Im Angesicht der Wildnis

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Unsere Zeit auf Bainbridge Island, jener wunderbaren Ecke von Seattle ging zu Ende. Wir wollten nun drei Tage den Olympic Nationalpark erkunden. Diese nachfolgenden Tage waren nicht einfach nur Urlaub – sie waren eine Reise durch Landschaften, Stimmungen und Begegnungen, die uns gefordert, bewegt und bereichert haben. So vielfältig und intensiv wie die Natur selbst waren unsere Eindrücke. Und genau wie wir Zeit und Ausdauer brauchten, um sie zu erleben und zu verarbeiten, braucht auch das Lesen dieser Geschichte etwas Geduld und Offenheit. Denn hier wird nicht gehetzt, sondern gespürt. Zwischen moosverhangenen Baumriesen, schroffen Küstenlinien und überraschenden Begegnungen mit Mensch und Tier breitet sich ein Kaleidoskop aus, das weit mehr ist als bloße Reisedokumentation.

Und ja – auch mit Bildern wird nicht gegeizt. Denn was meine Worte nicht greifen können, wird in Momentaufnahmen sichtbar. Aber auch das kann nur ein kleiner Ausschnitt der Realität sein. Die Natur spricht durch Licht, Strukturen und Stille – und ich lasse sie selbst (wenn auch ungenügend) zu Wort kommen. Zurück zur Reise im engeren Sinn:

So hieß es dann auch Abschied von Lisa und Brad und ihrem angenehmen Zuhause zu nehmen. Das haben wir beim Essen der Krabben, die wir vor zweit Tagen gefangen haben, auch gemacht. Mit dabei waren natürlich Gail und Werner sowie Devin, Anna-Lisa, Addy und Arden. Es war ein toller Abend und Oskar, der mit Seafood so gar nichts anfangen kann, hat seinen inneren Schweinehund (oder besser Seafood-Hund) überwunden. Respekt! Und siehe da – Krabben schmecken doch leckerer, als er es sich vorgestellt hat. Und so ganz nebenbei hat er bei Brad auch noch die Kunst des Krabbenkochens gelernt und ein umfangreiches Mahl auf dem Tisch kredenzt. Allen schmeckte es vorzüglich und die Stimmung hatte nichts von Abschied.

Dank des Krabben-Eiweiss hatten wir auch noch bis tief in die Nacht Energie bis der Notarzt kommt. Und die brauchten wir auch. Oskar uns ich haben noch in der Nacht aus Seattle ein neues Auto abgeholt. Das hieß 1,5 Stunden hin fahren, die gleiche Zeit zurück und dann noch 30 Minuten Fahrzeugtausch. Der Grund: Wir hatten eine andere Größe gebucht. Dank einer sehr freundlichen Mitarbeiterin der Autovermietung National am Telefon und einer zweiten äußerst freundlichen Mitarbeiterin am Flughafen, haben wir um 22:30 Uhr noch schnell den schönen Volkswagen TAOS abgegeben,

und diesen gegen einen Jeep Grand Waggoneer getauscht. Ein hammergroßes Fahrzeug, das seines Gleichen hier sucht. Der vorherige Volkswagen TAOS erscheint wie ein Spielzeugfahrzeug dagegen. Nun ja, das hatten wir ja schon einmal. Ein Vergleichsbild mit einem Audi Q5 zeigt die Größenverhältnisse.

Nun ging es aber am Mittwoch früh los. Tschüss Lisa, eine emotionale Umarmung mit dem Versprechen, uns wieder zu sehen und den Kontakt weiter zu halten – und weg sind wir. Wir haben uns auch schon die drei Schwerpunkte für die nächsten Tage im Olympic Nationalpark ausgesucht.

Der erste sollte Hurricane Ridge sein. Laut Aussage von Lisa, grandios. Und die Parkrangerin am Visitor Center sagte, dass es dort auf jeden Fall Tiere zu sehen geben sollte. Elche könnten es sein, Hirsche / Rehe und ggf. auch Bären. Cougars, jene gefährlichen Raubkatzen, die wir auch unter Berglöwen oder Puma kennen, gibt es wohl auch an vielen Stellen. Nur zeigen sie sich vor den Menschen nicht so häufig. Und wenn, dann ist es zu spät. Grant berichtet vor unserer Abfahrt, dass ein Cougar zwei Mountainbikern 40 Kilometer von Seattle entfernt gefährlich geworden ist. Er ist ihnen gefolgt. Irgenwann haben sie aufgegeben und den Kampf aufgenommen. Mit Fahrädern uns sonstwas gegen den Cougar geschmissen. Half nichts, ein Mountainbiker wurde vom Cougar in den Hals gebissen, während der andere, versuchte, Hilfe zu holen. Darauf hin hat der Cougar diesen angegriffen. Der zuerst attackierte Biker hat nun Hilfe geholt und als diese an der Stelle des Unglücks angekommen war, war wohl die Hilfe zu spät. Cougars sind menschenscheu, aber wenn sie verletzt sind und Ernährung benötigen, wissen sie wohl nicht mehr, dass sie menschenscheu sind. Also freuen wir uns, wenn wir diesen Tieren nicht in die Augen schauen müssen. Und wenn doch, dann wollen wir so ein Glück haben, wie dieses Bike-Team:

Nun, wir sind also in Richtung Port Angeles gefahren, einem kleinen hässlichen Städtchen mit knapp 20000 Einwohnern, das direkt am Eingang zum Nationalpark liegt. Hier ging nun das Naturabenteuer, das uns über drei Tage begleiten sollte, los. Wie oben schon erwähnt, gingen wir ins Visitor Center, in dem wir erfuhren, dass wir zum Aufstieg auf den Mount Angeles wohl doch nicht die richtigen Touristen sein würden. Denn dieses erfordert wohl schon etwas alpine Erfahrung, zumindest sahen die Fotos nach Klettern aus. Wer will das schon, wenn die Ehefrau seit mehreren Tagen einen dicken Knöchel hat, weil sie bei Grant die Gartentreppe heruntergefallen ist? Also haben wir uns für den Trail in Richtung Klahhane Ridge entschieden. Hin und zurück sind das knapp 8 Kilometer mit 500 Höhenmetern. Die Alternative, die zum Hurricane Hill führt, erschien uns nicht die richtige Alternative zu sein, weil hier von „paved trail“, also von asphaltierten Weg gesprochen worden ist. Es ging bei uns jedoch auch die ersten Meter auf Asphalt und ich dachte schon, wo ich denn sei, wenn die Ränder mit Seilen abgesteckt waren. Nun ja, es wird genug dumme Menschen geben, die auf den Wiesen, Blumen und sonstigen Gewächsen herumtreten, als lieber auf dem Pfad zu bleiben.

Wir erklommen die erste Steigung.

Es waren noch einige Wanderer neben uns. Und nach dem ersten Hügel, als der Pfad schmaler wurde und tendenziell wieder bergab ging, um nachfolgend eine Steigerung aufzunehmen, da trennte sich die Spreu vom Weizen.  Wir waren der Weizen, der über Stock und Stein ging.

Denn auf der ganzen nun folgenden Strecke und den nächsten knapp drei Stunden haben wir noch sechs andere Wanderer getroffen. Die Aussicht war hammerschön. In Richtung Süden sahen wir die schneebedeckten Berge des Olympic-Nationalparks.

Nördlich war der Pazifischen Ozean vor uns, oder um genauer zu sein, Kanada. Noch genauer, die Straße von Juan de Fuca.

Es war heiß, die Sonne brannte und kannte kein Erbamen.

Und wie es bei Kohls manchmal so üblich ist, hätten wir schon mehr Getränk mitnehmen können. Kurz vor dem Klahhane Ridge drehten wir wieder um. Der Weg war zu rutschig und zu steil, als dass Claudia mit ihrem Knöchel dort gut hoch gehen konnte. Und schon gar nicht gut herunter, wie man sieht.

Alleine wollten wir sie ja auch nicht sitzen lassen, um zum Ridge zu gehen. Der Gedanke von uns lag ja schon bei den Cougars und Schwarzbären. Und da sollte man eher in Gruppen auftreten. Oskar sah noch Chipmonks, die wir jedoch leider nicht auf modernem Celluloid verewigen konnten und schon ging es wieder bergab.

Wir erinnern uns, dass die Rangerin sagte, wir werden Tiere sehen. Nun, das einzige Tier, das ich diesen Tag sehen durfte, und das sei vorweg genommen, war ein überfahrenes Reh. Das Auto stand kaputt davor und die Blutlache war noch hellrot und frisch. Es war kein schöner Anblick.

Wie erwähnt, wir gingen zurück und genossen die Aussicht.

Claudia erging es anders. Während ich noch kopfschüttelnd den asiatischen Vater mit seinem Sohn angesichts der Fußbekleidung „Adiletten“ betrachtete, ging Claudia schon mal ihres Weges. Denn beim Abstieg haben wir uns getrennt. Oskar und ich wollten noch über den letzten Hügel schauen, während Claudia auf dem Originalweg zurück ging. Und was erspähten ihre Augen? Deer! Oh dear, warum habe ich das nicht gesehen.

Glücklich und zufrieden, jedoch kaputt fuhren wir nun zurück aus der Höhe von 5242 Fuß in Richtung Port Angeles. Wir freuten uns schon auf unsere Übernachtung. Denn die sollte im Nationalpark am Lake Crescent in dem dortigen Log Cabin Resort stattfinden. Nun, unsere Cabin war direkt am Lake gelegen. Trotzdem waren wir beim Anblick des total überhitzten Übernachtungsraums nicht äusserst glücklich.

Sauberer hätte es sein können (es waren dann doch zu viel Spinnenweben vorhanden) und die Zeit ist über die Cabin seit mindestens drei Jahrzehnten hinweg gegangen.

Über die Unfähigkeit der Bedienung beim Abendessen will ich hier gar nicht reden.

Zurück noch einmal zu den Cougars: An der Eingang des Empfangsbereichs war eine Warnung zu sehen. Das machte mich schon etwas nervös.

Denn irgendwie erscheint mir die Gefahr, die durch diese Berglöwen ausgeht dann doch nicht so zu sein. Wie auch immer, das schmälerte dann doch nicht den Abend, denn als die Sonne unterging, konnten wir wenigstens den See direkt vor unserer Haustür genießen und einen erfüllten Tag gemeinsam in der schönen Natur beenden.

Der nächste Tag begann, wie nur Tage in der Wildnis beginnen sollten: mit Sonne, die sich über den Lake Crescent schob, als wolle sie uns in Bewegung setzen.

Das Frühstück war schlicht, fast provisorisch, doch genau das machte seinen Reiz aus. Kaffee, ein Kaltgetränk, improvisierte Cerealien und Mineralwasser.

Die Morgendämmerung lag direkt vor unserer Haustür am See. So konnten wir den Moment genießen.

Die erste Etappe dieses Tages: Kajakfahren. Um 08:30 Uhr ging es aufs Wasser, das noch glatt und einladend da lag – wie ein Spiegel, der später unsere Kräfte prüfen sollte. Oskar allein im Einer, Claudia und ich gemeinsam in einem Zweier-Kajak, das sich bald als eigensinniger Begleiter herausstellte.

Mit der Strömung schien es, als paddelten wir auf Schmierseife – das Boot gehorchte nicht, es tänzelte widerwillig. Nach zwanzig Minuten des Fluchens und Lachens kehrten wir um. Und siehe da: Gegen die Strömung wurde das Kajak zum Partner. Die Erklärung? Oskar freute sich über meine Ratlosigkeit. „Papa weiß mal keine Antwort“ – ein Satz, so selten wie überraschend. Die Erklärung ist jedoch ganz leicht.

Gegen die Strömung erzeugst du mit dem Paddel mehr Widerstand und kannst gezielter steuern. Mit Strömung gleitest du mehr, was wie auf Glatteis wirken kann – kleinere Paddelbewegungen haben weniger direkte Wirkung. Es gibt noch andere Gründe, wie Turbulenzen, Rückströmungen und Verwirbelungen. Wir belassen es bei der Erklärung oben.

Zwei Stunden später, mit müden Armen und einem Oberkörper wie durchgeknetet, tauschten wir nasse Hosen gegen neue Entschlossenheit. Ziel: Barnes Creek. Eine Wanderung auf der anderen Seite des Sees, rund acht Kilometer durch vermooste Baumgiganten und duftende Stille. Es hieß zuerst die Schuhe fest zu binden, denn wir erwarteten einen anspruchsvollen, wilden Trail.

Der Anfang war touristisch: breite Wege, viele Stimmen. Der Marymere Wasserfall lockte alle. Doch bald bogen wir ab, weg vom Lärm, hinein in einen schmalen Pfad, der sich wie ein Gedicht durch das Geäst wand. Claudia zwängte sich noch in einen Baum und zusammen mit Oskar wurden zwei weitere Himmelsstürmer fachmännisch vermessen.

Umgestürzte Baumriesen, Pfade so schmal wie Gedanken vor dem Einschlafen, so war der Trail. Die Zivilisation endete – und mit ihr der Empfang unserer digitalen Kommunikationsmittel. Kein Signal, keine Hilfe, nur wir. Es war einer dieser Momente, in denen man sich fragt: Was passiert? Wer beobachtet wen? Der Mensch die Natur oder das Tier den Menschen?

Oskar suchte den Weg weiter. Fand ihn aber nicht. Nur eine Erfrischung. Das Wasser war kalt, klar, kristallin – einfach zum Trinken geeignet.

Als wir umkehrten, bewegte sich plötzlich das Unterholz. Mein Ruf: „Halt Oskar, was ist das?“ – seine Antwort: Ein Tritt auf den Ast und er machte sich lustig über meine Ängstlichkeit. Die Wildnis prüft nicht nur Reflexe, sie testet auch Mut, den ich offensichtlich nicht hatte.

Wir fanden schließlich eine übersehene Abzweigung, stiegen -nachdem der Weg durch zwei Bäume ausprobiert wurde- noch über einen Baumstamm wie über einen Grenzbalken, der uns auf die nächste Etappe der Wanderung führte.

Wiederum ging es unter umgekippten Bäumen durch, deren Rinde so dick war, wie ein Brockhaus-Band (wer kennt diese Bücher wohl noch?) und um uns herum war tiefe Wildnis.

Die zwei Trailrunner, die uns dort begegneten, liefen, wo wir fühlten. Sollen sie. Wir kehrten um, zurück zu Marymere Falls. Dort schossen wir noch einige Fotos. Und später sahen wir noch ein Eichhörnchen, das ich im Folgenden zeige. Genauso wie das rote Kehlchen sowie von Claudia am Wasser. Begegnungen, die uns genügten.

Keine Bären, keine Elche, und auch Cougars blieben unsichtbar. Vielleicht war das Glück. Vielleicht Gnade.

Der Abend: Port Angeles. Nach langem Suchen fanden wir Jazzy Joshua’s Lounge – Musik, American Food und hoffentlich bessere Bedienung als am Vortag. Auf dem Parkplatz? Fünf VW Bullis – T1, T1, T3. Ein unerwarteter Gruß aus Wolfsburg. Wir traten ein – doch der Raum war geschlossen. Warum? Ein Treffen der Volkswagen Group. Mein Herz schlug schneller. Ich – ein Mann aus dem Konzern – mittendrin. Und so war der Kontakt schnell hergestellt. Kurze Unterhaltung mit denen, die schon seit 27 Jahren das Border to Border Volkswagen Treffen mitmachen. Organisiert durch die Airheads Parts.

Doch bei den Checkers können wir nicht bleiben. Ein anderer Tisch ist für uns bestimmt, in mitten anderer Gäste. Und da saß sie – jene Frau, deren Körpergewicht sich jeder Schätzung entzog. Ich sah nicht weg und war sprachlos.

Sprachlos, als ich diese schätzungsweise 250-300 Kilogramm dicke Frau auf einer Bank sitzen sah. Sie ging zum Buffet. Nein, gehen kann man das nicht mehr nennen. Sie quälte sich auf zwei medizinischen Stöcken dort hin. Da kann mir keiner etwas von Body-Positivity erzählen. Ich finde das nur schrecklich und habe auch keine Worte und noch weniger Verständnis dafür. So viel Gewicht bekommt man nicht einfach so, oder weil man krank ist. Aber jetzt habe ich wenigstens einer der möglichen Hauptdarstellerinnen dieser Serie über diesen  Adipositaschirurgen Younan Nowzaradan gesehen. Die Dame am Nebentisch, mit dem mürrischen Gesichtsausdruck, der beim mehrfach beschriebenen Cougar nicht agressiver hätte sein können, war jedoch auch nicht gerade eine Gazelle und gehörte in die Kategorie der massiv Übergewichtigen. Ich muss das nicht schön finden, tue es auch nicht, auch wenn dieses auszusprechen hier in USA schon als Diskriminierung angesehen wird. Klar, gibt es doch überaus viele von diesen Menschen abseits des gesunden Körpergewichts. Und meine Wahrnehmung ist – Rückspiegel nach zu Hause – , dass das bei uns die gleiche Entwicklung nimmt. Nun, vielleicht diskriminieren diese massiv übergewichtigen Menschen aber auch meinen Ästhetiksinn. Dabei belassen wir es. Denn wir haben das Essen trotzdem genossen. Mit Clam-Chowder und Fish& Chips, Burger und sonstigen amerikanischen Spezialitäten und supernetten Bedienungen. Gar kein Vergleich mit gestern Abend.

Zurück am See, zurück in die Hütte. Spinnenweben, Kartenspiel „Arschloch“ – empfohlen von Oskar. Ein letztes Lachen, ein letztes Nachdenken. Und dann: Schlaf. Müde, erfüllt, berührt.

Der dritte Tag begann früh, noch im Dunst des Lake Crescent. Unser Frühstück war wie die Tage zuvor: einfach, ehrlich, zweckmäßig. Kein Kontinentalbuffet, sondern ein Gruß aus dem echten Leben. Wir luden unser Gepäck in den Grand Wagoneer – ein verlässlicher Gefährte, der unsere Reise wie ein Lasttier der Neuzeit trug – und nahmen Kurs auf den südlichen Rand der Wildnis: den Hoh Rain Forest. Besser gesagt, Oskar, der sich fühlte wie der King of the road.

Und wir fuhren an einem Dixi-Klo vorbei, das mitten in der Pampa stand. Dort stand ein Rollstuhl. Ein Mann lag vor diesem. Ein Auto hatte schon angehalten und half, bzw. rief wohl den Rettungswagen, der uns kurze Zeit später entgegen kam. Wir haben angesichts der schon vorhandenen Hilfe nicht angehalten.

Ich lernte schnell, warum die Entscheidung in meiner Rente nicht mit dem Fahrrad von Seattle nach San Francisco zu fahren, eine gute Entscheidung ist. Erstens ist der Verkehr hier mörderisch, die Straßen sind teils eng und es wird sogar gewarnt.

Forks zog an uns vorbei, grau und unprätentiös, wie ein Ort, der sich nicht verstellen will. Und das war gut so. Denn die Überraschung kam am Flugplatz am Ortsausgang in Richtung Süden. Da belegte doch eine ganze Elchherde mit samt dem Oberelch die Start- bzw. Landebahn. Ein kurzer Stop musste sein und die Fotos fanden ihren Weg auf die Speicherkarte meiner Digitalkamera.

Gegen 11 Uhr erreichten wir den Regenwald – doch diesmal war die Wildnis nicht nur ungezähmt, sondern überlaufen. Ranger mit der Mentalität eines Faultiers winkten Fahrzeuge zögerlich hinein: „Mach hier bloß keinen Stress.“ Ein Satz, den wir hörten, wirkte so absurd wie notwendig in dieser entzauberten Magie. Kein Wunder, dass sich der Verkehr staute – die Hinweisschilder waren ja schon vorgemalt. Aber wahrscheinlich war der Parkplatz ein Nadelöhr der Zivilisation.

Doch die Natur, wenn man sie dann endlich erreicht, sie bleibt sich treu. Die Wanderwege: Hall of Mosses und Spruce Nature Trail zeigten, dass die Natur auch ohne uns Menschen kräftig gedeit. Wahrscheinlich sogar besser. Moos hing wie urzeitlicher Atem von den Ästen. Jeder Baum ein Monument der Zeit. Doch wir waren nicht allein. Die Kreischenden, die Lärmenden – sie zogen vorbei, ließen Spuren aus Stimmen, Blitzlicht und Ungeduld. Ich sehnte mich nach Einsamkeit, nach jener Stille, die wie ein zweiter Puls in der Wildnis lebt.

Und dennoch: Die Farne, die Redwood-Riesen, die gestürzten Baumkörper – sie berührten uns. Zwischen ihnen ein Ökosystem, das sich selbst nährt. Verwachsene Wurzeln, ineinander verschlungene Leben, wie Philosophie in Holz gegossen. Und das kann selbst die schiere Menge der folgenden Fotos nicht annähernd wiederspiegeln.

Auf dem Spruce Trail sah ich sie: ein „Deer“, edel, vorsichtig, wach.

Doch die Menschen – die meisten – sehen nicht. Sie rennen, reden, ignorieren. Als ich auf das Tier hinwies, rauschte ein Paar respektlos vorbei. Ein Student folgte, mit den Augen nicht für die Welt gemacht. Ich sah und verstand: Das Wild ist da. Doch das Sehen ist eine Fähigkeit, keine Garantie. Wir konnten den Besuch hier glücklich beenden.

Der Nachmittag: Rialto Beach. Das Wetter war kühl, der Himmel bedeckt – perfekt für eine letzte Etappe. Der Weg nach Rialto war kurzentschlossen, aber klug. Denn dieser Ort, wurde durch die digitalen Stimmen als „dramatisch“ gepriesen. Und er war es auch

Wir brauchten nicht lange suchen. Der Ort war ein Endpunkt – nicht nur unseres Tages.

Treibholz lag wie Knochen eines uralten Waldes am Strand. Keine Hölzchen, sondern Baumriesen, vom Pazifik geformt und zurückgeworfen.

Die See tobte. Seehunde glitten durch die Wellen wie Geister der Tiefe. Dabei schien es, als ob sie entweder versuchten, zu überleben oder mit uns zu spielen.

Ich fotografierte, als gäbe es kein Morgen. Die Kamera versagte – der Akku war leer. Doch ich hatte einen Ersatz, wie jeder Abenteurer, der weiß: Planung ist das halbe Leben, die andere Hälfte ist das Unbekannte. Kormorane, Seehunde, die Weite – alles wurde bewahrt, ein Stück Ewigkeit auf Speicherkarte.

Und dann: der Rückweg in die Normalität. Wir checkten ins falsche Motel ein. Ein kurzer Irrtum, der zeigte, wie nah Orientierungslosigkeit an Alltag liegt. Das richtige Motel war gegenüber – fast wie ein Spiegel für unsere Reisemüdigkeit. Dann Essen in einem typisch amerikanischen Pub, mit einem Hauch Surrealismus: Ausweiskontrolle mit fast 60 Jahren. Die Absurdität der Bürokratie begegnet der Weite der Wildnis – und wir, dazwischen.

Nun liege ich hier. Das Bett schlicht, der Körper müde, das Herz erfüllt. Drei Tage – nicht Ferien, sondern Erlebnisse. Die Natur zeigte uns alles: Hochalpine Pfade, mystische Urwälder, tosende Küsten. Wir sahen, was andere nie sehen werden – ggf. aus Mangel, oder aus Wahl. Und ich bin froh, dass wir die richtige Wahl getroffen haben.

Bleibt gespannt. Die nächsten Tage werden etwas ruhiger, bis dann der Aufstieg auf den Mount Saint Helens gewagt wird. Das Wetter sieht z.Zt. nicht motivierend aus. Warten wir es ab – ich werde berichten. Bis dahin Bye….