen, ob sich Extremismus dort äußert. Ich möchte wissen, ob sie weiterhin hinter unserer Demokratie stehen. Was sagen sie zu unserer Regierung, zu unserem Land, zu ihrer Situation. Und ich möchte Ihnen danken für Ihren Beitrag zur Demokratie, denn Demonstrationen gehören zweifelslos dazu. Und ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem dieses möglich ist.

Denn die Welt wird nicht besser durch das Lesen und unreflektierter Wiederholung von Parolen. Sie wird auch nicht besser durch Schuldzuweisungen von Parteien. Wie las ich gestern doch: Die Konservatien haben ja die letzten Jahre den Agrarminister gestellt. Sie sind schuld an der Unzufriedenheit / Situation der Landwirte (so meine ggf. unzulässige kurze Zusammenfassung). Das ist wenig hilfreich. Auch Angst machen (vgl. oben) hat selten Lösungen produziert und so sind auch Warnungen von Ministern nach dem Motto „Rechtsextremisten und Demokratiegegner könnten versuchen die Proteste zu unterwandern.“ nicht hilfreich. Was jedoch hilfreich ist, ist miteinander zu reden. Ins Gespräch zu kommen ist wichtig. Sich Ängste und Sorgen anzuhören, versuchen sie zu verstehen. Und das würde wahrscheinlich auch einigen Entscheidungsträgern mal gut tun. Zuhören, sich ein Bild machen, welche Aussagen getroffen werden und was die Mehrheit der Menschen möchte. In diesem Fall eben die der Landwirte. Und dann dieses auch in ihren Entscheidungen berücksichtigen.

Doch zurück zu meinem Vorhaben. Schnell noch den meinen Fahrgemeinschaftskollegen aus dem Auto gelassen und schon ging es nochmal 3 Kilometer zurück zu jenem Feld, auf denen ich die „Mahnwache“ sah. Das Auto abgestellt und in der klirrenden Kälte ging ich bei beschriebenem flackernden Lagerfeuer und blitzenden Rundumkennleuchten auf dem Feldweg entlang. Ein wenig eiskalter Wind blies mir ins Gesicht. Die Kälte kroch schnell durch meine Hose. Mich fröstelte es. Und da standen im Halbdunkel die ersten beiden Personen. „Sie gehören hierzu?“, fragte ich sie. Etwas verwundert über meine seltsame Frage bekam ich die vermutete Antwort und wir kamen ins Gespräch.

Und ich kann sagen: Die Gesprächspartner haben Sorgen. Die Gesprächspartner leiden eben nicht nur unter den derzeitigen Regierungsentscheidungen. Aber eben auch! Wer hat sich schon einmal Gedanken gemacht über fast jährlich gesetzliche verordnerte immer komplexere Änderungen der Rahmenbedingungen für die Landwirte? Wer hat sich mal Gedanken gemacht, wie groß die Investitionen von Landwirten sind, die eben über Jahrzehnte abgeschrieben – aber ja auch erwirtschaftet werden müssen? Und dass es genau dafür Planungssicherheit geben muss? Ja, und es geht auch um Geld. Denn die Investitionen müssen auch irgendwie gestemmt werden. Und natürlich muss sich die Arbeit auch noch lohnen. Und wer hat sich über die Wettbewerbs-/Marktsituation hinlänglich Gedanken gemacht? Die Situation ist wahrscheinlich viel komplexer, so mein Verständnis, als ich hier beschreiben kann und bisher auch gelesen habe. Aber Information ist möglich. Sachliche Information. Informationen, die einem auch Sorgen machen können. Aber ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich nicht im Ansatz extremistische Aussagen gehört habe. Im Gegenteil, mein Eindruck war schon, dass meine Gesprächspartner auf jenem Feld hinter der Demokratie standen und mit Extremisten nichts zu tun haben wollen. Das war authentisch und ich denke mal, dass es genau das ist was die Mehrheit der Menschen, die gerade auf die Straße gehen, auch denken – unabhängig davon, dass es immer einen kleinen widerlichen Bodensatz gibt, der die Situation für sich zu nutzen versucht. Diese Landwirte waren das keinesfalls.

Ich dankte den Bauern von Herzen für das Gespräch, ihre friedliche Aktion und die Informationen, die ich mitgenommen habe. Ich war zufrieden. Mein Plan ist aufgegangen.

Etwas deprimiert haben mich jedoch die folgenden zwei Punkte

  • Warum wurden von meinen Gesprächspartnern nicht die politischen Interessensvertreter hier vor Ort genutzt? Das wollte ich auch noch wissen. Ich meinte damit unseren Landtagsabgeordneten, der nach meiner Erinnerung selbst aus der Landwirtschaft kommt und sich wohl auch in die Lage der Landwirte versetzen kann und für sie kämpfen kann. Man muss hier doch ins Gespräch kommen, so wie ich auch im Gespräch hier bin. Ich musste mir jedoch hören, dass meine Gesprächspartner noch kein Statement aus dieser Richtung hörten und auch keine Unterstützung wahrgenommen haben. Ernüchterung breitete sich bei mir aus.
  • Sinngemäß sagte einer meiner Gesprächspartner weiterhin, dass die Proteste doch eh nicht gehört werden. Und das ist das wahre Erschreckende.

Ist es nicht genau das, was zu der oben beschriebenen Unzufriedenheit mit der Regierung führt? Dass sich Menschen in unserer Bevölkerung abgehängt, nicht gehört, nicht vertreten fühlen? Darüber gilt es nachzudenken. Denn wenn es Extremisten gibt, die versuchen, unseren Staat zu kapern, dann ist es nicht die Mehrheit, so meine Einschätzung. Aber je mehr Menschen das Gefühl haben, nicht mehr gehört und vertreten zu werden, desto größer ist der Nährboden für das, was wir nicht wollen. Und das ist die wahre Gefahr.

Und da sage ich: Liebe Politiker, egal welcher Coleur, arbeitet an den Ursachen und bekämpft nicht die Symptome! Denn auch Politiker dürfen sich nicht einfach in ihre (ggf. ideologisch, parteipolitisch geprägte) Lebenswelt zurückziehen. So wie das im Übrigen wir alle und allen voran die Sozial-Media Jünger in ihren Blasen auch nicht dürfen. Da stimme ich uneingeschränkt unserem Bundespräsidenten zu, von dem ich dieses Statement las.

Also sprecht miteinander, so dass auch ihr sagen könnt: Ich bin „ins Gespräch gekommen“, so wie der Titel dieses Blogs sagt.