Für immer verschollen

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Wer meinen Blog hier regelmäßig verfolgt, der weiß, dass ich am 30. August 2018 in Südtirol meinen Ehering verloren habe. Und zwar genau hier: N46° 33.604′ E11° 59.368′ in 1751 Meter Höhe kurz vor der Cappana Alpina Hütte. Oder aber hier: N46° 35.832′ E12° 01.359′ auf 2105 Meter Höhe (Ucia de Gran Fanes Restaurant). Da Claudia und ich in diesem Jahr zufällig ganz in der Nähe waren, haben wir uns aufgemacht, den vor knapp 5 Jahren verlorenen Ehering wieder zu finden. Leider -wie zu erwarten- ohne Erfolg. Aber die Tour, die wir dabei erlebt haben, möchte ich dann doch hier mit einigen Bildern teilen.

Es war gar nicht so sicher, ob wir die Tour, die in St. Vigil startet und über die Pederühütte, Faneshütte und den Limosee zum Dolomiten Höhenweg und von dort runter zur Cappana Alpina Hütte gehen sollte, überhaupt durchführen. Seit 3 Tagen quälen mich beim Gehen Schmerzen über der linken Ferse. Mittels Zauberzeug aus der hiesigen Apotheke, Dehnübungen sowie Tapen und Kühlen mittels Eisbeuteln haben wir versucht, mich einigermaßen fit zu bekommen.

Der Fuß tat heute nicht mehr ganz so weh. Das Wetter war zusätzlich noch hammertoll beim Blick aus dem Hotelzimmer.

So haben wir uns entschlossen, die Fahrt einfach zu probieren. Wenn es nicht klappt, können wir ja noch umdrehen. Wenn der Fuß funktioniert, könnten wir bis 18 Uhr wieder im Hotel sein, denn da haben die Wetterspezialisten unwetterartige Regenfälle mit Gewitter und Sturm vorausgesagt. So ging es mit dem Auto nach St. Vigil, wo wir unsere Fahrt beginnen sollten. Die ersten 12 Kilometer ging es in einem schönen Waldstück langsam bergauf über ca 375 Höhenmeter zur Pederü Hütte. Ich konnte mich gut an den Weg, den ich seinerzeit gefahren bin, erinnern und hatte viel Freude. Denn der Fuß schmerzte nicht, wenngleich ich merkte, dass ich das linke Bein schonte und nicht so sehr einsetzte, wie das rechte Bein. Irgendwie komisch: Gehen geht schlecht, wandern gar nicht. Aber radeln funktioniert

So fuhren wir knapp eine Stunde, haben noch das Ergebnis eines Murenabgangs gesehen, bis wir zur Pederü Hütte kamen.

Ich will hier kurz noch etwas einflechten, was nicht zur Tour gehört. Murenabgänge werden ggf. in Zukunft hier häufiger vorkommen. Denn auf unserer Fahrt nach St. Vigil sahen wir zwischen vielen grünen Nadelhölzern auch das ein oder andere braune Fleckchen. Und unsere Erkundigungen bestätigen unsere Vermutung: Auch hier wütet der Borkenkäfer. Genau wie im Harz. Hoffen wir, dass die Nationalparkverwaltung hier gute Strategien gegen den Käfer hat. Denn sollte es hier zu einer kompletten Vernichtung des Waldes kommen, wie das bei uns im Harz der Fall ist, stellt sich die Frage, was dann noch die Erd- und Steinschichten bei diesen steilen Bergen im Fall von starken Regenfällen hält. Das waren so meine Gedanken, denn die Wälder rund um St. Vigil sahen aus, wie der Rammelsberg vor 3 Jahren.

Doch zurück zur Pederühütte. Hier fielen uns mehrere Dinge auf:

  • Die Firma Giant hat hier offensichtlich ein Lager für E-MTBs eingerichtet. Ich glaube ich habe knapp 20 blaue Giant Elektro Mountainbikes gesichtet.
  • Die Fahrer und Fahrerinnen einiger dieser Bikes sahen nicht sehr erfahren aus. Wie sollte ich es mir sonst erklären, dass ich sogar Sandalen und Sommerkleidchen als Bekleidung einer Fahrradfahrerin (die uns nachher noch überholte) sah?
  • Es fuhren viele Elektrofahrräder aus Richtung Faneshütte. Bio-Bikes habe ich kaum gesehen.
  • Es waren unzählige Wandersgesellen auf dem Weg in Richtung Faneshütte. Eine halbe Völkerwanderung, so hatten wir den Eindruck. Alleine werden wir sicher nicht sein auf dem Weg nach oben

Der Weg nach Oben erschien Claudia dann doch sehr heftig. Denn die nächsten knapp 6 Kilometer wollten wir 600 Höhenmeter überwinden, die weitestgehend auf losem Schotter zu fahren sind. Claudia hatte schon ein wenig Respekt vor dieser Steigung. Ich weniger, da ich sie ja schon gefahren bin. Der Bericht hierzu stammt natürlich aus dem Jahr 2018.

Ich teile hier einmal zwei Bilder. Zum einen den Blick, den wir aus Richtung Pederühütte auf unseren zukünftigen Weg hatten. Zum anderen aber auch das gleiche Bild, in dem ich die erste Steigung (der dann noch zwei weitere folgen sollten) eingezeichnet habe.

Die Sonne stand hoch am Himmel und wir nahmen die ersten Höhenmeter auf Schotter unter unsere Reifen. Der Schweiss tropfte bei mir nur so von der Stirn. Das Kopftuch von Had, das mir meine Schwester Sabine empfohlen hat, leistete gute Dienste, war aber auch überfordert, den ganzen Schweiss aufzunehmen.

Wir hielten auch mal an, um das ein oder andere Foto der imposanten Bergmassive, die uns umgaben, zu schießen. Gleichzeitig natürlich auch, um unseren Aufstieg fotografisch zu dokumentieren.

Wir sehen hier Claudia und mich beim Aufstieg auf dem Schotterweg. Ggf. zeigt das dritte Foto die Steigung, die wir zu bezwingen hatten genauso wie die Mächtigkeit der Felsen um uns herum.

Am Wegesrand begleiteten uns gute Geister, die uns wohl eine unfallfreie Fahrt ermöglichten. Denn seinerzeit, als ich vor 5 Jahren meinen Unfall auf der Route hatte, waren sie nicht da. Also noch schnell 3 Fotos gemacht, den Geistern gehuldigt und weiter ging es dann in Richtung der nächsten Steigungspassage, die mir das ein oder andere Korn aus dem Körper zog.

Wie angesichts des Menschenauflaufs an der Pederühütte und des Außenlagers der Firma GIANT zu erwarten gewesen ist, überholte uns der ein oder die andere Mountainbikerin. Es war heute für mich frustrierend. Denn ich tat mich heute bei der Steigung schwerer, als vor 5 Jahren. Das mag am Wetter (ihr wisst, ich mag die Hitze nicht so sehr) gelegen haben. Kann aber auch seine Ursache darin finden, dass ich nun keine 52 Jahre mehr bin, sondern mit 57 Jahren stark auf die 60 zugehe. Es wäre auch grundsätzlich möglich, dass ich heute nicht so fit bin, da ich nun schon zwei Transalps in den letzten drei Wochen hinter mich gebracht habe. Oder aber ich schone meinen linken Fuß und das Bein zu sehr (ja, es zog dann doch das ein oder andere Mal, wenn ich angesichts der Steigung stärker in die Pedale treten musste) und fahre somit mit 3/4 Kraft. Wahrscheinlicher erscheint mir aber, dass diese E-Biker Fahrradfahren mit Mofafahren verwechseln. Die Tempi, die sie an den Tag legten, konnte nur mit maximaler zugeführter Elektroenergie erklärt werden. Den Beweis sah ich an der Faneshütte, wo eine Schar an Ladegeräten die Elektroinstallation dort wahrscheinlich an den Rand des Wahnsinns brachte.

Ich will auch noch einmal auf die Biker eingehen, die nach meiner Einschätzung hier nichts zu suchen haben. Erstens war da das Mädel, das mit Sandalen und Sommerkleidchen an uns vorbei raste. Sicher nicht die adäquate Bekleidung für die Berge und schon gar nicht im Fall eines Sturzes. Zweitens der Schweizer, der zwar -im Gegensatz zu vielen anderen die uns überholten- grüßte, aber nicht gerade einen sicheren Eindruck machte. Nach 10 Minuten kam er uns wieder entgegen. Ja, er ging bergab. War sein Stromvorrat schon verbraucht? Nein, Claudia sprach von einer blutenden Wunde am Knie, was ich gar nicht gesehen hatte. War er beim bergauf fahren gestürzt? Das ist ja fast unmöglich. Wahrscheinlich zu starkes Drehmoment, durchdrehende Reifen und dann die Kontrolle verloren. Tja, wenn man zu viel Stom gibt… Und dann waren da noch mindestens zwei Biker mit ihren Elektrogefährten, die mich überholten als gäbe es die Tour de France zu gewinnen. Den Abstand, den sie zu mir hielten entsprach auch eher dem Abstand im Peleton der Profis. Nur dass die Biker hier viel weniger Erfahrung und Sicherheit auf ihren Fahrrädern ausstrahlten. Ich ärgerte mich.

Nun, ich ändere sie nicht, also konzentriere ich mich wieder auf die schöne Natur und einige nette Zeitgenossen. Dabei stellte sich mir heute wieder die Frage, warum Männer so häufig „oben ohne“ durch die Natur wandern, wohingegen man das bei Frauen eigentlich gar nicht sieht. Aber eine Antwort habe ich trotz Nachdenken nicht erhalten. Gleichberechtigung ist offensichtlich noch nicht überall umgesetzt 😉

Irgendwann kamen wir nach unzähligen Fotos auch auf der Faneshütte an, wo wir einen tollen Blick in Richtung Lavaredo Hütte und das weite Tal unter der Fanes Hütte hatten.

Nach einem geteilten Kaiserschmarrn, der wirklich super war, und Johannisbeerschorlen nahmen wir nun die letzte Steigung, die es noch einmal in sich hatte, in Angriff. Hier zeigte sich noch einmal im Rückblick, wie hoch wir waren, wie klein wir doch waren und ggf. auch wie steil wir fuhren.

Auch hier hatte ich noch einmal mit einer „Horde“ Elektrobikern zu tun, die von Abstand gar nicht gehalten haben. Aber sei es drum, wir sind heile am höchsten Punkt des Tages angekommen und machten noch einige obligatorische Fotos.

Nun ging es am Limo See vorbei auf wirklich losem Schotter bergab. Der Limo See hatte schon etwas vom Gardasee letzten Freitag. Natürlich nicht im Hinblick auf die Größe. Aber die Personenzahl, die sich hier tummelte, war mit der am Strand von Torbole relativ zu vergleichen.

Der Schotter verlangte Konzentration, aber wir sind ohne größere Probleme herunter gekommen. Claudia berichtete später, dass sie am heutigen Tag nicht immer einen hohen Wohlfühlfaktor hatte, da sie doch Angst hatte, bei dem losen Schotter zu stürzen. Ist sie aber nicht. Haben wir sicher den oben gezeigten guten Geistern zu verdanken. Also sind wir gut an der Ucia de Gran Fanes angekommen. Hier hätte ich vor 5 Jahren meinen Ring beim Ausziehen der nassen Handschuhe während unserer Aufwärmphase durchaus verlieren können. Also ist Claudia erstmal rein in die Hütte und fragte allen Ernstes, ob vor 5 Jahren ein Ring gefunden worden sei. Natürlich haben wir gar nicht damit gerechnet. Aber Vorwürfe hätten wir uns schon gemacht, hätten wir nicht gefragt. (Im Übrigen habe ich die Frage vor 5 Jahren schon einmal per Email an die Besitzer geschrieben – aber man weiss ja nie…). Das Haustier vor der Tür dachte sich wahrscheinlich auch: „Was für ein Esel verliert denn seinen Ehering“.

Denn so schaute er mich an.

Nun ging es weiter über den Dolomiten Höhenweg, dem wir über die Hochebene mal gerade, mal bergauf alternierend folgten. Ich hatte gar nicht in Erinnerung, wie viele kleine Steigungen dort waren. In meiner Erinnerung sind wir seinerzeit durch den Regen gerast, um auch dem Gewitter zu entkommen. Nun, das sollte heute (noch) nicht das Thema sein. Und so denke ich, dass ich viele Erinnerungslücken an die Eindrücke dieser Hochebene habe, da wir uns seinerzeit eben auf das schnelle Fahren und Flüchten konzentrieren mussten.

Im Hintergrund des letzten Bildes ist im Übrigen die Marmolada zu sehen. Ein Bild, welches wir vor 5 Jahren angesichts der hier auftretenden Blitze und des strömenden Regens gar nicht gesehen haben.

Auf den letzten Metern bis zu unserem Abstieg in Richtung der damaligen Unfallstelle von mir sahen wir noch einen tollen Baumstamm.

Und wenn ich oben von Abstieg schrieb, dann heist das auch Abstieg und nicht Abfahrt. Denn mein kritischer Blick beim Herunterschauen ins Tal verrät es: Eine Abfahrt ist nicht möglich – und das Schild am Eingang zum Trail sagt das Gleiche aus.

So gingen wir den beschwerlichen Weg bergab. Mein linker Fuß tat zwar nicht weh (na ja fast nicht), aber gut war das sicher nicht für ihn.

Die Bilder von Claudia mögen einen Eindruck hinterlassen, dass es kein Kindergeburtstag war und doch mit Anstrengung und Risiko verbunden war, die Fahrräder hier herunter zu schieben. Daher musste noch eine Erfrischung an einer Quelle her..

..und weiter ging es bis zu der Stelle, an der ich seinerzeit gestürzt war und (nicht ernsthaft) hoffte, meinen Ehering wieder zu finden.

Den Ehering hielt ich bei Claudias Ankunft in meiner rechten Hand. Nur war das nicht der Ring aus dem Jahr 1996, sondern aus dem Jahr 2018. Was letztlich heisst: Wir haben den Ring natürlich nicht gefunden und somit wird er für immer verschollen bleiben – so wie der Titel des Eintrags hier auch aussagt.

Der Rest des Tages ist schnell erzählt. Nach Auffüllen unseres Wasservorrats fuhren wir von der Cappana Alpina nach San Cassian, weiter über Stern-LaVilla und Badia-Abtei talwärts. Der Himmel in der Ferne sah etwas bedrohlich aus. Regen, Gewitter und Sturm sollte doch erst um 18 Uhr in Südtirol ankommen. Jetzt war es 15:30 Uhr. Ich entschied, dass wir nicht mehr die Waldwege fahren, sondern auf der Straße richtig Gas geben, denn bis St. Vigil lagen noch einige Kilometer vor uns. Wir fuhren gegen die Zeit, auch wenn es bergab ging, haben wir getreten, als ob es ums Überleben geht. Wir wollten nicht in das Unwetter kommen. In Longega, 4,5 Kilometer vor St. Vigil (wo unser Auto stand) kamen um kurz vor 16 Uhr die Blitze schon näher. Sollten sich die Meteorologen um 2-3 Stunden verrechnet haben? Wie auch immer, das Wetter war nun einmal hier. Wir gaben nochmal letzte Energien in die Pedale. Doch es nützte nichts. Der Sturm wurde stärker, es fing an zu regnen. Und der ein oder andere Donner war auch zu hören, als wir noch 1,5 Kilometer vor St. Vigil waren. Ich hatte wenig Kraft und bat Claudia mit maximaler Stromzufuhr (was sie ungern macht), bergauf bis zu unserem Auto zu fahren. Ich käme nach, bzw. sie kann mich dann abholen. Gesagt getan, sie radelte davon, ich gab alles, konnte es aber nicht vermeiden: Ich kam in ein Hagelschauer, der Wind / Sturm blies mich fast vom Rad, ein Ast viel vom Baum und landete 2 Meter neben mir. Als die Blitze mehr wurden, habe ich mich in St. Vigil (ja, da war ich mittlerweile nun auch schon) in einem Hotel untergestellt.

Der Ausblick war schon recht duster und der Sturm wurde stärker, die Blitze immer häufiger.

Claudia war derweil schon am Auto, belud es mit ihrem Fahrrad und kam zurück zu mir. Durchnässt bis auf die Unterhose und Socken haben wir im strömenden Regen auch noch mein Rad aufgeladen. Noch schnell ein trockenes Trikot und Regenhose für die Autofahrt zurück übergezogen und ab ging es nach Hause ins Hotel.

Rückblickend zeigte dann auf der Heimfahrt irgendwann auch wieder etwas Helligkeit am Horizont.

Und der Rückblick nach St. Vigil steht für die Sache mit dem Ehering bzw. der Ehe. Ärgerlich ist es allemal, dass ich den Ring überhaupt verloren habe vor fünf Jahren. Das ist schon ein düsterer Fleck in unserer Ehe. Und so gibt es in jeder Ehe Höhepunkte und Tiefs – sozusagen. dunkle Zeiten. Aber auch dann, wenn es um uns herum dunkel war, haben wir es immer wieder geschafft, auf die Sonnenseite zurück zu kommen. Und das war auch am heutigen Tag sinnbildlich der Fall. Denn im Hotel haben wir dann noch folgenden Ausblick auf die heute früh noch in voller Sonne und bei blauem Himmel stehenden Berge gehabt.

Und wünschen wir uns das nicht alle, dass nach düsteren Zeiten, die Sonne schnell wieder heraus kommt? Auch wenn bei uns der Ehering für immer verschollen bleibt.