100km bis zum Comer See

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Heute sollte der letzte Tag unserer Transalp auf dem Mountainbike, die wir uns zur Silberhochzeit geschenkt haben, sein. Wir haben 100km vor uns, bis wir unser Ziel, den Comer See, erreicht haben. Es waren relativ einfache Kilometer, wenngleich wir natürlich die 395,8 km und 8998 Höhenmeter, die wir hinter uns gebracht haben, am Comer See in den Beinen spürten. Und nicht nur dort, sondern auch im Gemüt. Denn als wir um genau 15 Uhr in Colico am Comer See einrollten, wollten wir nach dem obligatorischen Ankunftsfoto und dem Genuss eines leckeren Eis nur noch raus aus unseren Klamotten. Raus aus den verschwitzten Trikots, runter unter die Dusche und weg mit dem Dreck, der sich auf 100km auf unserer sonnencremegeschützten Haut abgelagert hate.

Ja, ihr habt richtig gelesen. Sonnencreme. Denn das sollte uns heute erwarten. Sonne und warme Temperaturen. Davon war um 06:00 Uhr beim Aufstehen noch nichts zu merken. Doch der Himmel war blau, die Berge um St. Moritz, auf die wir schauen konnten, lagen im morgentlichen Rot. Sachen packen, Frühstücken und los ging es gegen 08:15 Uhr in Pontresina. Es gäbe zwar eine Menge über die Unvernunft von Menschen am Frühstücksbuffet und auch über Ignoranz von Regeln zu berichten, doch das fasse ich irgendwann anders mal zusammen. Es hat uns auf jeden Fall geärgert.

Was uns nicht geärgert hat, war die klare Bergluft, die wir um 08:15 Uhr einatmen konnten. Sie war nicht nur klar, sondern auch recht kühl. Ohne Unterhemd unter dem Trikot ging nichts. Zumal wir bis Maloja überwiegend am südöstlichen Ufer der Oberengadiner Seen entlang radelten. Erst ging es alternierend bergauf und -ab über den Lej da Staz (Stazersee), den St.Moritzsee, den Lej da Champfer, den Silvaplanasee und den Silsersee nach Maloja. Es waren auch einige Schnapper dabei, so dass uns dann nicht kalt blieb. Wir kamen gut voran, überholten noch eine Menge Reiterinnen auf ihren Pferden, die bei einem Reitturnier in St. Moritz starteten und genossen den Blick auf die klaren Bergseen. In SurLej blieb unser Blick kurz am Schloss Crap da Sass hängen, bevor wir weiter an Radlern und Wanderen vorbei fuhren.

Der Wind frischte auf. Wir sprachen von einer steifen Brise und mussten stärker dagegen antreten. Eigentlich kannte ich den Wind, der aus Maloja blies vornehmlich am Nachmittag. Aber so hatten wir heute eben auch die Möglichkeit, ein wenig mehr Kalorien zu verbrennen.

Am Malojapass, an dem wir nun das Oberengadin verließen, ging es auf der Straße bergab ins Bergell (oder Rhätoromanisch “Val Bregaglia”). Das Bergell ist ein kurzes und steiles Tal südwestlich zwischen Maloja und Chiavenna. Der Höhenunterschied beträgt fast 1500 m auf einer Distanz von nur 30 km. Das Bergell sollte uns nun vom Schweizer Graubünden in die italienische Provinz Sondrio bringen. Obwohl im Winter weite Teile des Tales ohne Sonneneinstrahlung bleiben, ist das Klima mild, da es vom Mittelmeer beeinflusst wird. Nun, heute merkten wir erst etwas später vomi MIttelmeer beeinflussten Klima. Denn es wurde nur langsam wärmer.

Es ist ein schönes Tal, durch das wir nach dem Malojapass ab Casacia westlich und östlich der Hauptstraße über Wiesentrails, Waldwege und kleine schnuckelige Dörfer fuhren. So fuhren wir auch Bondo. Hier ereigneten sich im August 2017 mehrere Bergstürze wovon in der Nacht des 31. 8. eine grosse Mure die Bergeller Talsohle bei Bondo erreichte. Sie füllte das Auffangbecken, die alte und neue Kantonsstrasse und das Bachbett der Maira. Bis zu 3 Metern von Schutt waren über 2 Monaten zu entfernen. Wir fuhren auch über die Hängebrücke von Bondo, die das Dorf wieder mit den damals abgeschnittenen Gebäuden verbindet.

Wunderschön erschien uns Castasegna, der Ort, an dem wir die Grenze von der Schweiz nach Italien überfuhren. Wir sahen Castasegna schon hoch oben von einem Wiesentrail, von dem wir auf dieses romantische Örtchen schauen konnten. Aber schöner war es noch, durch die engen Gassen zu fahren und den Charme der Steinhäuser aus der Nähe aufzusaugen.

Nun ging es noch 500 Meter auf der Hauptstraße entlang, bevor wir pünktlich um 12 Uhr im Crotto Ghiggi zu Mittag essen konnten. Es fuhren kaum Autos und so saßen wir draußen auf einer überdachten Terasse und wurden noch nicht einmal durch Lärm gestört. Es hieß zur Sicherheit auch nochmal “Akku laden”. Gestärkt ging es weiter tendenziell bergab, wobei wir auch wieder kleine Anstiege überwinden mussten.

Wir folgten der Via Bregaglia und kamen auch noch durch einen schönen Laubwald, der sich sowohl durch große Felsbrocken, verlassene und der Natur überlassene Steinhäuser sowie Unmengen von Holzscheiten ausgezeichnet hat. Die Holzscheite werden durch die Bergbauern im Bergell im Herbst benötigt. Denn dann werden die Früchte der größten Maronenbäume in Räucherhäusern gedörrt.

Nachdem wir ca 100 Höhenmeter in die Wälder fuhren, ging es in schöner Kurvenfahrt auf Asphalt wieder bergab. Nun, nicht für Mountainbikes der passende Untergrund, aber es hat trotzdem Spaß gemacht.

Auch die Einfahrt nach Chiavenna war schön. Die Fußgängerzone war fast leer. Der kleine enge Weg in die Innenstadt zwischen Steinhäuseren und großen Felsen brachte erfrischende Temperaturen und bei der Einfahrt in die Innenstadt konnten wir noch einmal den Blick auf das attraktive Schloß werfen.

Nun wurde es eher eintönig. Die letzen ca. 30 km geht es auf einem Radweg zuerst entlang des Flusses Mera nach Verceia. Hier hätten wir noch den bekannten Tracciolino Trail fahren können. Doch so richtig Lust hatte ich nicht mehr, die 600 Höhenmeter in der nun scheinenden Sonne hoch zu fahren, um auf den Schmalspurbahnschienen durch Tunnels zu fahren. Ehrlich war Claudia auch kaputt, mir fehlte die Motivation und so beließen wir es dabei, die letzten Kilometer nach Colico ruhig zu fahren.

In Colico angekommen waren nun 100km auf dem Tacho der Garmin-Uhr. Wir fuhren am -in der Regel mit Hundekot überhäuften- Strand vorbei, machten an einem etwas saubereren Strandabschnitt unsere Fotos um dann noch ein leckeres Eis zu essen.

Wir waren stolz. Ich war stolz auf das, was Claudia mit ihren (Achtung, Zitat:) “Stummelbeinchen” geschafft hat. Trotz E-Bike hat sie immer fleissig getreten. Das konnten wir nicht von jedem E-Biker sagen. Wir sahen zu viele, die leicht traten und die Hauptarbeit den Motor mit seinem Akku-Speicher zu überlassen. Das sah häufig eher wie Mofa-Fahren aus. Ich kann mir vorstellen, wie dann über 2500 Höhenmeter am Tag geprahlt wird. Aber sind es dann wirklich 2500 Höhenmeter, die man geschafft hat? Ja schon, aber es ist doch etwas anderes, ob man eine leichte Stromunterstützung nutzt (die ja zusätzlich auch das Mehrgewicht des Bikes ausgleicht) oder eher Elektro-Mofa fährt.

Froh bin ich auch. Darüber, dass uns nichts passiert ist. Zumindest nichts richtig schlimmes. Wenngleich Claudias Sturz gestern doch einige nachhaltige Merkmale hinterlassen hat. Sie muss an den Beinen, Oberschenkel, Arm, Schulter nicht mehr ins Tatoo-Studio gehen, um die Farbe ihrer Haut zu ändern. Das macht ihre blutunterlaufene Haut von ganz alleine. Umso schöner, dass sie auch heute trotz gewisser Schmerzen, die 100km durchgehalten hat.

Technische Ausfälle hatten wir auch nicht zu beklagen. Wenngleich mein Rad schon sehr gelitten hat. Von seinem Sturz gestern bis hin zum vielen Regen. Eine richtige Reinigung und Inspektion ist nötig. Denn sowohl der Dämpfer, als auch die Federgabel reagieren nicht mehr so, wie sie eigentlich mit dem Twin-Loc müssten. Wie dem auch sei, das kann ich nächste Woche reparieren.

Nun genießen wir den Abend in Colico, bevor es morgen auf den nächsten Abschnitt unserer Silberhochzeitsreise geht. Dieses Mal mit dem Bus zurück nach Grainau. Ggf. können wir dort etwas Schlaf nachholen. Auf jeden Fall freuen sich unsere Beine und auch der Rücken, mal nicht 6-7 Stunden zu treten oder einen 12 kg schweren Rucksach schleppen zu müssen.

Nun noch die letzten Fotos von unserer Mountainbike-Transalp von Garmisch (Grainau) bis zum Comer See: