Rampensau

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Am vorletzten Tag auf unserem Weg zum Gardasee lagen knapp 66 km und 1700 Höhenmeter vor uns. Das hört sich nicht viel an, ist es aber doch irgendwie. Denn die ersten knapp 15 km waren 1300 Höhenmeter zu überwinden.

Wir fuhren also wie immer diese Woche recht früh los. Kurz vor der Abfahrt traf ich noch den Guide Rudi, ein herzensguter Mensch, der eine Wandergruppe über die Alpen führte. Kurzer Schnack und los ging es um 08:15. Es hieß 10 km Einrollen bis Lana. Irgendwie sind wir dann doch überhetzt aufgebrochen und ich hatte ganz vergessen, dass es sinnvoll sein könnte, vor einer Tour auf die Toilette zu gehen. Das holte ich dann doch in einer klitzekleinen netten Bar „Nordkap“ in Lana nach. Doch die Toilette glich mehr einem Erotikparadis. In einer Art Kaugummiautomaten, den ich noch aus meiner Kindheit kenne, waren erotische Utensilien für schlappe 2 Euro zu erwerben. Und die Fotos an der Wand glichen auch eher dem Ergebnis eines Erotik-Fotokurses. Ich bitte die Unschärfe der folgenden Bilder zu entschuldigen. Die Linse war einfach beschlagen vor lauter knisternder Erotik auf dieser Bar-Toilette.

Sei es drum, die Bedienung war total nett, und so ging es erleichtert auf den sogleich folgenden ersten Anstieg. Erstens war es gut, diesen mit weniger Gewicht zu fahren und zweitens hätte ich den Erotikraum, den man dort Toilette nannte, nicht verlassen, hätte ich gewusst, was auf mich zukommt. Die maximale Steigung des ersten Anstiegs lag bei 26%. Das ist nicht gerade wenig. Auf dem Bild kommt das ggf. auch gar nicht so richtig gut rüber. Man beachte jedoch die linke Straße, die schon eine gute Steigung hat. Doch wir fuhren rechts rein. Ggf. kann man sich vorstellen, wie die Fahrt weiter ging.

Wir machten schnell Höhenmeter und hatten sehr bald einen schönen Überblick über das Vinschgau und Meran. Aber es war schön, die sogenannte Zivilisation, die sich heute früh durch rücksichtslose Pkw und Lkw Lenker zeigte, zu verlassen. Denn auf dem Weg waren nur wir und hinter uns die Medium Gruppe von Martin. Ich sah das, weil ein netter Teilnehmer einer Garmisch-Comersee Tour vor zwei Jahren, den ich schon in Farchant wieder traf, hinter mir war und sein Radl temporär schob. Das folgende Foto zeigt die Situation und ggf. auch nochmal die Steigung

Es war nicht unanstrengend. Eher das Gegenteil. Der kleinste Gang im Rad erlaubte mir ein kontinuierliches Fahren und ich hatte den Rhythmus gefunden.  Ich fuhr sozusagen in einer Duldungsstarre. Wat mut, dat mut. Treten, atmen, treten, atmen – und hoffen, dass die Energie ausreicht. Aber der oben schon erwähnte Ausblick über Meran und Vinschgau entschädigte doch für die Anstrengung. Und Claudia fuhr motivierend neben mir. Was will der Mann mehr?

Gut, dass es keine Sonne gab am heutigen Morgen. Da hatte meine Wettervorhersage wieder etwas anderes gezeigt. Aber es war gut so. Denn vor zwei Tagen hatte sich die Sonne ja schon mit der Norbertshöhe, vereint. Heute wollte sie das wohl wieder gut machen und hatte sich dezent hinter die Wolken zurückgezogen. Sozusagen als Entschädigung. Und das war auch gut so. Ich kann mir vorstellen, wie Hitze und brennende Sonne bei dieser Steigung das Radeln erschweren können. Es wäre wohl sehr zermürbend gewesen.

Nun Schluss mit negativen Gedanken. Es war nicht zermürbend, ich hatte Wasser, Energie, Freude und den Rhythmus. Claudia begleitete mich und wir erzählten ein wenig – so ging die Zeit schnell vorbei und wir erreichten Völlan. Hier hieß es Wasser aufnehmen. Denn irgendwie hatte sich wieder einmal der Schlendrian gezeigt. Ich hatte entgegen aller Empfehlungen vergessen, in Lana meinen Wasservorrat komplett aufzufüllen. Und durch den irgendwie überhasteten Morgen hatte ich zusätzlich vergessen, Ersatztrikots in meinen Rucksack zu packen. Das wird sich später noch rächen. Ggf. hätte ich auch meine 10. Transalp mit etwas mehr Demut angehen müssen.

Mit hinreichend Wasser ausgestattet ging es nun endlich vom Asphalt herunter in den Wald. auf Schotter. Die Steigung wurde teils geringer und es wurde eine richtig schöne Fahrt. Kurz nach der Waldeinfahrt stand rechtsseitig eine interessante Kombination aus Jesuskreuz und Wasserrad. Irgendwie eine schöne Idee, bei der man auf viele Gedanken kommen konnte.

Auf dem Weg zum Gampenpass hatten wir neben den schon erwähnten Steigungen nach Lana auch im Wald einige Rampen zu überstehen. Claudia nannte mich an jenem Morgen durchaus zweideutig Rampensau. Zum einen, weil ich wohl auf der Bühne sehr präsent bin, aber wahrscheinlich hier viel mehr, weil es irgendwie gut lief und ich die Rampen doch in gutem Tempo hinter mich brachte. Claudia natürlich auch. Und das möchte ich hier noch einmal betonen. Sie fährt zwar mit Strom. Aber eben nicht wie viele andere E-Biker, die das Radl mit einem Mofa verwechseln und maximale Unterstützung aus Akku und Elektromotor herausholen. Nein, sie fährt mit ihr maximal möglichem Körpereinsatz und minimaler Unterstützung. Nicht einmal musste sie auf der Tour ihr Fahrrad tagsüber nachladen. Da kenne ich andere Geschichten. Respekt hierzu.

Doch zurück zum Wald. Ich kam mit einem netten alten Herrn ins Gespräch, der die Wasserrinnen sauber hielt. Es hatte ja auch die Nacht heftig gewittert. „Wo wollts ihr hin?“ – ich antwortete „Nach Cles“. Und so erfuhr ich, dass wir gut in der Zeit seien aber nachmittags aufpassen müssen, da es regnen und gewittern wird. Das entsprach auch der Wettervorhersage. Mal sehen, ob beide Voraussagen am heutigen Tag eintreffen sollten.

Doch erstmal mussten die letzten Meter im Wald vollbracht werden, bevor wir bis zum Gampenpass mal wieder Asphalt fahren mussten. Nicht gerade bevorzugt von Mountainbikern.

Nach etwas über drei Stunden erreichten wir Kilometer 25 – den Gampenpass. Der höchste Punkt des heutigen Tages. Das Trikot war durchschwitzt. Kein Wunder, haben wir doch zwei Kilometer vor dem Pass auch noch eine Straßenreinigungsmaschine überholt.

Mit durchnässtem Trikot war es doch unangenehm. Es war nämlich kühl und ich fror recht schnell nach der Ankunft. Wo ist mein Ersatztrikot? Und wo das von Claudia? Mist. Vergessen. So ist das, wenn man Dinge zu sehr auf die leichte Schulter nimmt und nicht richtig plant, aufpasst und strukturiert die Sachen angeht. Morgen auf der letzten Etappe wird sich das nochmal zeigen.

So ging es erst einmal bergab und es wurde noch kälter. Noch 3 Kilometer zur Lieben Frau im Walde. Nun, 1 Kilometer bis zu 3 lieben Frauen im Walde wäre auch nicht schlecht gewesen. Aber uns war das auch so recht, denn den durchaus bekannten Wallfahrtsort wollten wir besuchen, um dort Mittag zu machen. Genauer in Weissn‘ Sepps Buschenschank. Den kann ich wirklich nur empfehlen.

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Denn das war ein Genuss. Superfreundliche helfende Hände, die uns bedienten, eine ruhige Umgebung und tolles einfaches Essen. Was wollen wir mehr?

Die Rinderbrühe zum Aufwärmen sollte es sein. Da drin lag ein super Speckknödel. Herrlich. Nachfolgend gab es noch Kaiserschmarrn, der auch nicht von schlechten Eltern war. Das Trikot versuchte ich zu trocknen und saß dort mit Regenjacke auf der Terrasse. Aber so richtig wollte die Feuchtigkeit nicht aus dem Stoff. Die Sonne fehlte. Wenn man sie mal braucht ?

Mit nassem Trikot ging es weiter und mit Regenjacke, denn es sollte ja Regen kommen und der Himmel sah schon bedrohlich aus. Wie schon erwähnt, sagten es Kachelmanns Wettermodelle, andere Wetterkanäle und auch der freundliche Herr, mit dem es ein Schwätzchen auf dem Weg zum Gampenpass gab. Wir fuhren wieder etwas schneller durch einen einsamen, schönen Wald, der uns erste unterschiedliche Eindrücke der Brenta Dolomiten näherbrachte. Es waren sehr schöne Waldwege, die uns über Urban (wer kennt schon diesen Ort?), Rifugio Arnika (wohl auch nicht bekannt), Camalez, Cloz (beide wohl auch weniger bekannt) in Richtung Cles brachten. Auch fuhren wir schöne Singletrails, die uns tendenziell bergab brachten, aber durchaus auch alternierend mit der ein oder anderen kleinen Steigung ausgestattet waren.

Was schön war, war die Tatsache, dass wir komplett alleine waren. Kein Wanderer, kein Radler um uns herum. Nur wir und die Natur. Wir konnten auch schöne Aussichten genießen. Nicht mehr in Südtirol, sondern wie die obigen Namen der Orte schon vermuten lassen, im „richtigen“ Italien (das soll jetzt bitte nicht politisch verstanden werden und auch kein Affront gegen die Südtiroler sein). Wir waren mittlerweile im Trentino, dass wir kurz nach dem Buschenschank erreicht hatten. Noch genauer: Wir waren Val du Non -Nonstal, dem zweiten großen Apfelanbaugebiet hier in Norditalien. Und hier ist einiges anders. Sprachlich ist man nicht mehr so auf die Deutsche Sprache eingestellt, wenngleich ich hörte, dass es in der Schule unterrichtet wird. Bei einer Speisekarte mussten wir dann doch den Google Übersetzer nutzen, um überhaupt etwas bestellen zu können. Und ich fand auch etwas feuerwehrspezifisches: Da war doch mehr als einmal eine Hydranten am Weg. Nun möge man meinen, das ist nichts besonderes. Mitten im Wald empfinde ich das jedoch nicht als üblich. Aber wer Weiss schon, welche Gefahren es hier im Nonstal gibt oder welche Regeln in Italien für eine öffentliche Löschwasserversorgung gelten.

Ich habe derweil auch fünf Äpfel ausgesucht, die ich im Winter bei Rewe wieder sehen möchte. Mal sehen, ob es klappt. Und unwahrscheinlich ist das nicht, denn über 10% der Äpfel, die wir in Europa verspeisen kommen aus den beiden Apfelanbaugebieten Nonstal und Südtirol.

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Das Wetter wurde schlechter. Es nieselte dauerhaft. Trotzdem war es warm, so dass ich meine Regenjacke wieder auszog. Mit Trikot und kurzer Hose reicht es bei den Temperaturen aus. Denn eines ist klar. Im Regen wirst Du nass. Ohne Regenklamotten von außen, mit Regenklamotten von innen durch das Schwitzen.

Linksseitig wurden Sorgen sichtbar. Es wurde immer dunkler. Und sie wurden auch hörbar: Mehrfache Geräusche, die so verdächtig nach Donner klangen. Was sagte der nette Herr heute früh? Gewitterneigung? Nun, das war es in der Tat. Aber wir waren kurz vor Cles und so ging es dann wie geplant runter aus den Apfelplantagen nach Revo, wo es wieder hieß, auf einer Straße zu fahren.

Der Asphaltanteil dieser Mountainbikestrecke ist schon recht hoch. Kein Vergleich mit anderen Touren, die ich kenne und guide. Doch dazu später mehr. Wir fuhren also weiter auf der Straße über eine schöne Brücke, die den Lago di Santa Giustina (der ein Wassersportparadies sein soll) überspannte, in Richtung Cles. Nach der Brücke noch kurz durch den Tunnel und mal wieder war eine Steigung im Straßenverkehr zu überleben.

Es war nicht schön, denn auch hier haben wir durchaus rücksichtslose Lenker von Motorgefährten erlebt. Cles sollte eigentlich unser Etappenziel sein, doch heute sind wir in ein Hotel / B&B in Flavon eingebucht. Also hieß es nochmal elf Kilometer in Richtung Gardasee weiterfahren. Es ging mal wieder runter, um nachfolgend aber wieder hoch zu fahren. Die letzte Steigung fuhren wir mit 15 km/h bergauf. Claudia war etwas säuerlich und fragte, ob ich ein Rennen fahren möchte, denn sie fuhr wie oben schon erwähnt mit minimalem Strom. Sie hatte heute allerdings nicht mehr viel Reserve. Mit Energie für weitere neun Kilometer in Claudias Akku kamen wir durchnässt und dreckig, aber glücklich in Flavon, diesem kleinen, 500 Einwohner zählendem Örtchen im Trentino an. Somit haben wir für morgen zen Kilometer gespart und müssen nur noch 74 km fahren und dabei 1200 Höhenmeter erklimmen. Na das wird ein einfacher und schöner Abschluss.

Das B&B sah von außen nicht so vertrauenserweckend aus. Doch innen hatten wir ein frisch renoviertes Zimmer und die supernette Besitzerin glich den ersten Eindruck mit ihrem Charme, ihrer Freundlichkeit und ihrer Persönlichkeit wieder aus. Die Wäsche wurde kurz gewaschen und wir gingen hervorragend im Café Central essen. Wer hätte da in diesem kleinen Ort gedacht?

Ach ja, zu erwähnen ist noch, dass es sich am Nachmittag aufklarte und wir das Nonstal in schönsten Farben zu Gesicht bekamen.