Nicht der Gipfel..

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.. aber trotzdem ganz oben. Das beschreiben nun die folgenden Zeilen, die Euch an den letzten Tagen unseres USA Abenteuers teilhaben lassen.

Die Neugier war greifbar. Die einen oder anderen warteten nur auf eine Antwort: Hat er’s getan – oder hat er’s gelassen? Für all jene, die die vorherigen Blogeinträge verpasst haben: Es geht um den Hike auf den Mount Saint Helens. Der lang ersehnte Gipfelsturm. Das Symbol für Abenteuerlust, Ausdauer und ein bisschen Stolz.

Also gut – kurz und ehrlich: Nein, ich habe ihn nicht bestiegen. Und ja, das tut weh. Nicht körperlich, nicht an den Füßen – sondern irgendwo zwischen Herz und Ego, da wo Wünsche wohnen. Wer trotzdem weiterlesen mag, wird belohnt. Denn die letzten „Abenteuer“ dieser so reichen Sommerreise im Nordwesten der USA haben Tiefgang, Charme und einige Wendungen, wie sie nur das echte Leben schreibt. Also – auf ins Finale.

Wie schon an jenem magischen Sonnabend am Rialto Beach, wo die Brandung Geschichten flüstert und Treibholz wie Skulpturen wirkt, begann meine körperliche Misere ganz unspektakulär: Beim Schuhe zubinden fuhr ein Schmerz durch den unteren Rücken. Ein Stich wie ein kleiner Dolch, der sich festsetzte und nur zögerlich wieder lockerte. So zögerlich, dass der Gedanke an einen Aufstieg auf den Berg eher nach Masochismus klang als nach Genuss.

Ich hatte gehofft – bis zuletzt. Claudia war meine Rückenfee, gab mir Tipps zur Mobilisierung, dazu pharmazeutische Hilfsmittel zur Muskelentspannung. Selbst auf WhatsApp trudelten Ideen ein: Dehnen, Wärme, Geduld. Ich habe alles versucht, mit der leisen Hoffnung, diesen „Bonding Moment“ mit Oskar zu erleben. Diesen gemeinsamen Blick vom Gipfel. Dieses geteilte Schweigen auf dem Berg.

Die Fahrt von Long Beach nach Woodland, unserem Basislager für die einzige zugelassene Route zum Mount Saint Helens, war geprägt von Massageaktionen auf dem Beifahrersitz unseres Nobelschlittens – die Komfortzone wurde medizinisch aufgerüstet. Die Entscheidung stand für Montagmorgen an. 05 Uhr. Aufstehen, fühlen, bewerten, entscheiden. Der Rücken? Besser. Aber nicht gut. Bewegungen? Immer noch riskant. Der Berg? Eingehüllt in Wolken, Aussicht gleich null. Das Wetter? Einzelne Schauer ab 08 Uhr und erneut gegen Mittag. Und da stand ich – innerlich zerrissen zwischen Vernunft und Verlangen. Was bringt es, im Nebel zu stehen und nichts zu sehen, außer sich selbst und den Schmerz?

Am Ende war der Weg klar: Nein. Ich wollte Genuss, nicht Selbstüberwindung. Dieser Berg sollte kein Beweisstück werden. Kein Triumphschild. Er sollte einfach ein schöner Ort sein. Und wenn das nicht möglich war, dann war der Rückzug die ehrlichste Entscheidung. Claudia und Oskar waren letztlich erleichtert. Oskar hatte schon am Abend zuvor angedeutet, dass ich besser nein sagen sollte. Doch ich wollte die gemeinsame Vorfreude nicht vorschnell begraben. Und siehe da – statt Frust gab es plötzlich ein neues Geschenk: Schlaf. Zwei Stunden länger in einem himmlischen Bett am Lewis River. Rückenfreundlich, seelenstreichelnd.

Ich bin ein Plan-B-Mensch. Für alle Fälle, für alle Wetter. Also war die neue Frage schnell gestellt: Was tun mit dem „gewonnenen“ Tag? Antwort: das Air Museum in Seattle. Schon früh auf unserer Liste, aber in Woche eins durch andere Highlights (Danke dafür an Brad, Lisa, Werner und Gail!) in den Hintergrund geraten. Jetzt war die Stunde gekommen. Und danach – fast wie eine Belohnung – wollten wir Werner und Gail nochmal besuchen. Ein Anruf nach Poulsbo, ein warmes „Kommt vorbei!“ – und die Planung stand.

Es hieß noch kurz am Lewis River frühstücken, und schon ging es los.

Der Abend? Ein Geschenk. Gail und Werner auf der Terrasse. Erinnerungen an Baton Rouge. Brause hier, Margarita dort, Bier dazwischen. Gespräche, die die Zeit aushebeln. Über Gott, Welt und das, was zwischen Menschen zählt. Eine Umarmung, die mehr sagt als Worte. Ein Moment, der mehr bedeutet als jeder Gipfelsieg.

Doch was haben wir im Museum vorher erlebt? Im Museum dann Staunen pur. Ich ging durch die Air Force One, spürte den Hauch von Geschichte – Eisenhower und Johnson, eine Ära der politischen Gravitas. Dann die Concorde: elegant, schnell – und erstaunlich klein. Ich konnte kaum stehen. Drei Stunden über den Atlantik? Kein Raum für Komfort, aber viel Raum für Staunen. Die erste Boeing 747-100 – ein Prototyp, vollgepackt mit Messtechnik – rief Neugier hervor. Dazu ein Vortrag über das Dole-Desaster: ein Rennen zum schnellsten Flug nach Hawaii, bei dem Abenteuerlust auf Größenwahn traf.

Doch dann kam der Bruch. Militärflugzeuge, wohin das Auge reicht. Eine Halle voll Maschinen des 1. und 2. Weltkriegs. Spionageflugzeuge wie die Blackbird. Phantom-Bomber aus Vietnam. Cruise Missiles. Drohnen. Technik, so präzise wie erschreckend. Der Gedanke lag nahe: Was könnte man mit all dem Geld für Waffen stattdessen bewegen? Wir dachten noch an unsere Bundestagswahl – offenbar eine Minderheit, die da für Abrüstung steht. Aber gut, das politische Thema habe ich im letzten Jahr ausführlich behandelt. Erleichternd war die MIG-21, verziert mit afrikanischen Perlenketten. Friedensbotschaft in Jetform. Ein stilles Hoffnungszeichen.

Interessant fand ich die Jacke für Kinder, die einer Bomberpilotenjacke der Us-Airforce glich. Produziert in : China. Na, ob das dem amerikanischen Präsdenten gefällt? Am Ende war das Museum beeindruckend. Ingenieurskunst, Mut, Kreativität – ohne diese Zutaten gäbe es keine Boeing, keine Concorde, kein Reisen wie wir es heute leben.

Der letzte Tag gehörte Seattle. Mit Devan als Begleiter fuhren wir erneut in die Stadt am Puget Sound. Die Bainbridge Ferry bot noch einmal Skyline-Magie – filigran, charmant, weit weniger wuchtig als das steinerne Rauschen von New York.

Pikes Market? Pflicht! Fliegende Fische, Marktschreier, Farbenflut und Straßenmusik

Und dann: die Gum Wall. Oder besser gesagt: die Gum-Straße. Ekel in Millionenstückzahl. Kaugummi an Wänden, an Gaszählern, tropfend, klebrig, grotesk. Claudia und Oskar waren schneller wieder draußen als man „Bäh!“ sagen kann. Ich hingegen machte Fotos, bekam prompt einen Kaugummi unter den Schuh – und ja, das war eklig.

Später: Amazons Spheres. Tropischer Regenwald in Glaskugeln. Free Bananas für die Community – eine charmante Idee.

Der Rückweg führte uns durch die Schattenseite der Stadt: Obdachlose, Drogenabhängige. Gesichter, die Geschichten tragen. Mütter, Kinder, Erinnerungen – verloren im Glanz der Hochhausfassaden. Der Kontrast zu Amazon und Co war nicht zu übersehen.

Und dann – ganz zum Schluss – nochmal Gail und Werner. Dieses Mal mit Jambalaya, Corn-Soup und Garlic Bread. Kulinarischer Abschied im Stil von Louisiana. Nicht typisch Washington, aber typisch uns. Denn der Süden, genauer Baton Rouge, hat uns verbunden. Die Nacht war kurz und der nächste Morgen war geprägt von Abschied. Nicht einfach nach so langer Freundschaft. Denn wer weiß, wann und wie wir uns wiedersehen? Der Wille ist da. Das Herz auch. Aber das Leben hat manchmal ja seine eigenen Pläne. Wir müssen schauen, was das Leben mit uns macht. So wurden die Augen feucht. Nicht aus Trauer. Sondern aus Dankbarkeit für mehr als Freundschaft. Und für Begegnungen, für Umarmungen, für das Gefühl, Teil dieser Familie zu sein.

Danke Gail. Danke Lisa. Danke Brad. Danke Werner.

Und danke an alle, die diesen Sommer zu etwas Besonderem gemacht haben. Nicht der Gipfel war das Ziel – sondern das gemeinsame Erleben. Und das war, in jeder Hinsicht, ganz oben.