Zwischen Freiheit und Erinnerung

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Heute berichte ich über eine Mountainbike-Tour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Lange habe ich hier nichts geschrieben, weil ich einfach nichts Besonderes erlebt habe. Doch, das, was ich heute „erfahren“ habe, schreit quasi nach einer Veröffentlichung. Und schon sind wir bei der Motivation der folgenden Zeilen.

Die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel, während die Reifen unserer Mountainbikes über den Schotter rollen. Die Luft ist noch kühl und wir rollen uns so langsam ein. Der Harz zeigt sich von seiner schönsten Seite – weitläufige Landschaften, sanfte Hügel und ein Gefühl von Freiheit, das mit jeder Pedalumdrehung wächst. Doch heute ist es nicht nur die Natur, die uns beeindruckt. Diese ist trotz vieler gestorbener Bäume wie eh und je wunderschön und wir sehen auch schon wieder eine Menge Grün. Nein, es ist die Geschichte, die wir mit unseren Reifen erfahren, die so besonders ist. Eine Geschichte von Trennung, Flucht und unermesslichem Leid. Es ist die Geschichte von sinnlos gestorbenen Menschen.

Unsere Tour beginnt in Braunlage, dem größten Ort im Hochharz. Frank und ich folgen der ehemaligen Südharzeisenbahnstrecke in Richtung Süden. Die Strecke ist angenehm zu fahren, der Schotter bietet eine stabile Grundlage, und die fehlenden Wälder eröffnen eine weite Sicht auf die Umgebung.

Die ersten Kilometer genießen wir die Schönheit der Natur – ein Genuss für jeden Mountainbiker. Der Blick zurück zum Wurmberg und Brocken und das Herz schlägt höher.

Wir fahren einen wunderschönen verwunschenen Singletrail herunter, kreuzen kurz die B242 um nach Brunnbachsmühle auf der alten Poststraße weiter in Richtung Hohegeiß zu fahren. Wer hätte das gedacht, dass auf dieser teils doch sehr steilen Straße vor dem Bau der heutigen B4 um 1850 Postkutschen von Harzburg nach Nordhausen fuhren? Was für eine Anstrengung war das für die Tiere? Und was war es für eine Anstrengung heute für uns ;-).

Schon bald wird uns klar, dass diese Tour eine Herausforderung ist. Nicht sportlich, nein das ist Kleinkram bei 24 Kilometern und 400 Höhenmetern. Die Herausforderung begegnet uns erstmalig am Ortseingang von Hohegeiß. Sie liegt direkt vor uns: Die ehemalige Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Heute ist sie kaum noch sichtbar, doch das freie Feld, das sich vor uns erstreckt, erzählt ihre Geschichte. Hier steht auch der erste Gedenkstein – ein stilles Mahnmal für Helmut Kleinert, der mit seiner Frau die Flucht wagte und kurz vor seinem 24. Geburtstag erschossen wurde.

Wir halten inne. Die Frage, die uns begleitet, ist bedrückend: Warum mussten Menschen sterben, nur weil sie ihr Land verlassen wollten?

Wir setzen unsere Fahrt fort und passieren eine Ansammlung von Grenzsteinen, von denen wohl keiner so grausam war wie der der DDR.

Kurz darauf wechseln wir auf den sogenannten Kolonnenstreifen. Hier begegnen wir dem zweiten Gedenkstein. Dieser erinnert an Heiko Runge – einen 15-jährigen Schüler aus Halle, der bei seinem Fluchtversuch erschossen wurde. 51 Schüsse sind abgefeuert worden!

Die Tragik dieser Geschichten lässt uns nicht los. Die Daten, die wir lesen, sind keine bloßen Zahlen. Es sind nicht nur Namen. Es ist ein junger Mensch, der sein Leben verloren, weil er nach Freiheit suchte. Hier kann man mehr über den Sachverhalt lesen und die Auszüge aus den Stasi Akten sind erschreckend.

Unsere Tour führt uns nachdenklich weiter entlang des Kolonnenwegs.

Rechtsseitig die Johanniter-Heilstätte Sorge, die trotz ihres Verfalls in der Ferne eine beeindruckende Präsenz hat.

Die Strecke ist wenig herausfordernd – steile Anstiege, rasante Abfahrten auf diesen -für einen Kolonnenweg so typischen- Lochplatten (Wegplatten aus Beton).

Sie sollen sehr verwitterungsbeständig sein und dadurch, dass Pflanzen durchwachsen sollten sie so fest mit dem Boden verbunden sein. Beides können wir heute noch, Jahrzehnte nach dem Bau bestätigen.

Der Weg benötigt Konzentration, doch die Gedanken an die Vergangenheit stören die Konzentration. Aber sie lassen auch die körperliche Anstrengung in den Hintergrund treten. Wir erreichen die Grenzlandschaft Sorge, ein Ort, der die Geschichte der Teilung bewahrt. Ein beklemmendes Muss für jeden im Harz, das eine Erinnerung wachhält, die nicht vergessen werden darf! Hier stehen wir vor einem Wachturm, überschreiten die ehemalige Grenze mehrfach und schauen durch den Metallzaun auf die andere Seite der Grenze. Ein komisches Gefühl.

Das Museum verlassen wir am Erdbunker, aus dem der Wurmberg – der Westen – so unklar wie fern zu sehen ist.

Der Blick in Richtung Wurmberg und Brocken, hier am Eingang zum Grenzmuseum, ist auch außerhalb des Erdbunkers eindrucksvoll: Der Wurmberg, heute hinter Stacheldraht sichtbar, erscheint so fern, so unerreichbar. Hier konnte man nicht einfach „rüber machen“. Der Brocken, Symbol der DDR, war zwar für die meisten Bürger ebenfalls unerreichbar, doch er gehörte ja zur DDR und keine richtige Grenze trennte ihn vom Rest der DDR. Somit freier Blick auf den Brocken. Ein Bild, das die damalige Realität eindrucksvoll widerzuspiegeln scheint.

Unsere Rückfahrt führt uns entlang der Warmen Bode. Nicht die Warme Bode wärmt uns, sondern die Frühlingssonne, während wir den wurzeligen Single Trail trotz einiger umgestürzter Bäume genießen.

Die Gedanken an die Gedenktafeln, die wir vor kurzem passierten, holen uns wieder ein. Denn im weiteren Verlauf unserer Tour entlang der Warmen Bode, stoßen wir auf zwei weitere Gedenktafeln. Die für Klaus Schaper und Peter Müller. Klaus Schaper, ein 17-jähriger Lehrling aus Elbingerode, verlor sein Leben, als er 1966 bei einem Fluchtversuch eine Mine auslöste. Peter Müller, gerade einmal 20 Jahre alt, erlitt 1964 dasselbe Schicksal.

Die Vorstellung, dass auch diese jungen Menschen ihr Leben auf der Suche nach Freiheit verloren, ist erschütternd. Warum nur, mag man sagen, wo doch die Grenze -wenn es für die Führer der DDR sinnvoll erschien- doch sehr durchlässig war. Denn es gab hier in der Nähe, auch die sogenannten Grenzschleusen. Perverser geht es eigentlich nicht.

Diese Tour war mehr als eine normale Mountainbiketour. Sie war eine Reise durch einen Teil unserer Geschichte, eine Erinnerung an die Opfer der Teilung. In Braunlage kommen unsere Reifen zum Stillstand. Doch die Gedanken fahren weiter – über die offenen Wunden dieser Landschaft, die Stimmen der Vergangenheit, die Mahnmale am Wegesrand. Freiheit ist für uns heute selbstverständlich, doch sie war einst ein Traum, für die Menschen, die ihr Leben gaben. Jung, voller Hoffnung, und doch wurden sie von einer unmenschlichen Grenze gestoppt.

Der Harz ist wunderschön, doch heute zeigte er uns nicht nur seine Natur. Wir erfuhren (über) ein Kapitel der Geschichte, das niemals vergessen werden darf.