Lustreise – oder doch nicht?

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Ich war gerade zwei Wochen zurück in Deutschland von meinem sagenhaften Urlaub in San Francisco (über den ich hier berichtete), da zog es mich wieder an die Westküste der Vereinigten Staaten. Es sollte wiederum nach San Francisco gehen. Natürlich setzte ich mich nicht in den Flieger der Lufthansa, um die Golden Gate Brücke ein weiteres Mal zu sehen und tolle Fotos zu machen.

Nein, San Francisco war mein zweites Ziel auf einer Dienstreise, die ihren ersten Stop in Seattle hatte. 5 Top Unternehmen der IT-Branche standen auf meinem Besuchszettel und auch auf dem von einigen Kollegen, die mich auf unserer sogenannten Tech-Tour begleiteten.

Ich will hier nicht primär über die Arbeit und somit den Inhalt der langen Arbeitstage schreiben. Ich möchte an dieser Stelle jedoch mit einer Mär aufräumen. Viele meiner Freunde und Bekannten sprachen davon, dass ich auf eine “Lustreise” gehe, als wir uns darüber unterhielten, dass ich in so kurzer Zeit ein weiteres Mal über den Atlantik bzw. über Grönland flog, um mit 9 Stunden Zeitverschiebung an der Westküste anzukommen.

Und da sind wir schon beim ersten Punkt, weshalb so eine Reise für mich niemals eine Lustreise sein kann. Ich habe nicht sehr viel Lust, 9,10 oder gar 11 Stunden in einem Flugzeug zu sitzen. Die Luft ist trocken, ich fühle mich im Flieger irgendwie eingeengt und -ja, auch das ist die Wahrheit- ich habe auch ein wenig Angst, immer wenn ich im Flugzeug sitze. Mit Lust verbinde ich diese Flüge auch deshalb nicht, weil die Adaption an 9 Stunden Zeitverschiebung sowohl in westliche, als auch zurück in östliche Richtung bei mir immer mit sehr viel Schlafdefizit und wachen Nächten einhergeht. Und das ist alles andere als angenehm. Zumal ich in der Regel im Flugzeug auch nicht schlafen kann. Und das war dieses Mal auch sehr gut. Denn so konnte ich einen wunderbaren Anflug in Richtung Vancouver und nachfolgend Seattle sehen. Die Berge des Kaskadengebirge zeigten sich bei klarem Himmel in herrlicher Schneepracht. Ein Genuss, der gefühlsmäßig schon einen Ausblick auf die Winter- und Weihnachtszeit brachte. Das konnte man in Bellevue, einem Ort nahe Redmond (dort wo die Firma Microsoft ihr Headquarter hat), nicht gerade sagen. Zwar leuchtete vorweihnachtliche Beleuchtung in den Straßen, als wir zum Abendessen Downtown fuhren. Doch so richtig weihnachtlich, wie wir das aus Deutschland kennen, sah es nicht aus.

Hört sich nach gewaltig Lust an, oder? Nun, wenn ich weiter schreibe, dass die Tage in der Regel um 07:30 Uhr / 08:00 Uhr mit dem ersten Briefing begannen und der offizielle Teil des Geschäftsprogramm meistens erst so gegen 18:00 Uhr zu Ende war. Dann mag man interpretieren, dass die Reise dann doch voll gepackt war mit Arbeit. Auch wenn mir diese fast immer Freude bereitet, so tue ich mich doch schwer, von Lust während der Reise zu sprechen. Abend hieß es weiterhin Zeit mit den Geschäftspartnern zu verbringen. Und hier muss ich sagen, könnte man den Begriff Lust schon nutzen. Denn ich hatte unheimlich Lust, mit meinen Gesprächspartnern über ihr Land, ihre Herkunft, ihre Kultur, ihr Denken zu sprechen. Wer dieses einmal macht, merkt schnell, wie klein doch unser Horizont manchmal ist,. Wie eingeschränkt wir häufig in unseren Sichtweisen hier in Deutschland sind. Mir helfen solche Gespräche immer, mich zu erden. Zu sehen, wie gut wir es doch -trotz aller sehr verbesserungswürdigen Umstände- in unserem Land doch haben. Und da habe ich wirklich Lust drauf.

Ich möchte an dieser Stelle noch über Downtown Seattle schreiben. Auch hier hat ein großes IT Unternehmen sein Headquarter. Und diese besuchten wir genauso wie “The Spheres”. Das so andere Gebäude in Seattle, von dem Amazon behauptet, dass es ein Raum sei, in dem anders gedacht und gearbeitet wird und dass von Natur und Wellness umrahmt sei, welches den Nutzen stiftet. Wir hatten das Vergnügen, das Gebäude sowohl von aussen als auch von innen zu betrachten. Es ist schon einzigartig, die zwei Kugeln in der Mitte der Wolkenkratzer in der Innenstadt von Seattle zu sehen. Aber die Gebäude schaffen nach meiner Erinnerung ein angenehmes Gefühl von Raum und Freiheit. Was nicht allzu normal inmitten vieler sehr hoher Häuser ist. Und als ich im Gebäude war, so vergass ich ganz schnell die übliche Luft und Atmosphäre der Konferenzräume, in denen wir tagelang gerarbeitet haben.

Viel Grün, fast wie ein Urwald umrahmte mich beim Durchgang durch diese beiden Kugeln. Sogar ein Wassernebel ließ mich vorstellen, hier wirklich im Urwald zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, hier in einer anderen Arbeitsumgebung, als in normalen Bürogebäuden, auf ganz andere Gedanken zu kommen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, mich viel wohler zu fühlen, als sonst bei der Arbeit. Wenngleich ich auch berichten kann, dass die Büroumgebungen der Tech-Konzerne alles andere als mit Deutschen (Grossraum-)Büros vergleichbar sind.

Was ebenfalls nicht mit dem vergleichbar ist, was ich bisher so kannte, war ein Supermarkt ohne Kasse. AmazonGo hieß er und nach einer Registrierung mit meiner Amazon-App am Eingang konnte ich in meine Taschen stecken, was ich wollte. Ich verließ den Laden, ohne an einer Kasse zu zahlen. Das war schon ein irres Gefühl. Irgendwie fühlte ich mich, als sei ich ein Ladendieb. Doch weit gefehlt. Nach kurzer Zeit bekam ich eine Email mit der Abrechung und das Geld war von meiner Kreditkarte abgebucht. Und es wurde nur das abgebucht, was ich in der Tasche hatte. Nicht jedoch der Gegenstand, den ich aus dem Regal nahm und einer anderen Person gab, die mit mir im Geschäft weilte. Wahnsinns-Technik und das “schlechte Gewissen” war weg.

Aber irgendwie war hatte ich doch ein mulmiges Gefühl. Die Technik, ja die begeisterte mich. Aber komisch war schon, beim Einkauf von zig Kameras und Radarsensoren beobachtet zu werden. Datenschutz? Nicht das was meine Ex-Kollegen wohl darunter verstanden. Und dann kam mir der Gedanke an meinen Supermarkt zu Hause. Dort, wo ich auch gerne mal an der Fleischtheke oder an der Kasse ein nettes Wort wechsele oder ein kleines Schwätzchen halte. All das ist hier nicht mehr möglich. Irgendwie entwickelt sich das in eine vereinsamende Welt. Und es ist gar nicht daran zu denken, wie viele Arbeitskräfte durch diese Technik ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Irgendwie nicht lustig (und da waren wir wieder beim Thema Lustreise – oder doch nicht?).

Es gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass wir am letzten Abend kurz vor dem Abendessen noch einmal auf die Space Needle, das Wahrzeichen von Seattle, das angesichts der Weltausstellung in den 60er Jahren gebaut worden ist, fuhren. Der abendliche Ausblick auf die Stadt war fulminant. Aber irgendwie waren wir alle nach 3 Tagen hochkonzentrierter Arbeit – begleitet von der Jet-Lag Müdigkeit – irgendwie geschafft und kaputt. Ich war froh (und meinen Begleitern ging es ähnlich), dass wir am Sonnabend dann den Flug in Richtung Süden nach San Francisco hatten.

Beim Abflug lag Seattle, welches ich die letzten Tage sehr kalt mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt kennen gelernt hatte, in einer schönen Mittagssonne. Und nach dem Steigflug konnte ich linksseitig im Flugzeug sitzend, bekannte Vulkane des o.g. Kaskadengebirges sehen. Mt. Rainier, Mt. Adams und der abgebrochen aussehende -weil 1980 ausgebrochene Mt. St. Helens kamen in mein Blickfeld. Ich döste irgendwie vor mich hin, ließ gedanklich die Eindrücke und das gesammelte Wissen der letzten Tage noch einmal Revue passieren. Und ich dachte über meine ursprünglich geplante aber dann doch nun von mir abgesagte Radtour von Seattle nach San Francisco, die ich 2023 machen wollte, nach. Den Weg, den ich jetzt fliege, wollte ich radeln…

Der Flug verging dabei wie im Flug und nach knapp 90 Minuten waren wir schon fast 1600 Kilometer südlicher. Die Sonne schien schön, der Himmel war klar und ich konnte die Marin Headlands von oben sehen. Wunderbar! Darauf hatte ich Lust: Noch einmal mit dem Mountainbike durch die Headlands zu fahren. Aber so schön der Ausblick dann auch auf die Golden Gate Bridge und die Bay sowie Downtown San Francisco war, so schnell muste ich meine “Lustgedanken” an das Mountainbiken doch wieder beiseite schieben. Der Landeanflug nahte und wir waren ratz fatz am Internationalen Flughafen südlich von San Francisco. Ab ins Hotel, noch einmal frisch machen und schon ging es in der Dunkelheit in Richtung Abendessen. Aber nicht, ohne meinen Arbeitskollegen noch einmal einen Blick auf die Golden Gate Brücke in Dukelheit zu gönnen (siehe Fotos oben)

Der Sonnabend war somit mit Reisezeit “verloren” und irgendwie ist das nicht das, worauf ich Lust hatte. Ja, der abendliche Besuch “meiner Brücke” war schön. Aber das hatte ich auch schon vor 3 Wochen. Ich verspürte eine gewisse Lust, ins Bett zu gehen, da ich doch trotz des Sonnabends ohne Arbeit immer noch kaputt war.

Der Sonntag begann für mich sehr sehr früh. Ich wachte gegen 5 Uhr auf (scheiss Jet-Lag) und überlegte mir, ob ich nicht auch gleich aufstehen sollte. Gesagt, getan. Warum sollte ich Sonntag nicht etwas früher aufstehen? Der Wetterbericht versprach gutes Wetter und ich beschloss, meine Freizeit am Sonntag zu nutzen, um San Francisco einmal im Sonnenaufgang zu sehen.

Knapp 40 Minuten Autofahrt lagen vor mir und die Sonne ging früher auf, als ich erwartet hatte. So kam ich am Baker Beach an und die Headlands waren schon von der aufgehenden Sonne umgeben. Die Brücke leuchtete feuerrot und die klare Luft war ein voller Genuß nach 3 Tagen Klimaanlagenluft in Konferenzräumen und im Flugzeug. Ich genoss die Stunden, die ich für mich alleine in der frischen Herbstluft war und konnte auch ein wenig von meiner Dienstreise abschalten.

Ich frühstückte nördlich von San Francisco. Donuts mit Cranberry Juice. Meine Kollegen machten an ihrem Sonntag nach dem Sonnenaufgang noch eine kleine Bootstour, bevor wir uns trafen und etwas machten, worauf ich richtig Lust hatte:

Unser freier Sonntag sollte mit einem Football Spiel der San Francisco 49ers gegen die Dodgers aus Los Angeles enden. In den 80er Jahren hörte ich das erste Mal von den 49ers. Joe Montana war seinerzeit der bekannte Quarterback. Und nun sollte ich die Mannschaft live im Stadion sehen. Ein Riesenstadion und ich war begeistert von der Friedlichkeit. “Rote” 49ers Fans saßen neben “blauen” Dodgers Fans, tranken Bier, unterhielten sich. Warum geht das nicht im Fußball in Deutschland?

Es dauerte nicht lang, bis die Mannschaften ins Stadion kamen. Die 49ers wurden angeführt von Fahrnträgern der amerikanischen Streitkräfte. Nun, dass die Amerikanier einen gewissen Nationalstolz haben, das ist mir bekannt. Dass er jedoch so weit führte, dass während des Gesanges der Nationalhymne durch einen Soldaten eine Nationalfahne über das gesamte 120 Yards (109,72 Meter) lange und 53 Yards (48,46 Meter) breite Spielfeld ausgerollt wurde, überraschte mich doch sehr. Noch mehr überrascht war ich, als am Ende der Nationalhymne -präzise getaktet- zwei Kampfflugzeuge im Tiefflug über das Stadion flogen. In Deutschland wäre so etwas wohl undenkbar. Was würde wohl der Bund der Steuerzahler sagen, wenn die Luftwaffe beim Fußballspiel VfL Wolfsburg gegen Bayern München über den Mittellandkanal fliegen würde? Das wäre mal eine Show, die Diskussion zu verfolgen. Am Rande sei noch erwähnt, dass das Stadion in der Einflugschneise des internationalen Flughafens von San Francisco liegt. Ich schätze mal, dass die Zivilluftfahrt durch diese Aktion etwas warten musste.

Das Spiel war cool. Und das lag sicher nicht daran, dass ich von den vielen Joints, die mein Nachbar sozusagen “Kette” geraucht hat, ganz high war. Nein, es war spannend und wir haben schöne Spielzüge gesehen.

Was mir im Übrigen nicht bekannt war, war die Tatsache, dass die Football Liga den Streitkräften unter dem Titel “Salute to Service” ihre Ehrerbietung zeigt. Auch dieses ist wohl für den Deutschen undenkbar. Wobei nicht nur Streitkräfte, sondern auch viele Ehrenamtliche ihre Gesundheit für die Allgemeinheit einsetzen. Das wäre doch mal ein Zeichen: “Salut für das Ehrenamt” in der Deutschen Bundesliga. Wohl zu schön, um wahr zu werden.

Auch die in das Stadion einfliegenden Fallschirmspringer der Army waren für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Genauso wie die Polizisten vor dem Stadion, die wohl “Salut to Service” etwas zu ernst nahmen. Denn die Polizisten sahen aus, als wollten sie in den Krieg ziehen. Die Bewaffnung und das Auftreten fand ich dann doch sehr erschreckend. Aber auch das ist wohl Amerika.

Der freie Sonntag ging zu Ende und Montag hieß es, mit einer Temperaturdifferenz von 20 Grad seit Seattle, die letzten 3 Unternehmen unserer TechTour zu besuchen. Wir waren im Silicon Valley. Und auch hier sollte wohl Weihnachtsstimmung angesagt sein. “Happy Holidays” sprang uns bem ersten Unternehmen ins Auge. So richtig nach Weihnachtsstimmung war mir aber immer noch nicht. Denn Laubbäume in herbstlichen Farben, Palmen -so schön sie auch illuminiert gewesen sind- sowie Temperaturen um die 20 Grad waren doch nicht das, was ich mit Weihnachtsstimmung verbunden habe.

Ich will hier ganz klar sein: Ich empfand eine gewisse Freude, die Giganten der Tech-Branche zu besuchen. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch meine Tätigkeit bei meinem Arbeitgeber in die glückliche Lage gekommen bin, Eindrücke von Unternehmen zu gewinnen, die so weit weg von unserer täglichen Arbeitskultur sind aber uns doch täglich so nah begleiten. Ich hatte nach der Erholung vom Sonntag richtig Lust, die neuen Eindrücke und das neue Wissen auf dem 2. Teil meiner Dienstreise in mich aufzusaugen. Auch wenn die Tage nicht minder lang waren, als unsere ersten 3 Tage in Seattle, so waren sie genauso anstrengend – wenn nicht sogar anstrengender. Aber sowohl die menschlichen Kontakte, als auch die Eindrücke und Ideen, die ich bekommen habe, die haben sich mehr als gelohnt. Das ist es, worauf ich Lust hatte.

Lustreise, so mag ich meine Dienstreise, die am Mittwoch um 20:30 Uhr nach unserem letzten Gespräch im Silicon Valley mit dem Rückflug nach Deutschland ihre letzte Etappe nahm, dann aber doch nicht nennen.

Es lag wieder ein langer Flug vor uns, wir waren alle angesichts der vielen Gespräche, Eindrücke -und ich meine damit nicht nur die innovative Arbeitsumgebung Bayview Campus von Google- sowie Informationen irgendwie geplättet. Und ich hatte wiederum 9 Stunden Zeitverschiebungzu überstehen. Am Donnerstag war ich dann gegen 20:45 Uhr wieder zu Hause. Und ich freute mich auf mein eigenes Bett. Auch wenn ich diese Nacht nur zwei Stunden schlief. Scheiß Jet-Lag eben. Und darauf habe ich nun gar keine Lust.

Um es zusammen zu fassen: Ich mag den Begriff Lustreise nicht. Ja, ich habe Lust, andere Länder, Kulturen, Arbeitsweisen in mich aufzusaugen. Ich habe Lust, neues kennen zu lernen. Ich habe aber keine gesteigerte Lust durch Jet-Lag schlaflos im Bett zu liegen. Nächtelang! Ich habe auch keine überaus große Lust, bei trockener Luft stundenlang in trockenen Flugzeugen zu sitzen. Ich habe ehrlich auch so gar keine große Lust in fremden (Hotel- ;-)) Betten zu nächtigen. Ich empfinde auch keine gesteigerte Lust, tagelang von meiner Familie getrennt zu sein. Und ich habe keine Lust mich gegenüber Freunden und Bekannten zu rechtfertigen, dass die Dienstreisen i.d.R. vollgestopft mit Arbeit sind und nichts mit Lustreisen zu tun haben. Auch wenn ich dieses Mal einige genussvolle Stunden in San Francisco erleben durfte – an meinem freien Sonntag. An einem weiteren Tag, den ich ohne meine Familie alleine in der Fremde verbringen durfte. Meinst Du, das ist es, was eine Lustreise auszeichnet?